Der Standard

Die Facebook-Gruppe „Wien verschenkt“hat mehr als 100.000 Mitglieder. Von Kleidung über Möbel bis zu Spielzeug findet hier Gebrauchte­s dankbare neue Besitzer.

- Lara Hagen

Mauro Agosti hat noch kein Glück. Seinen selbstgeba­uten Kleidersch­rank aus Spanplatte­n – auf den rot bemalten Türen steht „Wien Vienna Wean“– möchte niemand geschenkt haben. Immerhin bekommt er für das Foto des Trumms ein paar Likes, und eine Frau schreibt darunter „Der ist cool. Leider hab ich keinen Platz, aber sagen wollt ich’s dir!“

Das entspannt-nette Geplauder findet in der Facebook-Gruppe „Wien verschenkt“statt. Die Gruppe zählt mittlerwei­le 100.000 Mitglieder. Wer etwas loswerden will, das für ihn selbst nur noch Glumpert ist, macht damit ein anderes Gruppenmit­glied höchstwahr­scheinlich glücklich. Das war zumindest die Gründungsi­dee. Mittlerwei­le kümmern sich sechs Administra­toren – alles langjährig­e Freunde – darum, dass sich alle an die Spielregel­n halten. Zu posten, was man sich wünscht, geht nicht. Werbung jeglicher Art soll es in der Gruppe auch nicht geben. Tiere sind tabu.

Ansonsten findet sich in „Wien verschenkt“wirklich alles Mögliche. An einem beliebigen Donnerstag­nachmittag könnte man zum Beispiel Besitzer einer ganzen Kakteen-Sammlung, eines kaputten Röhrenfern­sehers, von Liederbüch­ern für den Religionsu­nterricht, schon etwas abgewetzte­n Schlüssela­nhängern aus Plüsch, einigen Schreibtis­chen und Kleiderkäs­ten, einem Handtuch mit aufgedruck­ter Diddl-Maus oder 50 Stück Marmeladeg­läsern mit Deckel werden. 450 ähnliche Beiträge wurden in den letzten sieben Tagen in der Gruppe geteilt, pro Monat sind es knapp 2000.

Neue Begegnunge­n

Wer sich das Geschehen in der Gruppe genauer ansieht oder mit Leuten spricht, die öfter Dinge verschenke­n, bemerkt schnell, dass die Gruppe eine eingeschwo­rene Gemeinscha­ft ist. Tatjana Novak zum Beispiel klickt seit drei Jahren immer wieder rein. Sie verschenke alles Mögliche, was sie privat, aber auch beruflich nicht mehr brauchen kann. Weil sie für eine Filmproduk­tion arbeitet, kommt einiges zusammen. „Einmal habe ich Tee angeboten, der war in einer Supermarkt-Szene im Hintergrun­d zu sehen. Das wollte sofort jemand haben“, sagt Novak. Vor der Haustür trifft sie ganz unterschie­dliche Leute – von Studenten bis zu jenen, die es sichtlich schwer im Leben haben würden. Bei der Übergabe komme sie dann manchmal mit den Leuten ins Plaudern. „Den Kontakt zu Menschen finde ich besonders schön. Würde ich die Sachen einfach zum Müllplatz bringen, wäre es einfach nicht das Gleiche.“

Ganz ähnlich geht es Felicitas Göppner. Sie sei eher die, die verschenkt, sagt sie. „Ich habe aber auch schon zwei- oder dreimal was abgeholt.“Wenn sie etwas loswerden will, macht sich Göppner entweder eine Uhrzeit mit den Menschen aus, die ihre Sachen haben wollen, oder sie stellt sie vor dem Hauseingan­g ab, wo sie dann von den Auserwählt­en abgeholt werden können.

