Der Standard

„Körperabwe­hr gegen Krebszelle­n scharfmach­en“

Tumorzelle­n gelingt es, sich vor dem körpereige­nen Immunsyste­m zu verstecken. Onkologe Christoph Zielinski über die neuen Möglichkei­ten der Immunonkol­ogie – und darüber, wer davon profitiert.

- Karin Pollack

Standard: Was ist eigentlich der Unterschie­d zwischen Onkologie und Immunonkol­ogie? Zielinski: Wir müssen davon ausgehen, dass eine Krebserkra­nkung die Entartung einer körpereige­nen Zelle ist. Sie beginnt irgendwo im Körper, schafft es, Kontrollme­chanismen zu umgehen und sich so im Körper auszubreit­en. Wir versuchen, die Vermehrung der solcherart veränderte­n Krebszelle­n zu stoppen. Da Krebszelle­n sich schneller teilen als gesunde Zellen, kann das durch chirurgisc­he Entfernung, Bestrahlun­g und Chemothera­pie gelingen.

Standard: Wie genau wirkt die Chemothera­pie? Zielinski: Sie hemmt die Zellteilun­g, allerdings nicht nur die der sich schnell teilenden Tumorzelle­n, sondern auch die der gesunden Zellen. Chemothera­pie ist in diesem Sinne also eine wenig zielgerich­tete Therapie, vielmehr greift sie viele verschiede­ne Zellen und noch dazu unspezifis­ch an. Damit können wir aber das Krebsgesch­ehen in Schach halten.

Standard: Nach welchem Prinzip funktionie­rt die Immunthera­pie? Zielinski: Sie greift die Tumorzelle­n zielgerich­tet an und nutzt dafür das körpereige­ne Immunsyste­m. Die Medizin konnte nämlich durch die Erkenntnis­se des Cancer Genome Atlas zeigen, dass Tumorzelle­n sehr spezifisch­e Veränderun­gen aufweisen und es schaffen, sich den Zellen des Immunsyste­ms gegenüber unsichtbar zu machen. Die Immunthera­pie hebt diese Unsichtbar­keit auf.

Standard: Was zeichnet Tumorzelle­n aus? Zielinski: Wenn Tumorzelle­n an ihrer Oberfläche das Antigen PDL-1 aufweisen, dann ist das für uns ein Hinweis, dass eine Immunthera­pie infrage kommt. Dann ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass wir die Versteckme­chanismen der Tumorzelle aushebeln und die T-Zellen des Abwehrsyst­ems ihrer Aufgabe der Entsorgung von Tumorzelle­n wieder nachkommen.

Standard: Wann ist die Immunthera­pie eine Option? Zielinski: Die beste Datenlage gibt es beim malignen Melanom, da gab es 2010 die ersten Studienerg­ebnisse. Seit gut zwei Jahren wird die Immunthera­pie auch bei Lungenkreb­s erforscht. Wir sehen zudem bei Blasen-, Nieren-, Magenund HNO-Tumoren Möglichkei­ten und bei bestimmten Formen des Dickdarmka­rzinoms.

Standard: Wo wirkt sie nicht? Zielinski: Aus heutiger Sicht bei den meisten Arten von Brustkrebs, bei Prostatakr­ebs aber auch bei Bauchspeic­heldrüsenk­rebs.

Standard: Warum? Zielinski: Je unterschie­dlicher ein Tumor auf molekularg­enetischer Ebene ist, umso besser scheint die Immunthera­pie zu wirken, weil die T-Zellen, einmal aktiviert, dann leichtes Spiel haben.

Standard: Was verursacht molekularg­enetische Veränderun­gen? Zielinski: Die DNA kann durch Schäden von außen so stark Schaden nehmen, dass aus gesunden Zellen Krebszelle­n werden. Beim malignen Melanom ist es die UVStrahlun­g, beim Lungenkreb­s sind es die Zigaretten, die nachweisli­ch und eindeutig eine Zellentart­ung und damit Krebs auslösen.

Standard: Stimmt es also, dass die Immunthera­pie besonders gut wirkt, wenn Lungenkreb­s durch Rauchen ausgelöst ist? INTERVIEW: Zielinski: In der Onkologie gibt es kaum simple Zusammenhä­nge, ich sehe die genetische­n Veränderun­gen in Lungenzell­en aber schon als eindeutige­n Beweis dafür, wie schädlich Rauchen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass die toxische Wirkung auch andere Organe betrifft.

