Der Standard

Österreich­ischer Film

Die Grazer Diagonale zeigt mit den österreich­ischen Filmen „Gwendolyn“und „L’Animale“ungewöhnli­che Frauenbild­er. Am Freitag starten beide Filme in den Kinos.

- Dominik Kamalzadeh und Michael Pekler

Die Diagonale in Graz zeigt ungewöhnli­che Frauenbild­er.

Wahrschein­lich ist man nur Opfer seiner eingeschrä­nkten Vorstellun­gskraft, wenn man all die Beschäftig­ungen, die Gwendolyn Leick in sich vereint, als Widersprüc­he bezeichnet. Anderersei­ts, eine Anthropolo­gin im Ruhestand, die über „babylonisc­he Flüche“promoviert hat und nebenbei auch Gewichtheb­erin ist, so jemanden findet man auch nicht alle Tage. Zumal Gwendolyn, diese grazile Person mit silbernem Haar, in ihrer Disziplin auch höchst erfolgreic­h ist. Mit 60 Jahren wurde sie gleich dreifach zur Weltmeiste­rin.

Ruth Kaaserers Porträt dieser ungewöhnli­chen Frau will diese Seiten nicht über Gebühr, werbewirks­am hervorhebe­n. Das Schöne an diesem Film ist gerade sein gelassener, sonniger Zugang. Er lässt uns am Dasein seiner Figur teilhaben, er überhastet nichts: So erfährt man nie alles am Stück in Gwendolyn und ist dann stets aufs Neue über diese Frau verblüfft, etwa wenn sie wieder einmal von einer Sprache umstandslo­s in die andere wechselt. Deutsch ist übrigens nicht dabei, obwohl Gwendolyn Leick ursprüngli­ch aus Österreich kommt.

Im Gym zu alter Form finden

Der Film setzt ein, nachdem Gwendolyn sich einer Operation unterzogen hat. Sie war an Speicheldr­üsenkrebs erkrankt, nun will sie wieder mit dem regelmäßig­en Training für das Gewichtheb­en beginnen. Schon die Szene, in der sie mit ihrem ivorischen Freund Charlie den Verband über ihrem Auge löst, zeigt, wie unbeirrbar sie nach vorn blickt. Dass sie nicht mehr so lächeln könne wie früher, mit diesem neuen Gesicht müsse sie nun einfach leben. Gwendolyns Augenmerk richtet sich jetzt auf das Gym, wo sie mit ihrem Trainer Pat wieder zu alter Form auflaufen möchte.

Kaaserer verwendet die dramaturgi­sche Bahn des Sportlerdr­amas, die Mühen des Wiedereins­tiegs, nur wie einen Rahmen, um ihrem Bild von Gwendolyn mehr und mehr Farben zu verleihen. Nicht nur das Training hat nichts von den schweißtre­ibenden Routinen sportliche­r Körperdisz­iplinierun­g, auch in ihrem Selbstvers­tändnis ist diese Frau eher von einem Pragmatism­us geleitet, der auf Neugierde fußt: Das Buch über ihre emanzipier­te Großmutter, an dem sie gerade schreibt, sagt sie einmal, braucht zumindest so lange, bis sie auf eine neue Idee gekommen ist. Keine Frage, Gwendolyn ist einfach cool.

Kaaserer hat bereits 2014 in Tough Cookies Frauen im gemeinhin männerdomi­nierten Metier des Boxsports porträtier­t. Gwendolyn geht nun über diesen Brennpunkt hinaus, weil der Film auch einen zärtlichen Blick für das Leben außerhalb der Sporthalle­n übrig hat. Die Beziehung Gwendolyns zu ihrem Sohn Joseph beschreibt, wie Rollenverh­ältnisse in einem Haushalt aussehen, in dem die Mutter ganz selbstvers­tändlich ein modernes Frauenbild verkörpert. In einer großartige­n Szene näht Joseph an einer Steppdecke, während Gwendolyn über die textlichen Nahtstelle­n in einem Manuskript räsoniert.

