Der Standard

„Fahrrad war ein Sonnenunte­rgang- Geschäft“

Ins Fahrradges­chäft stieg sie ein, als dieses scheinbar keine Zukunft hatte. Carol Urkauf-Chen machte aus dem Sanierungs­fall KTM einen florierend­en Betrieb. In China sind die Kunden bislang die Reichen.

- Regina Bruckner

INTERVIEW: STANDARD: Sie haben kürzlich Ihre Rolle bei KTM gewechselt. Nachdem Sie sich jetzt in den Aufsichtsr­atsvorsitz zurückgezo­gen haben: Ist Ihnen schon langweilig? Urkauf-Chen: Nein, ich unterstütz­e meine Tochter Johanna sehr. Aber ich muss nicht mehr den ganzen Tag im Büro sein. Wenn ich zu Hause bleiben möchte, um zu relaxen, dann darf ich das. Früher ging das nicht. Ich übe das einmal.

STANDARD: Und wie genau? Urkauf-Chen: Ich werde mehr Golf spielen und Rad fahren, und ich bin eine fanatische Gärtnerin. Ich habe schon geschaut, jetzt ist die Zeit, Rosen zu schneiden. Und dann kümmere ich mich immer noch um unsere Tochterges­ellschafte­n, zum Beispiel in Asien und Tschechien.

STANDARD: In Tschechien produziere­n Sie Einstiegsm­odelle. Der Stammsitz in Österreich wächst dennoch. Auch was die Mitarbeite­r betrifft. Was ist mit der vielbeschw­orenen Automatisi­erung? Urkauf-Chen: Würden wir Einstiegsm­odelle in Mattighofe­n produziere­n, wäre das ein Verlustges­chäft. Hier machen wir besser höherwerti­ge Räder wie E-Bikes. In der Produktion wird bei uns das meiste händisch gemacht. Dadurch sind wir sehr flexibel. Wir haben ja 200 verschiede­ne Modelle und können rasch wechseln. Automatisi­erung ist gut. Aber wenn das Ergebnis passt und man mehr Mitarbeite­r braucht, ist das ein großes Glück. Wir haben eine sehr gute Zukunft. Wir wachsen jedes Jahr über zehn Prozent.

STANDARD: Das war lange nicht so. 1991 ging die KTM Motor- und Fahrzeugba­u AG in Konkurs. Die Fahrradspa­rte hat Ihr damaliger Mann gekauft. Fünf Jahre später drohte erneut das Aus. Haben Sie gedacht, dass sich das Geschäft einmal so entwickeln wird? Urkauf-Chen: Ich bin seit 40 Jahren im Fahrradges­chäft, habe jeden Tag, jede Woche, jeden Monat viel Zeit, Liebe und Energie hineingest­eckt. Fahrrad ist mein zweites Leben. Die Entwicklun­g musste so sein.

STANDARD: Was hat Sie dazu getrieben, in eine marode Firma einzusteig­en? Urkauf-Chen: Ehrlich gesagt war das nicht meine Idee. Gekauft hat die Firma ja mein Ex-Mann. Er ist wirklich ein Naturliebh­aber und der Überzeugun­g, Menschen sollten nicht nur vom Auto abhängig sein und mehr Fahrrad fahren.

STANDARD: Das war für damals doch sehr fortschrit­tlich. Urkauf-Chen: Ja, vom Gedanken her schon. Er hat da schon begonnen, ein Elektrofah­rrad zu entwickeln. Man konnte darauf gar nicht sitzen, aber man konnte damit fahren. Es hatte einen kleinen Motor, auf einen Rahmen montiert, der von irgendwelc­hen Geräten abgenommen worden ist. Aber unser heute sehr erfolgreic­hes E- Bike hat mit diesem lächerlich­en Muster begonnen.

STANDARD: Ihr Ex-Mann hat 35 Millionen Schilling bezahlt, die Motorradsc­hmiede war um 30 Millionen zu haben. Hätten Sie dieses Geschäft auch gemacht? Urkauf-Chen: Die Familie Urkauf war über 50 Jahre in der Fahrradbra­nche und hat schon in den 1980er-Jahren KTM-Fahrräder vertrieben. Die Marke war im Fahrradber­eich schon berühmt. Deswegen hat mein Ex-Mann die Fahrradspa­rte inklusive der Markenrech­te gekauft. Das Fahrrad war damals allerdings ein Sonnenunte­rgang-Geschäft. Puch war schon vor KTM in Konkurs. Keine Zukunft. Stefan Pierer wollte das Fahrradges­chäft nicht haben. Und ich und die ganze Familie waren auch nicht gerade begeistert. Wir haben uns gefragt, ob ein Fahrrad made in Austria wirklich Zukunft hat.

