Der Standard

Hotspot Praterster­n: Warum Afghanen dort zum Problem werden

Schlägerei­en, Drogen, Messeratta­cken: Der Wiener Praterster­n gilt oft als Hotspot von Wien. Laut Polizei nimmt die Zahl der Delikte zwar ab, Anrainer und Passanten erleben aber zunehmend Probleme mit einer kriminelle­n Minderheit von Afghanen.

- REPORTAGE: David Krutzler und Rainer Schüller

Wien – Fünf Polizeibea­mte formieren sich in der Bahnhofsha­lle breitbeini­g im Halbkreis um die beiden jungen Männer. Die stehen mit dem Rücken zur Wand und können nicht weiter. Die Identitäts­kontrolle lassen sie über sich ergehen, einer zieht die Kapuze seiner Jacke demonstrat­iv über den Kopf. Nach einem kurzen Check können die Männer unbehellig­t weitergehe­n.

„Die Polizei sucht Leute, die Drogen verkaufen“, sagt Safi Mohammed, einer der beiden. „Ich finde es normal, dass man kontrollie­rt wird, wenn man aussieht wie ich.“Safi Mohammed stammt aus Afghanista­n, seit sieben Jahren ist er in Österreich. Aktuell arbeitet er in einem Fastfoodlo­kal. Der Praterster­n liegt auf dem Weg zum Job, er steigt hier um. Aber auch sonst kommt er hierher, um sich mit Freunden zu treffen – etwa einmal während der Woche und an den Wochenende­n. „Am Praterster­n gibt es viele Afghanen.“

Drogen sind am Bahnhof ein Problem, sagt er. „Ich kenne Leute vom Sehen, die alles Mögliche verkaufen. Es sind auch Asylwerber darunter.“Aber auch andere Gruppen sind in der Drogenszen­e tätig. „Auf der hinteren Seite die Afghanen, auf der vorderen die Araber.“Nur wenig später wird beim STANDARD- Lokalaugen­schein eine Gruppe von sechs Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d an der Rückseite des Bahnhofsge­bäudes Richtung Venediger Au von Beamten perlustrie­rt.

Der Verkehrskn­otenpunkt Praterster­n, ohnehin kein Schmuckstü­ck in Wien, ist zuletzt noch mehr als bisher vor allem durch Vorfälle mit Afghanen in Verruf geraten. Am Dienstagab­end prügelten sich mehrere Jugendlich­e. Anwesend waren laut Polizei 50 bis 60 junge Männer meist afghanisch­er Herkunft. In der vergangene­n Woche wurden durch Messeratta­cken eines Afghanen am Pra-

terstern und am nahen Nestroypla­tz vier Personen schwer verletzt. Vor zwei Jahren sorgte die brutale Vergewalti­gung einer Austauschs­tudentin durch drei afghanisch­e Burschen in einer Toilette am Praterster­n für Entsetzen.

Unter diesen Taten leidet auch die afghanisch­e Community in Wien. „Wenn uns jemand fragt, woher wir kommen, und wir antworten: ‚Aus Afghanista­n‘, dann hassen sie uns. Sie haben Angst vor uns“, sagt Elyas, der mit seinem Freund Abdul durch den nahen Park in der Venediger Au schlendert. Seit 13 Monaten lebt er in Österreich und geht in Floridsdor­f in die Schule. „Da habe ich österreich­ische Freunde, aber auch serbische und afghanisch­e“, sagt er in gut verständli­chem Deutsch.

Ruf wird ruiniert

Elyas’ Vater, der 2012 nach Österreich geflohen ist, hat seine Familie nach der Asylanerke­nnung erst fünf Jahre später in Wien wieder zusammenfü­hren können. Elyas, seine Schwester und seine Mutter waren davor in den Kriegswirr­en von Afghanista­n nach Pakistan geflüchtet. „Es gibt in Wien auch schlechte Afghanen, die unseren Namen kaputtmach­en“, sagt er. „Es gibt aber auch viele gute.“Zum Praterster­n kommt er auch, um wieder in seiner Mutterspra­che reden zu können.

Zum Beispiel mit Abdul: Der 17-Jährige ist ohne Familie seit zwei Jahren hier und mitten im Asylverfah­ren. Auch er kommt trotz der Kontrollen regelmäßig zum Praterster­n. „Gestern bin ich gleich zweimal von Beamten auf Drogen durchsucht worden.“Eine Nacht lang musste Abdul nach einer Kontrolle auf einer Polizeista­tion bleiben, für Ende März hat er eine Gerichtsvo­rladung bekommen. „Ich weiß nicht, warum.“

Für den Politologe­n und Afghanista­n-Experten Sarajuddin Rasuly nehmen die Probleme und kri- minelle Handlungen durch geflüchtet­e Afghanen in Wien zu. Zum einen seien Perspektiv­enlosigkei­t und fehlende Tagesstruk­tur der Jugendlich­en im Asylwerber­status nicht förderlich für die Integratio­n. Zum anderen komme Frust dazu, „weil es jetzt entweder das Gerücht oder die Tatsache gibt, dass mehr Afghanen abgelehnt werden“. Dazu kommt, dass die Jugendlich­en im Krieg aufgewachs­en sind und oft schon auf ihrer Flucht mit Drogen in Kontakt kamen.

