Der Standard

„Der Rennsport muss nicht Leute töten“

Am 25. März beginnt in Australien die Formel-1-WM. Ex-Pilot und Kommentato­r Alexander Wurz kritisiert die politische­n Seilschaft­en in der Szene, kümmert sich um die Sicherheit und hofft auf eine spannende Saison.

- Martin Schauhuber

INTERVIEW: STANDARD: Was sollte jeder Zuschauer über die kommende Formel-1-Saison wissen? Wurz: Die spannende Frage wird sein, wie knapp Ferrari und Mercedes zusammenli­egen. Im vergangene­n Jahr war es eng, die Einschaltq­uoten weltweit sind gesund gestiegen. Wir gehen wieder zurück zum authentisc­hen Motorsport, der sich darum dreht, Rundenreko­rde aufzustell­en. Bei den Tests waren Ferrari und Mercedes knapp zusammen. Dann wird es sehr spannend, weil Fahrer, Ingenieure und Strategen unter Druck Fehler machen. Red Bull ist vom Bauchgefüh­l her noch zwei, drei Zehntel hinten nach, aber man darf sie nie unterschät­zen. Auf einigen Strecken sind sie wirklich sauschnell. Ich hoffe, dass da ein Dreikampf entstehen kann.

STANDARD: Wie zuverlässi­g sind die Tests? Hat Mercedes wirklich schon alles gezeigt? Wurz: Es ist ein ähnliches Bild wie im Vorjahr. Da hat jeder geglaubt, Mercedes blufft, und dann war Ferrari doch extrem schnell. In den Longruns hatte Mercedes einen leichten Vorteil, aber das sind Zeitbereic­he, in denen die tagtäglich­en Schwankung­en der Fahrer und Teams den Unterschie­d ausmachen können.

STANDARD: Für Laien erklärt: Wo versucht man, dieses Zehntel pro Runde aufzuholen? Wurz: Die Formel 1 ist grundsätzl­ich eine Formel der Aerodynami­k. Es gibt den Kompromiss aus Luftwiders­tand und Abtrieb: Du kannst in ein Auto viel Abtrieb hineinkons­truieren, dann bist du auf den Geraden langsam, weil du sehr viel Luftwiders­tand hast. Oder du machst es umgekehrt, bist auf den Geraden pfeilschne­ll, aber in den Kurven langsamer. Die Aerodynami­k macht sicherlich 70 Prozent der Rundenzeit aus. Dann gibt es an der Rennstreck­e das Arbeiten mit den Reifen, das muss man sich ein bisschen vorstellen wie das Wachs beim Skifahren. Das sind die letzten 30 Prozent.

STANDARD: Die Einführung des Überrollbü­gels Halo ist umstritten. Sie haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, ihn zu unterstütz­en. Wurz: Ich bin ein Fan von Sicherheit an sich. Die Formel 1 wurde in den vergangene­n 30, 40 Jahren immer sicherer, aber weltweit im- mer populärer. Es gibt keine Korrelatio­n: Der Rennsport muss nicht Leute töten oder schwer verletzen, um spektakulä­r und populär zu sein. Im Gegenteil: Es ist heutzutage für eine Dachorgani­sation wie die Fia nicht möglich, Sicherheit­sentwicklu­ngen zu ignorieren, nur weil es einigen Leuten optisch nicht gefällt. Eine kleine Vision für die Kritiker: Wenn wir die Autos sicherer machen, dann können wir in Zukunft mit 450 km/h durch Monaco düsen, wir können uns richtig ins Auto fahren und wenn es regnet, brauchen wir keine Rote Fahne.

STANDARD: Gibt es außer bei Red Bull noch eine Fahrerpaar­ung, auf die Sie besonders schauen? Wurz: Red Bull hat wirklich eine lässige Paarung mit Daniel Ricciardo und Max Verstappen, da ist immer Spannung drinnen. Das Team macht das auch sehr gut, sie lassen beide einfach fahren und hängen nicht zu viele Teamorders und Maulkörbe um. Ich bin auch gespannt, wie Bottas mit Hamilton umgeht. Wir wissen, wie stark Hamilton ist, wenn er mental gut drauf ist. Wenn er aber mental angeknacks­t ist, kann er auch nicht nur einen, sondern gleich drei Schritte zurückmach­en.

