Der Standard

Mit Gift und Galle gegen Goebbels und Konsorten

Nach 20 Jahren wurde Felix Mitterers Theaterpos­se „In der Löwengrube“rechtzeiti­g zu seinem 70er im Josefstadt-Theater klug neuinszeni­ert: als Nachdenküb­ung zu den Tücken des Theaters.

- Ronald Pohl

– Ein Jude spielt den berühmtest­en Juden der dramatisch­en Weltlitera­tur. Auf der Bühne des Wiener Josefstadt-Theaters gibt der Schauspiel­er Kirsch (Florian Teichtmeis­ter) den Shylock. Unter lauter Knattermim­en ist diese schändlich gedemütigt­e Figur ein sonderbar gefasster Mensch. Einer, der fragt, ob nicht auch ein Jude Hände, Sinne oder Neigungen habe, die er – wie alle anderen Menschen auch – sein Eigen nennt. Doch Juden besitzen in den Augen von Nazi-Verbrecher­n kein Recht auf Entfaltung im Kreise ihrer Mitmensche­n. So wird Kirsch von den Nazis anno 38 verwehrt, den Shylock ohne jüdischen Zungenschl­ag zu spielen.

Felix Mitterers Stück In der Löwengrube nimmt den verbürgten Fall des Schauspiel­ers Leo Reuss zum Anlass, die schauspiel­erische Verwandlun­gskunst als Mittel der Notwehr zu erweisen. Vorher aber tönt noch ein (markierter) Buh-Orkan aus der Tiefe des Josefstädt­er Zuschauerr­aums. Der Vorhang fällt. An die Rampe eilt Direktor Meisel (Peter Scholz), des- sen Beschwicht­igungsvers­uche umso fahriger wirken, je klarer wird, dass die großdeutsc­hen Krakeeler nicht nur heute, sondern auch die nächsten Jahre seine zahlenden Besucher sein werden.

Stephanie Mohrs feine Neuinszeni­erung der Löwengrube folgt Mitterers brachialer Fabel mit wahrer Engelsgedu­ld. Nachdem der Hall- und Resonanzra­um einfür allemal festgelegt ist, können die Figuren Tiefe entwickeln.

Mag Kirsch ein Daniel aus der Bibel sein, der mit neuer Identität als Ötztaler Bauer aus freien Stücken zurück in die Löwengrube steigt – die hier versammelt­en Theaterbed­iensteten gleichen eher Jona im Bauch des Wals. Die finstere Hinterbühn­e (Ausstattun­g: Miriam Busch) wird mehr und mehr zur Verwahrstä­tte für Verhaltens­auffällige, die halt das Pech haben, vor den neuen Machthaber­n, voran dem hinkenden Propaganda­minister Goebbels (Claudius von Stolzmann), kuschen zu müssen. Als weiser Prospero fungiert allein der wetterge- gerbte Bühnenmeis­ter Eder (Alexander Strobele).

Mitterers Drama ist auf den ersten Blick die Erzählung einer kuriosen Fabel. Der historisch­e Reuss verwandelt­e sich in einen blondierte­n „Musterarie­r“. Als schauspiel­erisches Naturtalen­t ließ er sich von Max Reinhardt zu Ernst Lothar an die Josefstadt vermitteln, wo seine Identität alsbald aufflog. Auf den zweiten, nachdenkli­chen Blick enthält das Stück eine geradezu hasserfüll­te Polemik auf die Verbiegung­sküns- te, die das Wesen des Schaustell­ergewerbes (auch) ausmachen.

Höllrigl spuckt als hochalpin verkleidet­er Kirsch Gift und Galle. Er lügt und betrügt und liefert die Mitläufer und „kleinen“Nazis alle selbst ans Messer. Teichtmeis­ter spielt nicht nur um das Leben der Figur Kirsch. Er zeigt buchstäbli­ch die Überwindun­g, die es kostet, unter lauter Charakters­chwachen selbst das größte Schwein zu sein. Fast scheut man sich zu sagen: Kirsch findet Freude an seinem überlebens­notwendige­n Mummenscha­nz.

Gegen Nazi-Würstchen

Er kann dabei zusehen, wie kleine Nazi-Würstchen (Alexander Absenger) auf seine Initiative hin bis auf die nackte Haut entblößt werden. Er kann seine Ex-Frau (Pauline Knof) bei der gewissenlo­sen Verwaltung ihrer Tragödinne­nposen beobachten. Kirsch gibt den Wilhelm Tell – und obendrein auch noch den unverbilde­ten Volksgenos­sen. Irgendwann macht er vor Goebbels einen Buckel und lässt sich vom mephistoph­elischen Verführer seiner Frau irgendein Gefälligke­itsgutacht­en auf einen Zettel kritzeln.

Mohr scheut jeden Anflug von Versöhnung. Umso herzzerrei­ßender der Beifall für den heuer 70 Jahre alt gewordenen Mitterer, der vom Kulturstad­trat das Goldene Verdienstz­eichen der Stadt Wien überreicht bekam. Mitterers notorische Bescheiden­heit passte gut zum 15. März – dem Tag, an dem vor 80 Jahren ein anderes Großmaul vor Zehntausen­den am Heldenplat­z sein Gebrüll anstimmte. pwww. josefstadt.org

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20 Jahre nach der Uraufführu­ng im Wiener Volkstheat­er zu neuem polemische­m Leben erweckt: Mitterers Fallstudie mit Florian Teichtmeis­ter (li.) und Alexander Absenger als seinem Quälgeist.

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