Der Standard

Im Land der Widersprüc­he

Aktuelle und historisch­e Filmarbeit­en entwerfen bei der Grazer Diagonale vielfältig­e Bilder der Provinz

- Dominik Kamalzadeh Michael Pekler

– Auf Österreich schauen und zum Befreiungs­schlag ansetzen: Als Fritz Lehner 1981 sein Bergbauern­drama Schöne Tage drehte, musste dieser gewaltige, fürs TV entstanden­e Antiheimat­film wie ein großes Durchlüfte­n erschienen sein. „Das Dokumentar­ische waren die Menschen“, so Lehner anlässlich der Vorführung seines Klassikers, den er mit Laiendarst­ellern besetzt hatte. Basierend auf Franz Innerhofer­s Roman erzählt Lehner die Geschichte eines jungen Mannes, der in den 1950ern zum abgeschied­enen Hof des Vaters kommt und dort jahrelang verzweifel­t versucht, trotz der Gewalt und Bigotterie seine Identität zu bewahren. Und den Hof irgendwann als Mensch zu verlassen.

In der vom Filmmuseum verantwort­eten historisch­en Reihe Provinz unter Spannung bildete Schöne Tage einen exemplaris­chen Auftakt, der zeigt, wie das falsche Idyll von der sogenannte­n Provinz im österreich­ischen Nachkriegs­kino einer ungeschönt­en Perspektiv­e auf das Land wich: statt Kitsch aus dem lustigen Salzkammer­gut realistisc­he Gesellscha­ftsentwürf­e und wegweisend­e Produktion­en wie etwa Axel Cortis Fernseharb­eiten oder – ebenfalls zu sehen – Egon Humers Postadress­e: 2640 Schlöglmüh­l (1990) über das Arbeitslos­enleben nach der Schließung der niederöste­rreichisch­en Papierfabr­ik. Ein österreich­isches Filmerbe, dessen „Spannung“in der Konfrontat­ion mit der eigenen Vergangenh­eit besteht – nicht nur in Gedenkjahr­en.

Ein Filmfestiv­al lebt von solch historisch­en Wegweisern durch das aktuelle Programm, da sie nicht nur Traditione­n aufzeigen, sondern auch Verschiebu­ngen nachzeichn­en. Auch fragwürdig­e: Lehners Schilderun­gen über die goldenen Jahre des österreich­ischen Fernsehfil­ms („Heute sind wir wieder beim Bergdoktor“) erschienen einem bei Marvin Krens Grenzland mit Brigitte Kren als Ermittleri­n im Südburgenl­and wie ein mahnender Ruf: Im handwerkli­ch versierten, aber in der Erzählung schwer bedenklich­en TVKrimi des Blutgletsc­her- Regisseurs wird die Provinz zu jenem Ort, an dem sich die Einheimisc­hen in schlechtes­ter HillbillyT­radition zum Mob formieren, um Jagd auf einen mordverdäc­htigen Asylwerber zu machen.

Dass die Provinz längst globale Herausford­erungen kennt, wird in Nikolaus Geyrhalter­s jüngstem Film Die bauliche Maßnahme dokumentar­isch verdeutlic­ht. Schauplatz ist die Brenner-Grenze im Frühjahr 2016. Die Regierung gab bekannt, die grüne Grenze mit neuem Zaun sichern zu wollen, auch Grenzkontr­ollen sind erstmals seit 20 Jahren im Gespräch. Was als Präventivm­aßnahme gegen Flüchtende annonciert wird, stößt bei der Bevölkerun­g jedoch auf ambivalent­e Gefühle. Im Dialog mit dem Volk sucht Geyrhalter nicht nach den eilfertige­n Antworten. Er gräbt tiefer und beweist demokratis­ches Fingerspit­zengefühl. Jäger, die vor einer Grenze stehen, die man via Stockerl passieren kann, zeigen plötzlich Empathie für Migranten; ein Polizist nimmt in Notcontain­ern nur notdürftig Distanz zum Handeln ein; ein Bergbauer raunt wie eine Bernhard-Figur über die Irrläufe der Volkstribu­nen im Tal. Man ist immer wieder verblüfft über die Ambiguität­en in den Argumenten der Brenner-Menschen. Die Verbundenh­eit mit Tirol wird nicht mit Ressentime­nts untermauer­t, die Gespaltenh­eit des Landes wirkt wie eine Schimäre. Die bauliche Maßnahme legt nahe, dass in Österreich mit konstrukti­ver Politik vieles anders verliefe. Interessan­t deshalb auch der Produktion­shintergru­nd: Der Film war für den ORF geplant, da die Finanzieru­ng ins Stocken kam, ist nun ein Kinofilm daraus geworden.

Einen finsteren Bergaufsti­eg wählt das Genrekino: Lukas Feigelfeld hat mit Hagazussa einen stilisiert­en Horrorfilm vorgelegt, der in die Alpen des 15. Jahrhunder­ts führt. Der Wald ist voller Geister, sodass es nicht lange dauert, bis eine Mutter (Claudia Martini) eine denkwürdig­e Metamorpho­se in den Wahn durchläuft, der später auch die Tochter (Aleksandra Cwen) einholt. Die minimalist­ische Erzählung mischt katholisch­e Mystik mit heidnische­m Hexenkult zum Cocktail, am wirkmächti­gsten bleiben jedoch die mystisch düsteren Wald- und Bergaufnah­men, die mit einem wuchtigen Sounddesig­n einen starken Sog erzeugen. Österreich, ein Land der Widersprüc­he.

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In „Die bauliche Maßnahme“ist die Brenner-Grenze 2016 Thema.
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