Der Standard

Berliner Angelobung ohne Zauber

- Ljubiša Tošić

Dass diesem Anfang (vierte Amtszeit von Angela Merkel) ein besonderer Zauber innewohnt, lässt sich nicht zwingend behaupten. Die Stimmung im deutschen Bundestag wirkt eher routiniert-gelöst; auch das feierliche Vorlesen aller Abgeordnet­ennamen im Vorfeld der Merkel-Wahl ist naturgemäß kein Thriller. Das Ritualfest der Demokratie verbreitet allerdings einen wichtigen Charme der Friedferti­gkeit.

Zudem hat n-tv den TVSchirm gespalten. Die eine Hälfte zeigt Abgeordnet­e, die andere präsentier­t Gesprächsp­artner. FDP-Chef Christian Lindner etwa, der forsch wird: „Die AfD ist die größte Opposition­spartei, aber nicht die stärkste!“– und überhaupt: „Die plumpen Parolen der AfD wird die Kanzlerin locker weglachen!“Lindner selbst lacht nicht, ein junger Abgeordnet­er schon. Er ist froh, bei dieser geheimen Wahl „An- gela Merkel zum ersten Mal wählen zu können“.

Sie selbst trägt ein weißes Sakko und scheint in Ernsthafti­gkeit konservier­t zu sein. Und: Mit dem Fraktionsv­orsitzende­n ihrer Partei, Volker Kauder, plaudert sie geheimnisv­oll. Beide haben bisweilen die Hand vor dem Mund; Kauder erklärt auf n-tv, es seien ja Lippenlese­r unterwegs. Vor diesen gelte es Infos zu schützen.

Zu den Mundablese­rn gehören womöglich auch die traurigen SPDler Martin Schulz und Sigmar Gabriel, nun einfache Abgeordnet­e. Ihnen schüttelt Merkel die Hand, dann ist es so weit: Es gibt ausreichen­d viele Stimmen, nach langem Applaus kann sie die Wahl annehmen. Irgendwie sympathisc­h.

Und n-tv, jener Sender, der oft wie der Abspielpla­tz für zeitlose Tier- und Weltkriegs­dokus wirkt, hat für einen Augenblick seine livedokume­ntarische Würde wieder. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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