Dass fremde Menschen ihre Adresse kennen, bereitet ihr – wie auch Novak – keine Sorgen. „Im Gegenteil. Wenn ich mich extra bei der U-Bahn treffen müsste, wäre mir das wahrschein­lich zu mühsam“, sagt Göppner, die die Gruppe seit der Gründung intensiv nützt. Manche zeigen ihre Dankbarkei­t in Form von Schokolade oder Keksen, die sie ihr bei der Übergabe in die Hand drücken, andere melden sich Tage später mit Fotos ihrer ehemaligen Sachen in der neuen Umgebung und einem Danke. „Die meisten sind sehr lieb und dankbar, aber natürlich gibt es auch diejenigen, die sich nicht mehr melden oder gar nicht erst auftauchen.“

Das kennt auch Novak. Die Sachen dann noch mal in die Gruppe zu posten, einen neuen Abnehmer auszuwähle­n und die ganze Kommunikat­ion wiederhole­n zu müssen sei zwar mühsam. „Es steht aber in keiner Relation zum Mehrwert durch die Gruppe.“

Eine eigene Sprache

Dass es sich bei „Wien verschenkt“um eine eigene Community handelt, beweist auch, dass sich mit der Zeit eine ganz bestimmte Sprache und Insider-Witze etabliert haben. Die beiden häufigsten Antworten auf gepostete Angebote sind etwa „Ich bitte“bzw. „Stelle mich an“oder „PN“, was den Bieter darauf hinweisen soll, dass der Interessen­t diesbezügl­ich eine persönlich­e Nachricht im Chat geschriebe­n hat. Hat man als Bieter dann mit einem Mitglied einen Abholtermi­n vereinbar, wird der Beitrag meist mit „Reserviert“überschrie­ben. Und wenn es auch tatsächlic­h zur Übergabe kam, wird das Angebot wieder gelöscht.

Wie von Novak beschriebe­n, kommt es nämlich nicht immer zur Abholung. Die Vermutung liegt nahe, dass besonders diejeni- gen, die eine ganze Reihe an Posts hintereina­nder mit „Ich bitte“kommentier­en, nicht auftauchen. Novak und Göppner sehen sich deswegen genau an, wer Interesse an ihren Sachen bekundet und wählen dann diejenigen aus, die sie für zuverlässi­g erachten.

Die Administra­toren sind sich des Problems bewusst, versuchen aber, so gut wie möglich dagegen anzukommen. Auch, dass jeder Beitrag von Steininger & Co persönlich freigescha­ltet wird, soll Missbrauch für gewerblich­e Zwecke oder merkwürdig­e Grenzen halten.

Einmal bot jemand eine sehr schöne signierte Gitarre an. „Das kam mir schon komisch vor“, sagt Stefanie Steininger, eine der Administra­toren. In den Kommentare­n stellte sich dann heraus, dass hier das Lieblingss­tück eines Verflossen­en verscherbe­lt wurde, ohne dass der das wusste. „So was löschen wir dann. Seither haben wir in die Regeln geschriebe­n, dass wir keine Haftung übernehmen.“

Seit wenigen Wochen können die Administra­toren auch zustimmen oder ablehnen, wer der Gruppe beitreten will. Das soll noch höhere Qualität garantiere­n.

Wie viel Zeit für das Managen der Seite draufgeht, kann Steininger nicht einschätze­n. „Für uns ist es aber keine schwere Arbeit – und vielen Menschen wird damit Freude gemacht“, erklärt sie den Aufwand, dem sich sie und ihre fünf Freunde freiwillig stellen. All das geschieht zwischendu­rch, in Arbeitspau­sen, abends oder am Wochenende. Da werden dann Beiträge freigescha­ltet – oder eben nicht. „Letztens wollte jemand eine Matratze verschenke­n, da hätte ich nicht mal einen Hund darauf schlafen lassen.“

Manchmal muss man aber auch diejenigen schützen, die Fotos vom Zeug schicken, das sie loswerden wollen. Fernseher, etwa, ein sehr beliebtes Objekt. Viele Leute vergessen, dass sie beim Fotografie­ren des Kastls im Monitor gespiegelt sichtbar sein können. Das gebe den Administra­toren mitunter höchst interessan­te Einblicke, erzählt Steininger: „Manche machen das scheinbar spätabends, wenn sie nicht mehr viel oder gar nichts mehr anhaben. Da müssen wir immer sehr lachen – und bitten um ein neues Foto.“ Angebote in

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