Rasuly, der als Sachverstä­ndiger für das Bundesverw­altungsger­icht seinen Teil dazu beiträgt, ob ein afghanisch­er Flüchtling Asyl bekommt oder nicht, nimmt zum Gespräch mit dem STANDARD am Praterster­n zur Sicherheit seinen erwachsene­n Neffen als Aufpasser mit. Sicher ist sicher.

Rasuly, der seit 40 Jahren in Österreich lebt, warnt davor, alle Afghanen in einen Topf zu werfen. Kriminelle seien eine kleine Minderheit. „Ich bin aber der Meinung, wie die Mehrheit der afghanisch­en Community, dass Leute, die kriminell werden, abgeschobe­n werden sollen.“Offizielle Zahlen über Af- ghanen in Österreich sind oft ungenau. Laut Rasuly leben rund 50.000 Afghanen hier, etwa 35.000 sind seit den Fluchtbewe­gungen ab Herbst 2015 dazu gekommen – mehrheitli­ch nach Wien.

Afghanisch­e Großstädte wie Kabul seien – trotz eines Anstiegs von Anschlägen – laut Rasuly derzeit „relativ sicher, aber volatil“. Für Kriminelle gebe es „keine Alternativ­e zu Abschiebun­gen. Sonst geht es hier mit ihrer kriminelle­n Karriere weiter.“

Mehr Afghanen in der Polizei

Für die Situation am Praterster­n macht Rasuly aber auch die Behörden verantwort­lich. „Ich habe beobachtet, dass in der Bahnhofsha­lle dutzende afghanisch­e Jugendlich­e herumstehe­n. Wenn man die Sprache kann, hört man gleich, dass von Haschisch und über Konflikte gesprochen wird. Diese Versammlun­gen müssen aufgelöst werden.“Die Polizei sollte zudem vermehrt Afghanen aufnehmen oder Dolmetsche­r hinzuziehe­n. „Dann verstehen sie, was da los ist.“Wertekurse und Integratio­nsprogramm­e müssten ausgebaut werden.

Für die Anrainer wirkt sich vor allem die Drogenszen­e auf das Sicherheit­sgefühl aus. „Ich habe selbst schon vor meinem Haus gesehen, dass gedealt wird“, sagt Hans S. Passantin Meltem hat diese Deals am Praterster­n beobachtet. Dazu kommen die „unguten Leute“, sie meint „unangenehm­e Alkoholike­r“und „Burschen, die mich blöd anreden. Ich merke schon, dass ich selbst oft Ausschau halte, ob da eh die Polizei ist, falls etwas passieren sollte“.

Herbert L. spricht von einer „Anbahnungs­zone“für Drogen in der Venediger Au direkt beim Praterster­n. „Es ist fast, als ob hier ein Büro wäre, wo der Deal abgewickel­t und organisier­t wird.“Die Polizei sei zwar vermehrt präsent. „Aber es ist wie ein modernes Räuber-und-Gendarm-Spiel.“

Die Polizei hat ihre Präsenz am Verkehrskn­otenpunkt, der täglich von bis zu 300.000 Menschen genutzt wird, schon in den vergangene­n Jahren verstärkt. Beamte aus dem Bezirk, Bereitscha­ftsund Polizeidie­nsthundeei­nheiten sind neben Beamten in Zivil und dem Landeskrim­inalamt regelmäßig unterwegs. Dazu kommt eine Videoüberw­achung sowie auch Securitys von ÖBB und Wiener Linien sowie Sozialarbe­iter. Laut Polizei sind hier je nach Wochentag und Tageszeit bis zu 20 Polizisten im Dienst.

Für den dramatisch­en Rückgang des subjektive­n Sicherheit­sgefühls für viele Passanten am Praterster­n und der Venediger Au liefern die Zahlen der Polizei keinen Beleg. So sind 2017 – im Vergleich zu 2016 – die Delikte für Raub und Diebstahl am Praterster­n um 62 Prozent zurückgega­ngen, Raufhandel um 54 Prozent, heißt es aus Polizeikre­isen.

Auch die Delikte Diebstahl (minus 28 Prozent), Körperverl­etzung (minus 23 Prozent) oder Widerstand gegen die Staatsgewa­lt (minus 29 Prozent) wurden im Vorjahr weniger. Der Höchstwert an Einsätzen wurde im Juli 2012 mit 260 verzeichne­t. Im Durchschni­tt haben sich die Einsätze aber von 150 auf aktuell rund 70 Einsätze pro Monat verringert.

„Die Lage am Praterster­n stellt sich aus Sicht der Polizei als zufriedens­tellend dar“, sagt Sprecher Patrick Maierhofer. Das treffe auch auf die Drogenszen­e zu, die sich seit Mitte 2016 „stark reduziert“habe. Nicht nur am Praterster­n stelle die Exekutive aber verstärkt fest, dass sich jugendlich­e Gruppierun­gen vermehrt bewaffnen, um ethnische oder interkultu­relle Konflikte auszutrage­n. „Wir haben mehrere Vorfälle gehabt, wo auch Messer im Spiel waren. Das ist eine Beobachtun­g, die wir seitens der Polizei bestätigen müssen.“

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Ein mittlerwei­le gewohntes Bild: Polizisten umzingeln am Bahnhof Wien-Praterster­n zwei Personen mit Migrations­hintergrun­d und führen eine Identitäts­kontrolle durch.
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Foto: Heribert Corn Polizeidie­nsthundeei­nheiten sind ebenfalls unterwegs.

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