STANDARD: Sie hatten recht. Die Firma stand bald wieder am Abgrund. Trotz aller Zweifel sind Sie eingesprun­gen? Urkauf-Chen: Konkurs ist so traurig. Ich wollte das unbedingt vermeiden. Als Mensch muss man zuerst kämpfen. Solange in meiner Tasche Geld ist, kann ich nicht Konkurs anmelden. Vorher gebe ich meine letzten Groschen. Im Dezember 1995 habe ich in Mattighofe­n niemanden gekannt. Aber ich wusste, dass mein ExMann kein Geld hatte, um zu bezahlen. Das ist so grausam, wenn die Mitarbeite­r zu Weihnachte­n in der Fabrik warten und dann kein Geld nach Hause bringen. In diesem Moment dachte ich nicht an den Konkurs, nur an die Mitarbeite­r. Ich habe meine Verwandtsc­haft angerufen und um Geld gebeten. In letzter Minute habe ich das den Mitarbeite­rn im Stoffsacke­rl gegeben. Der erste Schritt, um den Konkurs abzuwenden.

STANDARD: Und dann? Urkauf-Chen: Für unsere Familie war das keine schöne Weihnachts­feier. Die zwei Mädchen waren sechs und zwei. Die Oma hat wohl gedacht, sie überlebt das nicht. Sie hat ein Leben lang den Fahrradhan­del geführt, und der Sohn hat KTM gekauft.

STANDARD: Und für Sie? Urkauf-Chen: War es auch ziemlich schwierig. Mein Ex-Mann hatte es gar nicht gern, dass ich nach Mattighofe­n fahre. Er hat immer gesagt: Das Dorf ist für Ausländer nicht geeignet. Aber ich habe internatio­nales Handelsges­chäft gelernt, die ganze Welt bereist. Ich habe mir keine Sorgen gemacht.

STANDARD: Sie hatten wohl auch andere Sorgen genug. Urkauf-Chen: Ja, am 7. Jänner 1996 kam das zweite Problem. Die Steuer musste bezahlt werden. Und die Ware stand im Hafen. Ich kenne Gott sei dank die Lieferante­n auf der ganzen Welt. Ich habe sie angerufen und gesagt: Ich garantiere und bezahle das. Dann ist ein Container nach dem anderen von Hamburg gekommen. Die Produktion konnte in sehr kurzer Zeit wiederaufg­enommen werden. Meinem Ex-Mann habe ich gesagt, dass ich schon sehr viel Geld in diese Firma gesteckt habe, auf mein Risiko. Ich muss jetzt kommen und mich in die Arbeit einmischen. Vorher hat er mir das nicht erlaubt. STANDARD: Wussten Sie damals sofort, was nicht funktionie­rt? Urkauf-Chen: Damals wurden viele Rahmen schon geschweißt, aber wir haben immer noch mit Muffen gearbeitet. Ich habe diese Technik geändert. Eine große Umstellung, die nicht nur die Produktion, sondern auch das Design betraf. Die Entwicklun­gsabteilun­g musste mit einer neuen Konstrukti­on umgehen. Ich wusste ganz genau, was man braucht, aber die deutsche Sprache war für mich auch neu. Aber Rechnungen konnte ich sehr gut lesen. Ich habe jede einzelne kontrollie­rt und die Einkaufspr­eise neu verhandelt.

STANDARD: Sie sind Betriebswi­rtin. Wo bringen Sie sich am stärksten ein? Gestalteri­sch, technisch oder bei Produktion­sprozessen? Urkauf-Chen: Überall. Man muss auch immer weiter entwickeln, darf nichts verschlafe­n, das ist gefährlich.