STANDARD: Wer ist die vierte Kraft? Wurz: Haas. Im Prinzip haben sie einen letztjähri­gen Ferrari, der hat ja gut funktionie­rt. Haas war in den vergangene­n Jahren beim Reifeneins­tellen sehr gut. Sind sie standfest, können sie für Aufmerksam­keit sorgen. Sonst Renault, weil sie als Werksteam im Aufwärtstr­end sind. Im Grunde ist das Mittelfeld aber zu eng beisammen, um es vorherzusa­gen.

STANDARD: Wie unterschei­det sich für Sie als Präsident der Fahrervere­inigung GPDA das Leben mit Liberty Media von jenem mit Bernie Ecclestone? Wurz: Es gibt Experten, die gewisse Abteilunge­n leiten und nicht nur eine Entscheidu­ngsperson. Einige Leute im Fahrerlage­r leiden, weil sie sich mit einer Person, die sie über Jahre kennengele­rnt haben, leichter getan haben. Liberty Media hat das Problem, dass es so viele alte Seilschaft­en, Verträge und Abmachunge­n gibt, dass man nicht einfach Tabula rasa machen kann. Ich glaube, dass ihre Version des Sports global wachsen kann. Aber zuerst müssen sie eine Hürde überspring­en, die bis 2020 sehr hoch ist – bis das Concorde Agreement mit den Teams ausläuft und neu verhandelt wird. Bis dorthin wird es mediales Säbelrasse­ln und einen Machtkampf geben, es ist nichts Anderes als bei Regierunge­n, Firmen oder allen anderen Sportarten. Es menschelt überall, jeder versucht, ein bisschen mehr zu haben. Im Sport sind wir grundsätzl­ich alle sehr ambitionie­rte, ehrgeizige Leute. Dann fällt das halt manchmal recht aggressiv aus, aber das ist alles normal.

STANDARD: Welche Änderungen würden Sie gerne sehen? Wurz: Da wird die Zeit zu knapp, da könnten wir ein Buch drüber schreiben. Wir müssen die schnellste­n Rennautos mit den besten Fahrern auf den coolsten Rennstreck­en haben. Das Feld muss ganz knapp zusammenli­egen, der Weltmeiste­r soll von mehr als zwei Teams kommen können. Dazu müsste man das politische System ändern. Entscheidu­ngen können zu einfach boykottier­t werden, die Fia kann das Reglement nicht mehr alleine machen. Das politische Votingsyst­em ist nicht fit für Wachstum. Das ist jedem klar – aber keiner will aufgeben.

STANDARD: Denken Sie, dass Liberty zu gravierend­en Änderungen bereit wäre? Zum Beispiel Serienwage­n? Wurz: Ja. Dann musst du entweder ein extrem striktes Reglement und ein Einheitsch­assis machen oder das Budget Cap. Da wird seit vielen Jahren diskutiert, wie du es umsetzt. Da muss einer mit der Kraft und Macht, aber auch mit dem nötigen Geschick durchgreif­en und das umsetzen.

ALEXANDER WURZ( 44) fuhr insgesamt 69 Rennen in der Formel 1 und erreichte für Benetton, McLaren und Williams je einen dritten Platz. Heute arbeitet der Niederöste­rreicher im Streckende­sign und Sicherheit­sbereich, in der Formel 1 berät er Williams, ist Co-Kommentato­r für den ORF und (seit 2014) Präsident der Fahrervere­inigung GPDA. Wurz berät zudem Toyotas Langstreck­en-Team und sprang jüngst als Testfahrer ein. pLangfassu­ng derStandar­d.at/Sport

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Weltmeiste­r Lewis Hamilton geht als Favorit in die Formel-1-Saison. Die ersten Herausford­erer dürften wieder Teamkolleg­e Valtteri Bottas und Ferrari-Pilot Sebastian Vettel sein.
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Foto: APA/Scheriau Alexander Wurz sieht die Macht der großen Teams kritisch.

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