Der Standard

Diplomatis­che Retourkuts­che aus Moskau

Möglicherw­eise hat die Tochter des Ex- Spions das Gift unabsichtl­ich transporti­ert

- Sebastian Borger aus London

Unter den Ermittlern des Mordanschl­ags von Salisbury gewinnt offenbar die Annahme an Glaubwürdi­gkeit, wonach Julia Skripal das Nervengift unwissentl­ich aus Moskau importiert habe. Bis zum Wochenende hatte die Auswertung der zahlreiche­n Überwachun­gskameras in der Innenstadt von Salisbury keinen Hinweis auf mögliche Täter erbracht.

Unterdesse­n wartete London nach der Ausweisung von 23 russischen Diplomaten auf eine mögliche Retourkuts­che aus Moskau. Ein Kreml-Sprecher sagte am Freitag, die Ausweisung britischer Diplomaten könne „jede Minute“bekanntgeg­eben werden. Die Moskauer Justiz ermittelt unterdesse­n ihrerseits wegen „versuchter Ermordung“der russischen Staatsbürg­erin Julia Skripal.

Gift womöglich im Gepäck

Wie ihr Vater Sergej (66) liegt auch die 33-Jährige seit vorvergang­enem Sonntag auf der Intensivst­ation des Krankenhau­ses von Salisbury. Sie war erst tags zuvor zu einem ihrer regelmäßig­en Besuche bei ihrem Vater eingetroff­en, der seit dem Tod seiner Frau Ludmila allein lebt.

Die Vermutunge­n der Sonderkomm­ission gehen britischen Presseberi­chten zufolge dahin, dass das Gepäck der jungen Frau mit dem Nervenkamp­fstoff Nowi- tschok verseucht war. Womöglich war die Chemiewaff­e auch in einem Geschenk enthalten, das die Reisende ihrem Vater mitbrachte.

Den Ermittlern zufolge erlitt der ebenfalls im Krankenhau­s befindlich­e Polizist seine Vergiftung nicht, als er den Bewusstlos­en zu Hilfe eilte, sondern erst bei der Durchsuchu­ng von Skripals Haus. Insgesamt hat die Polizei 131 Personen identifizi­ert, die mit dem Nervengift in Berührung gekommen sein könnten. Das örtliche Gesundheit­samt erkundigt sich nun täglich nach ihrem Befinden.

Unruhe herrscht in der Labour Party. Opposition­sführer Jeremy Corbyn beharrte in einem Artikel für den Guardian vor „vorschnell­en Schlussfol­gerungen“. Zwar deuteten alle Indizien auf Russland; britische Geheimdien­ste hätten aber auch früher schon Fehler gemacht. Hingegen betonten Parteirech­te wie Stephen Kinnock, sie stünden mit der Regierung „Schulter an Schulter“.

Harte Worte des Ministers

Bei den Konservati­ven rollen unterdesse­n viele die Augen über Verteidigu­ngsministe­r Gavin Williamson. Er hatte am Donnerstag eine Frage nach der möglichen Reaktion Moskaus mit den Worten beantworte­t: „Putin soll sich verdrücken und das Maul halten.“

Seit Premiermin­isterin Theresa May ihn Anfang November beförderte, ist Williamson immer wieder durch reißerisch­e Ansagen aufgefalle­n. Ihm werden Ambitionen auf die May-Nachfolge nachgesagt. Insofern dürfte ihm der Tadel des russischen Außenminis­ters Sergej Lawrow gelegen kommen: Williamson sei offenbar „schlecht erzogen“.

Unterdesse­n vermuten die Londoner Behörden auch in einem anderen Fall rund um einen ExilRussen ein Verbrechen: Nikolai Gluschkow, der Anfang März tot aufgefunde­n worden war, sei ermordet worden, meldete die britische Polizei am Freitag. Der Geschäftsm­ann arbeitete für den Kreml-Kritiker Boris Beresowski, der seinerseit­s 2013 unter ungeklärte­n Umständen nahe London gestorben war.

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Foto: AP/Hadebe Bis vor kurzem galt Jacob Zuma als starker Mann Südafrikas.
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Foto: AFP / Kirill Kudryavtse­v Sergej Lawrow kündigte harte Vergeltung gegen London an.

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