Der Standard

Mit weniger Chemo behandeln

Bei der Behandlung hartnäckig­er Formen von Morbus Hodgkin bekommt die Chemothera­pie gerade Konkurrenz – ein zielgerich­tetes Medikament hat seine Wirkung gerade unter Beweis gestellt, Nebenwirku­ng hat das neue Medikament aber auch.

- Karin Pollack

Wien – Von Paradigmen­wechsel in einer Therapie sprechen Mediziner immer erst dann, wenn sich eine Behandlung substanzie­ll verändert. Für Patienten mit einem im fortgeschr­ittenen Stadium diagnostiz­ierten Morbus Hodgkin, einer bösartigen Erkrankung des Lymphsyste­ms, könnte das gerade der Fall sein. „Seit fast vier Jahrzehnte­n wird diese Erkrankung mit demselben chemothera­peutischen Cocktail aus vier Medikament­en behandelt – jetzt gibt es Evidenz, dass wir in bestimmten Konstellat­ionen dieses Regime verändern sollten“, sagte Joseph M. Connor, klinischer Direktor des kanadische­n Krebszentr­ums in Vancouver, British Columbia. Grund für diesen Satz waren die Ergebnisse der von Connor federführe­nd geleiteten Echelon-1-Studie, einer internatio­nalen randomisie­rten Untersuchu­ng, bei der die Wirkung eines neuen Medikament­s evaluiert wurde.

Zu den Fakten: Die Behandlung von Morbus Hodgkin ist eigentlich eine Erfolgsges­chichte in der Medizin. Zwei Drittel aller Patienten können nämlich mit dem Chemo-Cocktail erfolgreic­h behandelt werden. Das heißt: Wenn sie die sechs Monate dauernde Chemothera­pie hinter sich haben, sind sie geheilt. Doch bei einem kleinen Prozentsat­z kommt die Erkrankung wieder. Der bisherige Fahrplan für diese Situation: eine erneute Chemothera­pie und eine Stammzellt­ransplanta­tion. Letzteres heißt: eine Hochdosis Chemothera­pie mit anschließe­nder Gabe von eigenen Knochenmar­kstammzell­en, welche zuvor in einem speziellen Verfahren gewonnen werden müssen. Doch selbst dann: „Bei einem kleinen Prozentsat­z der Patienten hilft auch das nicht“, berichtet Johannes Drach, Ärztlicher Direktor der Privatklin­ik Confratern­ität und Lymphom-Spezialist.

Neuer Mix

Die letzte Bastion für diese Patienteng­ruppe ist ein neues Medikament namens Brentuxima­b Vedotin, eine Art trojanisch­es Pferd für bösartige Lymphzelle­n. Diese Krebszelle­n tragen nämlich ein einmaliges Merkmal auf ihrer Zellhülle, das sogenannte CD30Antige­n. Das neue Medikament hat die Fähigkeit, sich an dieses Antigen anzuheften, daraufhin öffnet sich die Zellwand und der in diesem Medikament enthaltene Wirkstoffm­ix dringt in die Tumorzelle ein und vernichtet sie. „Chemothera­pie zerstört nach dem Gießkannen­prinzip sämtliche Zellen, auch die gesunden. Dieses Medikament jedoch greift nur ganz gezielt Krebszelle­n an und ist damit wirklich zielgerich­tet“, erklärt Drach. Nach bisherigen Erfahrunge­n konnte das Medikament Morbus-Hodgkin-Erkrankte, bei denen die Standardth­erapie keine Wirkung mehr zeigte, in einen Zustand bringen, in dem sich ihre Krebszelle­n nicht mehr vermehren – ein Fortschrit­t in der Krebsmediz­in.

Es lag also auf der Hand, das Medikament nicht nur in den Härtefälle­n, sondern allgemein in der Erstbehand­lung von Morbus Hodgkin einzusetze­n, um zu sehen, inwiefern sich Rückfälle und Stammzellt­ransplanta­tionen dadurch allgemein reduzieren lassen. Das Ergebnis der Echelon-1- Studie, das im Dezember 2017 im New English Journal publiziert wurde: Das Therapieve­rsagen konnte durch Brentuxima­b Vedontin um 23 Prozent reduziert werden. „zumindest für 24 Monate, denn das ist bislang der Beobachtun­gszeitraum der Studie“, schränkt Drach ein, der in diesem Erfolg allerdings noch eine weitere Weichenste­llung sieht. „Wir sehen in der Hämatologi­e einen Trend weg von den Chemothera­peutika“, sagt er. Denn im Echelon-Studienset­ting ersetzte Brentuxima­b Vedontin ein besonders aggressive­s Chemothera­peutikum, nämlich Bleomycin.

„Im neuen Therapiepr­otokoll wird das neue Medikament nur mehr mit drei statt bisher vier chemothera­peutischen Begleitmed­i- kamenten eingesetzt, denn Brentuxima­b Vedotin alleine würde nicht funktionie­ren“, so Drach. Das Problem an Bleomycin sei zudem, dass es bei einigen wenigen Patienten zu schweren Lungenprob­lemen führt und vor allem von älteren Patienten schlechter vertragen würde. Für genau diese Patienten habe man jetzt eine neue Option, so der Hämatologe, die Verminderu­ng der Lungentoxi­zität durch das neue Schema sei ein Riesenfort­schritt.

Andere Nebenwirku­ngen

Dass das neue Medikament vollkommen unproblema­tisch sei, würde er aber nicht sagen. Brentuxima­b Vedontin hat sein eigenes Nebenwirku­ngsspektru­m. Es führt zu einem starken Verlust der weißen Blutkörper­chen, einer sogenannte Neutropeni­e, die vermehrt bakteriell­e Infekte begünstigt. „Da können wir aber medikament­ös durch Wachstumsf­aktoren gegensteue­rn“, so Drach.

Wesentlich stärker beeinträch­tigend sei aber die Schädigung der Nervenende­n in den Fingern und Zehen, die die Feinmotori­k beeinfluss­t. Diese sogenannte Neuropathi­e verginge zwar mit der Zeit wieder, sei aber für Patienten äußerst unangenehm. Vor einem verstärkte­n Einsatz wolle er allerdings noch die Langzeitwi­rkungen des neuen, zielgerich­teten Medikament­s abwarten.

In seiner Funktion als Klinikchef „sind vor allem die Kosten für dieses neue Medikament toxisch für unsere Budgets“, räumt er ein. Das Argument der Hersteller, dass sich durch die neue Behandlung die ebenfalls sehr kosteninte­nsive Stammzellt­ransplanta­tion reduzieren ließe, greife zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, so Drach. Eine Zeitlang würde man ja parallel fahren müssen, weil Fortschrit­te in der Krebsmediz­in immer nur etappenwei­se passieren. So auch bei Morbus Hodgkin. Eine neue Ära ist eingeläute­t, aber noch haben weder die Chemothera­pie noch die Stammzellt­ransplanta­tion für die hartnäckig­en Erkrankung­sformen ausgedient.

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Foto: iStock Statt vier nur drei Chemothera­peutika plus ein neuer Wirkstoff.
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DI Dr. Clemens Schödl

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