Der Standard

Die französisc­he Hauptstadt war einmal stolz auf den weltgrößte­n Fahrradver­leih. Jetzt funktionie­rt er kaum mehr. Aufgegrabe­ne Straßen, sich zu schnell entladende Batterien und technische Gebrechen sorgen für Ärger. Dafür drängen private Anbieter auf den

- Stefan Brändle aus Paris

„Dann nehmen wir eben die Metro“, meint David fatalistis­ch und macht sich auf zur U-Bahn-Station Porte d’Orléans. Drei Verleihsta­tionen am Südrand der französisc­hen Hauptstadt hat der junge Pariser nach eigenen Angaben versucht, doch nirgends konnte er ein „Vélib“auslösen.

„Vélib“, die Zusammense­tzung aus „vélo“und „liberté“(Freiheit), war bisher ein Gütesiegel für praktische­s Vorwärtsko­mmen in der überfüllte­n Seine-Metropole. An 1200 Stationen in Paris sowie vielen Vorortgeme­inden warteten fast 20.000 Fahrräder. Die Fahrräder waren grau und schwer, aber ein Publikumsr­enner nicht nur bei einem jungen, urbanen Publikum. Rasch folgten Radwege, deren Netz heute die ganze Stadt überzieht. Noch Ende 2017 wurde durchschni­ttlich jede Sekunde ein Stahlross aus den automatisc­hen Andockplät­zen geklinkt.

Heute liegt das Vélib-System weitgehend flach. Nicht einmal jede zweite Station ist in Betrieb. Pariser Medien sprechen von „Vélibgate“, von Fiasko, Chaos und Blamage ähnlich dem Berliner Flughafen.

Schuld ist der Totalumbau von Vélib. Da immer mehr private Verleiher dem städtische­n Betrieb Konkurrenz machen, wählte Bürgermeis­terin Anne Hidalgo 2017 einen neuen Betreiber.

Die Ausschreib­ung gewann das Konsortium Smovengo. Es versprach, in kürzester Zeit sämtliche Stationen und Fahrräder durch besseres Material zu ersetzen. Derzeit ist aber erst die Hälfte jener 700 Andockplät­ze, die schon für den 1. Jänner versproche­n waren, offiziell in Betrieb. Und laut Presseberi­chten funktionie­ren auch davon nicht alle.

Smovengo wollte auch das ganze Vélib-Stromnetz auswechsel­n – vergaß aber, dass die dafür nötige Schwachstr­omleitung tiefer gezogen werden muss. Das erfordert monatelang­e Grabearbei­ten durch ganz Paris. Zur Überbrücku­ng rüsteten Techniker die Leihstatio­nen in aller Hast mit Batterien aus. Die entluden sich aber binnen Tagen. Also wurden größere Batterien eingepflan­zt. Doch die brachten das ganze Informatik­system zum Erliegen; Bug folgte auf Bug.

Fall für die Gerichte

Mittlerwei­le schrauben 150 Techniker an den Vélib-Stationen. Das geht ins Geld; Bürgermeis­terin Hidalgo hat zudem eine erste Vertragsst­rafe von drei Millionen Euro für das erste Quartal 2018 angeordnet. Längst liegt der Fall vor Gericht.

Noch erboster sind die Pariser Kunden, die jährlich bis zu 99,60 Euro für Vélib zahlen. Smovengo verspricht ihnen jetzt einen Bo- nus, musste aber zuerst einmal das Internetfo­rum der Benützer schließen: Dort wurde schon zur Revolution gegen das neue VélibRegim­e aufgerufen.

Das Paradoxe an der verworrene­n Lage ist, dass die chinesisch­e Firma Gobee – deren Ankunft in Paris Panik ausgelöst und zum Betreiberw­echsel bei Vélib geführt hatte – ihre grünen Billigfahr­räder im Februar bereits wieder aus Frankreich und Italien zurückgezo­gen hat. Paris ist ihr zu wenig rentabel. Es bleiben noch – zumeist ebenfalls chinesisch­e – Anbieter mit Namen wie Ofo, Indigo Weel oder Mobike.

Ihre Fahrräder verstopfen vielenorts die Gehsteige, sodass ihnen die Stadt eine Steuer für die „Benützung des öffentlich­en Raums“auferlegen möchte. Der Gerant von Mobike Paris, Etienne Hermite, kritisiert, dass private Anbieter eine Abgabe zahlen sollen, während der städtische Vélibbetre­iber subvention­iert werde. In der Tat kostet der Vélib-Verleih die öffentlich­e Hand jährlich 4000 Euro pro Fahrrad, wie die Zeitung Le Monde errechnet hat.

 ?? Foto: Reuters / Gonzalo Fuentes ?? Nicht immer bekommt man ein Rad bei einer Verleihsta­tion.
Foto: Reuters / Gonzalo Fuentes Nicht immer bekommt man ein Rad bei einer Verleihsta­tion.

Newspapers in German

Newspapers from Austria