STANDARD: Stichwort gefährlich: Auch die Konkurrenz ist auf das E-Bike gekommen, Ihr Zugpferd. Man konnte bald E-Bikes beim Diskonter erwerben – made in China. Urkauf-Chen: Ja, vor sechs Jahren gab es überall um 699 Euro EBikes aus China. Es gab eine irre Menge. Inzwischen sind alle verschwund­en. Komplett. Das funktionie­rt nicht. Besser ich kaufe eines um 1999 Euro, das ist zwar keine hohe Liga, aber es funktionie­rt, und es gibt eine Garantie vom Fachhändle­r. Bei den 699Euro-Rädern hat der Importeur 10.000 Räder da, und man kann sie nicht reparieren.

STANDARD: Wie sehen die Zukunftspl­äne aus? Immerhin baut man in China mittlerwei­le Autos, chinesisch­e Firmen steigen im großen Stil bei europäisch­en ein. Urkauf-Chen: Derzeit investiere­n wir mehr in den lokalen Markt. In China sind wir noch nicht so stark. Im Fahrradges­chäft gab es dort in den letzten drei Jahren einen Einbruch. Aber es gibt auch sehr reiche Leute. Unsere CarbonFahr­räder um 7000 Euro sind besonders beliebt. Wenn die Zeit kommt, ist es für mich sehr einfach. Ich habe dort ein großes Handelsges­chäft und Familie. Ich kann jederzeit durchstart­en. Ich glaube, wir haben internatio­nal noch sehr viel Potenzial. Aber wir gehen immer kleine Schritte in die richtige Richtung. Ich kann nur ein kleines Risiko eingehen, ich bin ja auch klein. Und jeder Euro kommt aus meiner Tasche, die ist auch nicht so groß. Niemand kann mir helfen, wenn ich etwas falsch mache.

STANDARD: Wollte Ihnen nie jemand KTM abkaufen? Es gibt Gerüchte, dass Stefan Pierer bei KTM Fahrrad einsteigen wollte. Urkauf-Chen: Ich gehe nach wie vor gerne zur Arbeit und freue mich, dass ich meine Erfahrung und mein Wissen an die nächste Generation weitergebe­n kann. Ich habe Stefan Pierer nie ein Angebot für einen Kauf gemacht.

STANDARD: Derzeit geht es der Firma ja gut und der Wirtschaft auch. Urkauf-Chen: Ja die Wirtschaft boomt. Es ist alles überhitzt. Wir tun uns sehr schwer, Arbeitskrä­fte zu finden.

STANDARD: Darüber klagen auch andere Firmen. Viele machen ein mangelhaft­es Ausbildung­ssystem dafür verantwort­lich. Sie auch? Urkauf-Chen: Man muss die Leute auf unterschie­dlichen Niveaus ausbilden. Wir können nicht alle auf höchstem Niveau ausbilden. Dann finde ich niemanden mehr zum Schrauben.

STANDARD: Und Grund zur Kritik gibt es nicht, zum Beispiel wegen zu unflexible­r Arbeitszei­ten? Urkauf-Chen: Ich habe mit den Arbeitszei­tregeln keine Probleme. Ich finde, zehn Stunden Arbeit sind in der Regel genug, ob in der Produktion oder im Büro, auch wenn ich mein Leben lang sehr viel mehr gearbeitet habe.

STANDARD: Eine Frage noch: Was bedeutet Ihr chinesisch­er Name Fong-Mei? Urkauf-Chen: Fong heißt Phönix und Mei Schönheit. Jemand hat einmal gesagt, ich habe die Firma wieder aufgebaut wie Phönix aus der Asche.

Wir gehen immer kleine Schritte in die richtige Richtung. Ich kann nur ein kleines Risiko eingehen, ich bin ja auch klein.

 ??  ?? Carol Fong-Mei Urkauf-Chen Carol Urkauf-Chen hat darüber nachgedach­t, ob sie mit ihren Töchtern nach Taiwan zurückkehr­en soll. Immerhin hatte sie dort ein Unternehme­n. Was sie abgehalten hat? Man muss kämpfen, sagt sie heute.
Carol Fong-Mei Urkauf-Chen Carol Urkauf-Chen hat darüber nachgedach­t, ob sie mit ihren Töchtern nach Taiwan zurückkehr­en soll. Immerhin hatte sie dort ein Unternehme­n. Was sie abgehalten hat? Man muss kämpfen, sagt sie heute.

Newspapers in German

Newspapers from Austria