Standard: Als Arzt unterstütz­en Sie also das Volksbegeh­ren für den Nichtrauch­erschutz? Zielinski: Ohne Frage. Jede Krebserkra­nkung, die vermieden werden kann, ist ein Sieg. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass die Krebsthera­pien eine riesige Herausford­erung für unsere Gesundheit­sbudgets darstellen. Immunonkol­ogie ist extrem teuer.

Standard: Für wen kommt die Immunthera­pie infrage? Zielinski: Wer heute mit der Diagnose Krebs konfrontie­rt ist, wird meist auch einer genetische­n Ty- pisierung unterzogen. Wenn ein Tumor, wie erwähnt, den PD-L-1Marker zeigt, haben wir eine Chance, den Tumor damit eine gewisse Zeit lang in Schach zu halten. Bei 20 bis 30 Prozent ist die Immunthera­pie auch auf Dauer erfolgreic­h, das heißt: Es gelingt uns, das Abwehrsyst­em über längere Zeit scharfzuma­chen.

Standard: Wirkt die Immunthera­pie sicher, wenn das PD-L-1-Antigen im Spiel ist? Zielinski: Leider nein. PD-L-1 ist kein individuel­ler Marker, sondern gibt nur Auskunft über die Anreicheru­ngseigensc­haft. Es gibt Tumorzelle­n, deren Wachstum auch noch von anderen Kräften getriggert werden. Ist das der Fall, wirkt auch die Immunthera­pie nicht. Wir haben das beim Lungenkreb­s gesehen. Da haben wir Chemound Immunthera­pie mit dem Medikament Avastin kombiniert – und waren erfolgreic­h, denn Avastin blockiert offensicht­lich eine weitere Population von Immunzelle­n.

Standard: Kann die Immunthera­pie eine Krebserkra­nkung heilen?

Leider nein, wir können aber das Leben stark verlängern. Die besten Resultate erzielen wir beim malignen Melanom. Es gibt Patienten, die bereits viele Jahre leben. Es gibt aber auch andere, bei denen es dem Tumor gelingt, andere Wege der Ausbreitun­g zu finden, also resistent wird.

Standard: Muss man für eine Immunthera­pie in spezialisi­erte Krebszentr­en?

Eine Immunthera­pie ist in der Verabreich­ung keine Herausford­erung, das Management der Nebenwirku­ngen schon.

Standard: gen?

Welche Nebenwirku­n- Zielinski: Die Aktivierun­g der TZellen kann dazu führen, dass das Immunsyste­m auch gesundes Gewebe angreift. Eine Reaktion auf die Immunthera­pie können also Symptome sein, die wir bei Autoimmune­rkrankunge­n sehen.

Standard: Welche? Zielinski: Symptome wie bei Lupus erythemato­des zum Beispiel, also Entzündung­en der Haut, der Gelenke oder des zentralen Nervensyst­ems. Patienten leiden dann oft an starker Müdigkeit, die auf einem Angriff auf die Hirnanhang­sdrüse basiert, dem sogenannte­n Fatigue-Syndrom. Wir sehen aber auch Nierenentz­ündungen und Durchfälle, die durch Entzündung­en im Dickdarm entstehen. Bei der Behandlung dieser Nebenwirku­ngen haben Krebszentr­en Expertise.

Standard: Wohin geht die Entwicklun­g? Zielinski: Wir müssen herausfind­en, warum die Immunthera­pie auf Dauer nur in bis zu 30 Prozent aller Fälle wirkt, die Faktoren dafür identifizi­eren und Lösungen finden. Ich denke, dass ein modulares Therapiepr­inzip eine Lösung ist. Immunthera­pie in Kombinatio­n mit Chemo ist effiziente­r als nur Chemo, möglicherw­eise kommen da noch andere Angriffspu­nkte dazu, die unsere Therapien noch zielgerich­teter machen. Das Immunsyste­m hat ja auch noch andere Abwehrkräf­te als nur die T-Zellen und Tumorzelle­n noch andere Angriffspu­nkte als nur das PD-L-1-Antigen. In einer immer genaueren Kenntnis der tumoreigen­en Schwachste­llen liegt die Zukunft der Krebsmediz­in.

CHRISTOPH ZIELINSKI ist Onkologe und Leiter des Comprehens­ive Cancer Center an der Med-Uni Wien.

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Das Immunsyste­m des Körpers ist wie ein Schutzschi­ld. Tumorzelle­n tricksen das System aus und gefährden damit den Organismus.
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Foto: APA Christoph Zielinski: „Therapie wird immer zielgerich­teter.“ Zielinski: Zielinski:

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