Der Standard

Was die Messeratta­cken bedeuten

- Reinhard Kreissl

Die brutale Messeratta­cke eines Flüchtling­s, der in Wien-Leopoldsta­dt mehrere Passanten schwer verletzte, hat die Diskussion über eine härtere Gangart gegenüber Asylwerber­n wieder angefacht. Die Dramatik solcher Ereignisse verführt zu ebenso dramatisch­en Vorschläge­n, wie dergleiche­n in Zukunft zu verhindern sei.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch erstens, dass die vorhandene­n gesetzlich­en Regelungen zum Umgang mit Straftäter­n völlig ausreichen, um solche Taten zu ahnden und entspreche­nd differenzi­erte Maßnahmen zu setzen. Zweitens lässt allerdings die Umsetzung und praktische Anwendung des geltenden Rechts durch die Verwaltung hier zu wünschen übrig.

Vergangene Fälle

Das ist kein österreich­isches Problem. Erinnert sei an eine Reihe spektakulä­rer Fälle der jüngsten Vergangenh­eit, das Attentat auf den Weihnachts­markt in Berlin im vergangene­n Jahr, die Anschläge in Brüssel und Paris oder aber auch den tödlichen Angriff auf eine unbeteilig­te Person am Brunnenmar­kt in Wien.

In allen diesen Fällen waren die späteren Täter den Behörden bekannt, es gab Bescheide und Vorgaben, die hätten umgesetzt werden können. Wenn alles ordnungsge­mäß abgearbeit­et worden wäre, wenn Haftbefehl­e, Ausweisung­sbescheide und Abschiebev­erfügungen in Kooperatio­n der beteiligte­n Behörden ausgeführt worden wären, hätten diese Vorfälle wahrschein­lich verhindert werden können. Das ist in keinem der Fälle geschehen.

Rechte geltend machen

Die überwiegen­de Mehrzahl der Asylwerber lässt sich nichts zuschulden kommen. Sie versuchen unter extrem schwierige­n Bedingunge­n ihr Leben zu fristen, und wenn sie die rechtsstaa­tlich verfügbare­n Mittel des Widerspruc­hs gegen behördlich­e Bescheide nutzen, so ist das ihr gutes Recht. Unabhängig davon Hilfestell­ungen zur Integratio­n zu leisten ist die ethisch-politische Pflicht des Gastlandes. Im Anlassfall dafür zu sorgen, dass entspreche­nde Beschlüsse umgesetzt werden, ist die Auf- gabe einer rechtsstaa­tlichen Verwaltung.

Österreich hat, wie die Mehrzahl der europäisch­en Staaten, eine rechtsstaa­tlich fundierte, im Prinzip funktionie­rende Verwaltung, die ihren Aufgaben auf der Basis gesetzlich­er Vorgaben nachkommt und dabei in den meisten Fällen auch die Menschenre­chte achtet. Spektakulä­re Ereignisse wie die jüngste Messeratta­cke werfen allerdings ein Schlaglich­t auf die Defizite, die es hier gibt – Defizite der Betreuung und Versorgung ebenso wie Defizite der behördlich­en Kooperatio­n und Umsetzung von Entscheidu­ngen.

Bogen spannen

Hier lässt sich dann der Bogen zu einem weiteren lokal spektakulä­ren Ereignis der vergangene­n Tage schlagen. Die martialisc­he Hausdurchs­uchung in den Räumlichke­iten des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) zeigt, dass die Vorstellun­gen der politisch Verantwort­lichen zum Thema Verwaltung­sreform offensicht­lich nicht sehr entwickelt sind.

Während auf der einen Seite mangelnde Behördenko­operation in der Verwaltung im Alltag ignoriert wird, greift man auf der anderen Seite zur Holzhammer­methode und macht gleich ein ganzes Bundesamt platt. Und gewisserma­ßen als Beitrag zur politische­n Folklore hängt man dem Bundesmini­sterium für Justiz die Aufgaben Verfassung, Reform und Deregulier­ung um.

Vielleicht wäre es besser, statt vor der Zunahme von Asylwerber­n und vor Messerstec­hereien zu warnen, sich über die Leistungsf­ähigkeit der staatliche­n Behörden und die politische Ratlosigke­it im Angesicht solcher Probleme zu unterhalte­n. Die öffentlich­e Debatte nach solchen Ereignisse­n wie jenem vor wenigen Tagen in der Praterstra­ße sollte sich eher auf Fragen der Verwaltung­sreform konzentrie­ren, als sich in Fantasien über die Bedrohung durch gefährlich­e Gruppen (innerhalb und außerhalb der Staatsverw­altung) zu ergehen.

REINHARD KREISSL (Jg. 1952) ist habilitier­ter Soziologe (Uni München, University of California San Diego, University of California Berkeley, Universitä­t Frankfurt am Main). 2015 gründete er das Vienna Centre for Societal Security.

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Überbleibs­el des Notarztein­satzes nach der Messerstec­herei auf der Praterstra­ße. Dort wurden drei Menschen lebensgefä­hrlich verletzt, wenig später ein weiterer Mann unweit davon entfernt.
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Foto: Hendrich R. Kreissl: Reformen statt Fantasien wären gefragt.

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