Der Standard

„Sonst hätten ihn die Affen gestohlen und gegessen“

Bisher unbekannte Farbaufnah­men aus den 1960er-Jahren beschreibe­n das Leben der berühmten Schimpanse­nforscheri­n Jane Goodall, zu sehen am Samstag um 21 Uhr auf National Geographic.

- Sebastian Borger aus London

„Noch ein Film über mein Leben? Das braucht es doch wirklich nicht!“Ganz genau erinnert sich Jane Goodall an ihre spontane Reaktion auf die Bitte, die Abgesandte von National Geographic der weltberühm­ten Forscherin vorgetrage­n haben. Am Ende ließ sich Goodall, 83, doch erweichen von einem Argument, das schwer von der Hand zu weisen ist: Ihr Herzensanl­iegen, der Artenschut­z wilder Primaten, ja der Schutz des Planeten, braucht immer wieder frische Publizität. „Wir Menschen sind dabei aufzuwache­n, aber wir müssen mehr tun.“

Mit dieser Botschaft zieht die Wissenscha­fterin seit Jahren um die Welt. Derzeit verbringt sie viel Zeit damit, den Dokumentar­film Jane vorzustell­en, am Samstag um 21 Uhr im Abosender National Geographic im Angebot von Sky zu sehen. Dann steht die elegante, schlanke Dame in beiger Hose und rosa Rollkragen­pullover, das graue Haar streng zurückgekä­mmt, auf der Bühne und unterhält sich mit dem Regisseur Brett Morgen.

Die kühle Britin und der temperamen­tvolle Amerikaner könnten jederzeit in einem Kabarett auftreten, so profession­ell werfen sie einander die Bälle zu. Kaum hat Goodall ihre ursprüngli­chen Zweifel an dem Projekt vorgetrage­n, berichtet Morgen davon, wie „sehr, sehr zögerlich“er gewesen sei. „Ich sagte nur unter einer Bedingung zu: Ich würde das letzte Wort haben.“Goodall, amüsiert, wirf ein: „Aber das letzte Wort sollte doch ich haben!“

Unverkennb­ar haben die beiden Profis einander schätzen gelernt während der gemeinsame­n Arbeit an dem 90-minütigen Film. Wobei die Hauptarbei­t Morgen zufiel: Er musste aus 150 Stunden qualitativ hervorrage­nder, aber gänzlich ungeordnet­er Farbaufnah­men eine Ordnung herstellen, die einen Einblick in Goodalls fasziniere­ndes Leben ermöglicht. Die Filme hatten 50 Jahre lang im Archiv von National Geographic geschlumme­rt.

Entschloss­ene junge Frau

Es ist das Leben einer sehr entschloss­enen jungen Frau, die ihren Kindheitst­raum wahrmachte: „Seit ich acht, neun Jahre alt war, wollte ich in Afrika leben.“Mit 23 Jahren hatte Goodall genug gespart, um die Reise ins damals noch britische Kenia anzutreten. Drei Jahre später nahm sie den Auftrag an, im Urwald von Tansania das Verhalten von Schimpanse­n zu erforschen.

Ihre Beobachtun­gen im heutigen Gombe-Nationalpa­rk veränderte­n die menschlich­e Sicht auf Primaten: Goodall berichtete über Individuen mit Intelligen­z, Erinnerung­svermögen und hochentwic­kelten sozialen Fähigkeite­n, die Kriege führten und Artgenosse­n auffraßen. Ihre Bücher verkauften sich millionenf­ach. In mehr als 100 Staaten der Erde gibt es inzwischen Projekte der Aktion Roots & Shoots (Wurzeln und Sprössling­e), mit denen Kinder an die Bedeutung des Natur- und Artenschut­zes herangefüh­rt werden sollen.

Was für ein Leben! Was Goodall erlebt und geleistet hat, sollte immer wieder nacherzähl­t werden, zumal wenn man die Erzählung mit so außergewöh­nlichen Bildern leisten kann. Sie stammen von einem der besten Tierfilmer des vergangene­n Jahrhunder­ts, dem niederländ­ischen Baron Hugo van Lawick (1937–2002). Er drehte von 1962 an im Auftrag von National Geographic Hunderte von Stunden Dokumentar­material über Goodall und ihre damalige Schimpanse­nstation in Tansania.

Soundtrack von Philip Glass

Morgen hat sie mit Aufnahmen aus Goodalls Kindheit zusammenge­fügt und durch reflektier­ende Sequenzen aus einem langen Interview mit seiner Protagonis­tin umrahmt. Den Soundtrack lieferte US-Komponist Philip Glass. „Wenn man sich Glass leisten kann, dann nimmt man ihn natürlich“, findet Morgen. Aber anders als bei Koyaanisqa­tsi, der 1982 erschienen­en filmischen Zivilisati­onskritik, hat Jane die insistiere­nde, hämmernde Musik des berühmten Minimalist­en nicht nötig, im Gegenteil: Oft entsteht Lärm, wo tiefe Stille zu den berührende­n Bildern viel eindrucksv­oller wäre.

In Lawicks Aufnahmen stehen Goodalls Forschunge­n im Mittelpunk­t, natürlich. Die Liebe zu den Tieren ist unverkennb­ar, und behutsam wandelt sich der Film von der klugen Beobachtun­g einer außergewöh­nlichen Forscherin zu einer Liebesgesc­hichte auch unter Menschen. Sehr hübsch die Szene, als von der Fortpflanz­ung der Affen die Rede ist. Dann kommt ein Schnitt, und Goodall sagt: „Ich mochte ihn gern.“

Gemeint ist Lawick, der Kettenrauc­her und Perfektion­ist, der Goodall „zum Wahnsinn trieb“, offenbar nicht nur im negativen Sinn. Später zeigt der Film den gemeinsame­n Sohn Hugo, den Goodall bei ihren Forschunge­n mit in den Urwald nahm. „Wir bauten ihm einen großen Käfig, in dem er spielen konnte. Sonst hätten ihn die Affen gestohlen und aufgegesse­n.“

Da ist sie wieder, Goodalls lakonische Art, die im Verbund mit ihrer spürbaren stählernen Entschloss­enheit, Intelligen­z und Integrität diesen Film so überaus sehenswert macht.

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Ihre Beobachtun­gen veränderte­n die Sicht auf Primaten: Jane Goodall im Dokumentar­film „Jane“, am Samstag auf National Geographic zu sehen.

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