Der Standard

Widerstand im Schreiben

Rumänien im Fokus der Leipziger Buchmesse – Die Literaturs­zene des Landes hat es am Markt nicht leicht

- Michael Wurmitzer aus Leipzig

Bei rumänische­n Autoren müssen die meisten passen. In Statistike­n rangieren Übersetzun­gen aus dem Rumänische­n weit hinten, nur drei oder vier Bücher schaffen es jedes Jahr, auf Deutsch zu erscheinen. Als Gastland der Leipziger Buchmesse ist es heuer ein Vielfaches: 40 frische Titel liegen am Messestand auf.

Seit zehn Jahren ist Zsolnay aus Wien der Hausverlag von Mircea Cărtărescu, dem derzeit wichtigste­n und erfolgreic­hsten rumänische­n Schriftste­ller. Die OrbitorTri­logie (2007–2014) hat ihn berühmt gemacht, 2015 erhielt er den Leipziger Buchpreis zur Europäisch­en Verständig­ung. Die 1800 Seiten spielen vor dem Hintergrun­d des Ceaușescu-Regimes, der Revolution 1989, des so bedingten gesellscha­ftlichen Wandels.

Es ist oft die wechselvol­le Historie, die den Autoren, seien die Texte dann auch ironisch oder surreal, Stoff liefert. Viele wichtige Hervorbrin­gungen der letzten Jahrzehnte setzen sich kritisch mit ihr auseinande­r – nicht nur im OEuvre der Literaturn­obelpreist­rä- gerin Herta Müller (Atemschauk­el), deren Werke auch vom kommunisti­schen Regime handeln.

Im Original bereits 1984 erschienen, folgt Ştefan Agopians Handbuch der Zeiten nun spät die deutsche Ausgabe (Verbrecher­Verlag). Weil es im frühen 19. Jahrhunder­t spielt, erkannte die Zensur einst Aussagen zum Sozialismu­s darin nicht. Politik steckte oft auch zwischen Verszeilen. Denn wo Zensur, da Strafe.

Aufbau weniger Autoren

Eben sind Varujan Vosganians Als die Welt ganz war und Catalin Mihuleacs Oxenberg & Bernstein auf Deutsch erschienen, beide bei Zsolnay. Wegen der guten Resonanz auf Cărtărescu, so Verlagslei­ter Herbert Ohrlinger zum STANDARD, beschäftig­e man sich schon lange intensiv mit Rumänien. Dessen Kulturinst­itut fördere Übersetzun­gen zwar, trotzdem sei es ökonomisch nicht möglich, mehr als zwei oder drei in einem Jahresprog­ramm zu bringen. Man baut Autoren hierzuland­e erst auf.

Warum sie bisher wenig entdeckt sind? Der rumänische Buchmarkt ist mit knapp 19 Millionen Mutterspra­chlern klein, ebenso die Auflagen. Nur 60 Millionen Euro setzt die Branche jährlich um. Seit es Fernsehen als Realitätsf­lucht gibt, hat die Literatur massiv verloren. In Rumänien wird EU-weit am wenigsten gelesen, kaum ein Autor kann vom Schreiben leben. Der bekannte Lyriker Mircea Dinescu hat als Broterwerb eine TV-Kochshow.

Es gebe zwei bis drei große Verlage, so Ohrlinger, die er sich an- schaue. Ohne Kontakte zu Übersetzer­n ist man aber verloren. Sie helfen als Spürnasen. Der deutsche Buchmarkt als einer der weltgrößte­n kann den Versuch von Entdeckung­en noch am ehesten wagen.

Ernest Wichner, der Vosganian und Mihuleac für Zsolnay übersetzt hat und für den Übersetzun­gspreis dieser Buchmesse nominiert war, gab in einem Interview an, beide Bücher hätten „die Präsenz der Zeitgeschi­chte, des in der jüngeren Geschichte nicht ausreichen­d Bedachten, Aufgearbei­teten, Aufgeklärt­en“gemein.

Chaotisch, komplizier­t und damit hemmend sind die Zustände im Land immer noch: In zwei Jahren gab es fünf Kulturmini­ster. Ein Beispiel auf niedrigere­r Ebene ist der Schriftste­llerverban­d, der von jedem verkauften Buch zwei Prozent des Preises erhält, die Einnahmen aber als Stipendien intranspar­ent weitergibt. Prozesse sind anhängig, das Vertrauen der Autoren in ihre Vertretung erschütter­t. Kein Wunder, ist doch „rezist“ein vielerorts gegenwärti­ger Kampfbegri­ff: „Widerstehe­n“.

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Foto: APA / dpa / Arno Burgi Literaturn­obelpreist­rägerin aus Rumänien: Herta Müller.

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