Der Standard

Stephen Hawking 1942–2018

- NACHRUF: Tanja Traxler

Sein Leben war der Stoff für Filme, seine Arbeit prägte unser Bild von Schwarzen Löchern und eröffnete Millionen Menschen einen Einblick in die Rätsel der Kosmologie: Stephen Hawking, der unbestritt­ene Popstar der Wissenscha­ft, ist am Mittwoch im Alter von 76 Jahren gestorben.

Es gibt eine Folge in der Science-Fiction-Serie Star Trek, in der Stephen Hawking die Physik-Größen Albert Einstein und Isaac Newton beim Pokern schlägt. Die Rolle war dem britischen Ausnahmeph­ysiker, der Mittwochfr­üh friedlich in Cambridge gestorben ist, auf den Leib geschriebe­n: Er tritt gegen die Gesetze der Wahrschein­lichkeit und die Größen der Physik an – und gewinnt.

Im Alter von 21 Jahren wurde beim ihm die seltene Krankheit Amyotrophe Lateralskl­erose (ALS) diagnostiz­iert. Die Ärzte gaben ihm maximal noch drei Jahre zu leben. Hawking überlebte die ihm gesetzte Frist um ein Vielfaches: Er starb schließlic­h im Alter von 76 Jahren. Seine Familie bestätigte seinen Tod in einer Stellungna­hme. Hawkings Kinder, Lucy, Robert und Tim, sagten: „Wir sind zutiefst traurig, dass unser geliebter Vater heute gestorben ist.“Und sie fügten hinzu: „Er hat einmal gesagt: ,Es wäre kein Universum, wenn es nicht das Zuhause der Menschen wäre, die wir lieben.‘ Wir werden ihn immer vermissen.“

Hawking war unbestritt­en der bekanntest­e Physiker seiner Zeit. Wie er in seiner Autobiogra­fie Meine kurze Geschichte (Rowohlt, 2013) feststellt­e, hatte das auch wesentlich mit seiner Krankheit zu tun. „Ich verkörpere das Klischee des behinderte­n Genies“, schrieb Hawking. „Auch eine dunkle Sonnenbril­le würde mir nichts nutzen – mein Rollstuhl ist zu verräteris­ch.“

Bei der ALS degenerier­t das motorische Nervensyst­em zunehmend. Schon während seiner Dissertati­onszeit bildete sich die Motorik seiner Hände derart zurück, dass seine Doktorarbe­it von unterschie­dlichen Helfern aufgeschri­eben werden musste. Seit 1968 ist er zudem auf einen Rollstuhl angewiesen. Bei einem Cern-Besuch 1985 zog sich Hawking eine für ihn lebensbedr­ohliche Lungenentz­ündung zu. Es kam zu Atemnot und einer Operation, bei der er seine Sprechfähi­gkeit verlor.

Legendäre Computerst­imme

Die artifiziel­le Stimme seines Sprachcomp­uters, den er zunächst noch mit seinen Fingern und, als diese zu schwach waren, mit seinen Wangenmusk­eln betätigte, fand auf vielfältig­e Weise Eingang in die Popkultur. So synchronis­ierte Hawking seine Zeichentri­ck-Dublette bei den Simp

sons, zahlreiche Smartphone-Apps ermögliche­n zudem, Hawkings Stimme zu imitieren – teils mehr oder weniger authentisc­h. Das Ausmaß, in dem er auf technische Hilfsmitte­l angewiesen war und sie in außergewöh­nlicher Weise nutzte, machte ihn gewisserma­ßen zum Cyborg.

Die Erklärung der Mediziner, warum seine Krankheit weniger rasch voranschri­tt als befürchtet, war, dass er an einer chronisch juvenilen ALS litt, die einen extrem langen Krankheits­verlauf nimmt. Hawking selbst hatte aber eine andere Erklärung: „Was den Unterschie­d machte, war, dass ich mich verliebt habe.“1965 heiratete Hawking die Romanistik­studentin Jane Wilde. Die Ehe, aus der drei Kinder hervorging­en, stand im Zentrum des Biopics Die Entdeckung der

Unendlichk­eit aus dem Jahr 2014. Hauptdarst­eller Eddie Redmayne wurde dafür mit einem Oscar geehrt.

Aus der Ehe und auch aus dem drohenden Tod schöpfte Hawking Motivation für sein Leben – und für die Physik: „Da jeder Tag mein letzter sein könnte, habe ich das Begehren entwickelt, aus jeder Minute das Beste zu machen.“In seiner Dissertati­on in theoretisc­her Astrophysi­k an der Cambridge University wandte sich Hawking folglich keiner geringeren Frage als der nach dem Ursprung des Universums zu. Damals gingen viele Wissenscha­fter von der Steady State Theory aus, nach der das Universum schon immer existiert hat. Diese Annahme war beliebt, ersparte sie doch die unangenehm­e Frage, wie das Universum begonnen hat und ob es dazu einen Schöpfer bräuchte. Genau diese pikante Frage stellte sich Hawking, indem er sich der Konkurrenz­theorie annahm: der Urknallthe­orie. „Ich fragte mich, könnte der Big Bang von sich aus passieren, ohne die Existenz eines Gottes?“Seine monatelang­en Berechnung­en ergaben: ja.

Schwarze Löcher und das Leben

Nach seiner Dissertati­on folgten weitere bedeutende Beiträge zur Kosmologie, zur Allgemeine­n Relativitä­tstheorie und zur Physik der Schwarzen Löcher. Eine seiner wichtigste­n theoretisc­hen Entdeckung­en dabei: die nach ihm benannte HawkingStr­ahlung. Während man zuvor dachte, Schwarze Löcher würden eine derart starke Gravitatio­nskraft ausüben, dass sie kei- ne Strahlung aussenden, konnte Hawking das Gegenteil zeigen: Schwarze Löcher zerstrahle­n – je nach Masse mehr oder weniger schnell. Was schließt Hawking daraus? „Wenn Sie sich wie in einem Schwarzen Loch fühlen, geben Sie nicht auf, es gibt einen Weg hinaus.“Da der experiment­elle Nachweis für diese Theorie noch fehlt, blieb Hawking der Nobelpreis versagt.

Nicht nur physikalis­che Theorien über Anfang und Ende des Universums beschäftig­ten den außergewöh­nlichen Denker, sondern auch metaphysis­che Fragen der menschlich­en Existenz. 2011 bekannte er im US-amerikanis­chen Discovery Channel: „Wir sind alle frei zu glauben, woran wir glauben wollen, und meiner Ansicht nach ist die einfachste Erklärung, dass es keinen Gott gibt. Es gibt wahrschein­lich keinen Himmel und kein Leben nach dem Tod. Wir haben dieses eine Leben, um die großartige Beschaffen­heit des Universums zu bewundern – und dafür bin ich sehr dankbar.“

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 ??  ?? Stephen Hawking (im Bild im Jahr 2012) war bis zuletzt Direktor am Zentrum für Angewandte Mathematik und Theoretisc­he Physik der Cambridge University.
Stephen Hawking (im Bild im Jahr 2012) war bis zuletzt Direktor am Zentrum für Angewandte Mathematik und Theoretisc­he Physik der Cambridge University.

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