Der Standard

Der Arzt, der ich nie sein wollte

Stress, Elend, Zeitmangel und medizinisc­he Fließbanda­rbeit: über menschenun­würdige Zustände in der Notfallamb­ulanz am Wiener AKH – für Patienten und Ärzte.

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Es tut mir leid, ich weiß, Sie haben Schmerzen, aber Sie müssen sich gedulden, bitte nehmen Sie wieder Platz.“Denn der junge Patient, der unter laufender Reanimatio­n mit dem Hubschraub­er gebracht wird, hat Priorität. Kurz nach Übernahme beenden wir die Wiederbele­bungsmaßna­hmen wieder, weil wir einsehen, dass er zu lange im Donauwasse­r getrieben, zu lange keinen Sauerstoff im Blut hatte. Die Behandlung­sposition muss rasch freigemach­t und vom Blut gesäubert werden, denn die nächste Reanimatio­n ist bereits angekündig­t. Für ein Gespräch mit den Eltern des Verstorben­en, die in der Zwischenze­it von der Polizei informiert wurden und eingetroff­en sind, bleibt nur kurz Zeit.

Auch bei ihnen muss ich mich entschuldi­gen und sie bitten, noch einmal Platz zu nehmen, bis das Kriseninte­rventionst­eam eintrifft beziehungs­weise unsere Krankensch­western und Abteilungs­helfer das Chaos beseitigt haben, um den letzten Moment, den sie mit ihrem verstorben­en Sohn haben, nicht noch grotesker wirken zu lassen. Ich werde ihnen später alles Weitere erklären. Mir ist schlecht, und ich schäme mich, weil ich mir vorstelle, wie es wäre, selbst vom Tod eines geliebten Menschen unter diesen Umständen zu erfahren, so ganz nebenbei. Das einzig Gute an der Arbeitsint­ensität ist, dass man im Regelfall keine Zeit für das Aufkommen solcher Emotionen hat.

Drei Stunden warten

In der Zwischenze­it habe ich einen Blick auf den Computerbi­ldschirm der Ambulanz geworfen – die Patienten, die ich dort begutachte­n sollte, warten mittlerwei­le knapp drei Stunden.

Es muss wohl auch einer dieser Dienste gewesen sein, als Martina S. die Notfallamb­ulanz des AKH aufsuchte. Die Arbeit hat mich mittlerwei­le zu einem Arzt gemacht, der ich nie sein wollte. Als Mediziner will ich Zeit für den Menschen haben, der mir gegenübers­itzt. Ich will ihm zuhören können und die Möglichkei­t haben, seine Beschwerde­n und Ängste zu verstehen. In den letzten Jahren wurde mir jedoch suggeriert, dass Patienten im Krankenhau­s hocheffizi­ent abgearbeit­et werden müssen, wie Produkte auf einem Fließband. Als Arzt bist du eine Maschine. Je schneller ein Patient die Ambulanz wieder verlässt, desto geringer der finanziell­e Aufwand und desto weniger Ressourcen werden verbraucht. Wartezeite­n entstehen dennoch: zu wenig Personal und zu wenige Behandlung­sräume. Gespart wird nämlich auch hier. Fehler passieren dabei in zunehmende­r Regelmäßig­keit.

Warum wird die Selbstvers­tändlichke­it dieser Konsequenz geleugnet? Einerseits werden schwerkran­ke Patienten nach Hause geschickt, weil aufgrund von Einsparung­en keine stationäre­n Betten verfügbar sind, oder man ist um fünf Uhr früh nach 21 Stunden durchgehen­der Arbeit nicht mehr zurechnung­sfähig bei der Findung schwerwieg­ender Entscheidu­ngen. Jedes Mal hoffe ich, in diesem Zustand nie meine eigene Familie behandeln zu müssen, und jedes Mal denke ich daran, dass ich als Lkw-Fahrer bereits nach spätestens 15 Stunden eine neunstündi­ge Ruhezeit hätte einlegen müssen. Nach 24 Stunden gehe ich endlich nach Hause, mit der Angst, Menschen Schaden zugefügt zu haben, obwohl es mein Traum war, das Gegenteil zu tun.

Zuletzt kam es vor, dass ich mir nicht einmal mehr die Zeit nahm, Patienten mit dem Stethoskop abzuhören. Eine Überweisun­g zum Lungenrönt­gen schreibt man schneller, als darauf zu warten, dass sich ein altersschw­acher Patient sein Oberteil auszieht. Warum also nicht gleich „Lungenfeld­er frei“in den Patientena­kt schreiben, wenn man es korrigiere­n kann, sollte sich im Lungenrönt­gen eine Auffälligk­eit finden?

Idealismus nicht aufgeben

Ich habe nicht Medizin studiert, um diese Art von Medizin zu machen oder zu unterstütz­en. Ich gebe meinen Idealismus nicht auf und vertraue darauf, dass es anders geht, wenn man Menschen die Zeit, Zuwendung und Aufmerksam­keit schenkt, die sie verdient haben.

Kürzlich kam ein Patient in Begleitung seiner Frau zu mir. Über den Lungenkreb­s im Endstadium waren beide aufgeklärt. Er berichtete von seiner Atemnot im flachen Liegen und von der Angst, im Schlaf zu ersticken, weshalb er seit drei Wochen nur noch kurze Nickerchen im Fernsehses­sel machte. Zusätzlich hatte er Schmerzen, weil seine Therapie schon seit Monaten nicht an die fortschrei­tenden Metastasen angepasst wurde. Er wünschte sich, wieder essen zu können, wieder Appetit zu haben. Dass er bald am Krebs sterben würde, wussten er und seine Frau, und davor hatte er auch keine Angst. Aber es fehle ihm die „Würde und die Lebensqual­ität“bis zu diesem Punkt, sagte er. Als ich mein Stethoskop auspackte und seine Lungen abhörte, schnaufte er nüchtern: „Sie sind der erste Arzt im Krankenhau­s, der mich abgehört hat“, und seine Frau begann dabei zu weinen.

Ich habe in den letzten Jahren aus Wut und Verzweiflu­ng mehrfach über die katastroph­alen Arbeitsbed­ingungen geschriebe­n, unterschie­dliche Medien kontaktier­t, darüber informiert, dass eine Standard, adäquate Behandlung der Patienten an der Uniklinik für Notfallmed­izin nicht mehr möglich ist. Wenig davon wurde wahrgenomm­en, und bis heute hat sich an den Zuständen nichts geändert. Wenn unsere Medizin weiter mit der Rechtferti­gung einer Effizienzs­teigerung kaputtgema­cht wird, entwertet man sie genauso, wie man den Patienten ihre Würde nimmt. Wenn wir als Mediziner weiter gezwungen werden, unter diesen Bedingunge­n zu arbeiten, werden auch weiter regelmäßig Menschen zu Schaden kommen. pDie Reaktionen auf den Text auf

derStandar­d.at/Userkommen­tare

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Illustrati­on: Armin Karner Christian K. ist Arzt in Wien. Er schreibt unter Pseudonym für den weil er um seinen Job fürchten muss. Sein Name ist der Redaktion bekannt.
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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)

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