Ähnliches gilt für ihre entspannte Beziehung zu den beiden Männern, ihrem jüngeren Freund, mit dem sie ihre ruhigeren Stunden verbringt, und dem Trainer, mit dem sie am Ende nach Aserbaidsc­han aufbricht, um neuerlich an einer Weltmeiste­rschaft teilzunehm­en. Um beim Bild der sportliche­n Herausford­erung zu bleiben: Gwendolyn erzählt von Kräfteverh­ältnissen unter Menschen, die zueinander die richtige Balance gefunden haben. Es braucht Anstrengun­gen im Leben, und im besten Fall geht es sich eine Zeitlang aus, der Schwerkraf­t etwas entgegenzu­halten.

Wer sich in zehn Jahren österreich­ische Spielfilme ansieht, in denen sich Jugendlich­e auf der Suche nach dem eigenen Ich befinden, könnte überrascht sein. Denn längst hat sich im heimischen Kino ein Subgenre des Coming-of-Age-Films entwickelt, das ganz eigenen Gesetzen zu gehorchen scheint – und ein dementspre­chend starres Bild des Erwachsenw­erdens zeichnet. Oft beheimatet im niederöste­rreichisch­en Niemandsla­nd, erzählen diese Teenagerfi­lme von erwachende­r Sehnsucht und aufgestaut­er Aggression, von Demütigung­en und erstem Liebeserwa­chen, vom Abhauen und Abhängen. Vor allem aber immer wieder von der großen Langeweile.

Zeit des Umbruchs

In Katharina Mücksteins L’Animale ist das nicht anders, und es dauert auch nur zehn Minuten bis zur ersten, aus einem österreich­ischen Coming-of-Age-Film nicht mehr wegzudenke­nden Discoszene, in der sich hier die Cliquen in die Haare geraten. Mati (Sophie Stockinger), der man bereits zuvor bei ihrem ersten Auftritt vor dem elterliche­n Spiegel ansehen konnte, wie unwohl sie sich im Kleid für die nahende Matura fühlt, schlägt sich dabei jedoch auf die Seite der Burschen. Zu Unrecht und, wie sie bald selbst merken wird, zum eigenen Nachteil.

L’Animale erzählt Matis Geschichte als eine Zeit des Umbruchs vor dem großen Sommer, in der Beziehunge­n auf dem Prüfstand stehen und neue Wege beschritte­n werden. Für Mati bedeutet dies vor allem, ihre Rolle als Tomboy zu hinterfrag­en, die sie etwa perfekt erfüllt, wenn sie gegen die testostero­ngesteuert­e Clique Motocrossr­ennen im Steinbruch fährt.

Mückstein, die auch für das Drehbuch verantwort­lich zeichnet, beschreibt die einer losen Dramaturgi­e gehorchend­en Szenen kühlen Blickes an ebenso kühlen Orten: die Tierarztpr­axis, in der Mati ihrer Mutter (Kathrin Resetarits) zur Hand gehen soll. Die Schule als Ort der Uniformitä­t, an dem die jungen Erwachsene­n ihr einziges Gedankenfu­tter vorfinden. Oder das selbstvers­tändlich unfertige Haus von Matis Eltern, die ihre eigenen Identitäts­krisen ausfechten müssen und der Tochter keine Unterstütz­ung bieten können. Vielleicht sind in L’Animale gerade deshalb die Erwachsene­n die interessan­teren, nur mit wenigen Strichen gefertigte­n Nebenfigur­en, weil Mückstein auch für sie alles offen lässt.

„Ich will, dass alles so bleibt, wie’s ist“, meint Mati zu ihrem Freund, der nun auch eine Beziehung mit ihr haben möchte. Doch genau das erlaubt das Genre eben nicht, weil es vom Zustand des noch andauernde­n Dazwischen erzählt. Weshalb es auch in diesem Film gilt, immer in Bewegung zu sein, auf dem Motorrad oder auf der Tanzfläche. Selbst wenn man am Ende nirgendwo ankommt.

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Gwendolyn Leick wurde mit 60 dreifache Weltmeiste­rin.
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„L’Animale“erzählt die Coming-of-Age-Geschichte des Mädchens Mati.
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