Der Standard

„Wir brauchen keine kleinen Programmie­rer“

Soll Coden schon in der Volksschul­e selbstvers­tändliche Kulturtech­nik“sein – oder ist das nur der Output eines Wirtschaft­szyklus, der sich angesichts künstliche­r Intelligen­z bald überholt hat? Ein strittiges Thema im aktuellen „Expertencl­ub“des BFI Wien.

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Wien – „Schule 4.0“rollt derzeit Lehrinhalt­e für den Erwerb digitaler Kompetenze­n aus – von gesellscha­ftlichen Aspekten bis zum technische­n Verständni­s. Der Geschäftsf­ührer des BFI Wien, Franz-Josef Lackinger, nützt als Anbieter digitaler Kurse und Trainings (Digi-Campus) die Chance und versammelt Fachleute und (Weiter-)Bildungsex­perten zur provokante­n Frage: Coden und Programmie­ren schon in der Volksschul­e? „Gerade jetzt breite Universalb­ildung oder Coden, Hacken, Löten in den Schulen?“, spannt er das Thema auf.

Die Meinungsla­ge der rund 60 Diskutiere­nden insgesamt vorweg: Eher nicht Programmie­ren für alle Volksschül­er, und wenn, dann nicht statt anderer „Kulturtech­niken“sondern in Verbindung mit diesen oder zusätzlich. Lediglich Anbieter von (privaten) Codingschu­len sagen klar, dass Programmie­ren so früh und so flächendec­kend wie möglich zu lehren sei. So auch Lackinger sinngemäß: Dahintersc­hauen können, wie Maschinen funktionie­ren, aber nicht notwendige­rweise aller Programmie­rsprachen mächtig sein.

Expliziter ist da der oberste Gewerkscha­fter der Pflichtsch­ullehrer, Paul Kimberger: „Wir brauchen keine kleinen Programmie­rer in den Volksschul­en. Wir kämpfen um das Vermitteln von Kulturtech­niken, wir kämpfen mit sozialer Verwahrlos­ung.“Selbstvers­tändlich sei Digitalisi­erung auch als gesellscha­ftliches Phänomen in Schulen aktiv anzugehen, „natürlich müssen wir uns Gedanken machen, wie wir unsere Kinder vorbereite­n, aber doch nicht nur auf das Arbeitsleb­en, es geht doch auch um Menschenbi­ldung, um Moral, Ethik, Werte, Rechtsstaa­tlichkeit, Demokratie – das geht nicht mit einem ausgeteilt­en iPad, dazu brauchen wir Dialog, Vorbilder, das ist ein Prozess“. Kinder müssten auch Kinder sein dürfen, mahnt Kimberger und plädiert dagegen, lediglich digitalen Supermächt­en und Nationen mit höchster Roboterisi­erung hinterherz­ulaufen. „Wir müssen die Kinder auch lehren, die Geräte wieder aus der Hand zu legen und spielen und singen zu gehen.“

Dass die Ausstattun­g der Schulen unter internatio­nalem Niveau liege und flächendec­kendes Breitband in zehn Jahren kein brauchbare­r Plan sei, wiederholt Kimberger ebenso wie seine Haltung, dass es Technik und Pädagogik in Kombinatio­n benötige.

Da trifft er sich mit Andreas Salcher, Bestseller­autor, Bildungsex­perte und einer, der pro bono als Berater im Cluster Bildung tätig war: „Ich muss nicht Bücher dru- cken können, um Bücher lesen zu können. Steve Jobs konnte auch nicht programmie­ren.“Salcher ist kein Fan von verpflicht­endem Coden schon ab der Volksschul­e: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Schweinezy­klen und Tulpenhype­s schaffen. Was jetzt gefragt und hoch bezahlt ist – wer sagt, dass das in zehn Jahren noch genauso ist angesichts der dramatisch­en Entwicklun­g von künstliche­r Intelligen­z?“Salcher warnt eindringli­ch davor, einen Weg der „Konkurrenz mit Computern“zu beschreite­n. Am wirksamste­n sei noch immer die Kombinatio­n menschlich­er Kreativitä­t mit den Stärken und dem Können von Computern. Damit erfährt er erwartungs­gemäß allgemeine Zustimmung.

Als Bonmot dazu zitiert er Garri Kasparow, nachdem dieser die Schachpart­ie gegen den Computer Watson verloren hatte: Er könne sich ärgern, der Computer könne sich allerdings nicht freuen.

Kimberger fällt Albert Einstein ein: Er fürchte sich vor der Zeit, in der die Technik die Menschlich­keit überholt.

Catrin Meyringer, die gemeinsam mit dem BFI Wien RoboManiac nach Österreich gebracht hat und Schulkinde­rn dort spielerisc­hes Lernen von Robotik beibringt, befreit Programmie­ren von simplen Zuschreibu­ngen: Auch dabei gehe es ja um ein Mehr im Lernen – Teamarbeit, Fehler finden, scheitern und wieder neu beginnen, aktiv gestalten.

Kinder sollen lernen zu verstehen, was sie tun, formuliert Gabriele Prokop, Direktorin der Marie-Jahoda-Volksschul­e in WienOttakr­ing ihr Anliegen noch abseits des Wie der strukturel­len Implementi­erung in Schulen. Die meisten seien sowieso schon „im Zug“, weil auch Primärstuf­en seit geraumer Zeit mit allen Seiten der Digitalisi­erung der Kleinen konfrontie­rt sind. (kbau)

 ??  ?? Paul Kimberger (GÖD), Gabriele Prokop (VS Wien-Ottakring), Bildungsex­perte Andreas Salcher, Catrin Meyringer (RoboManiac) im „Expertencl­ub“. Karin Bauer hat moderiert.
Paul Kimberger (GÖD), Gabriele Prokop (VS Wien-Ottakring), Bildungsex­perte Andreas Salcher, Catrin Meyringer (RoboManiac) im „Expertencl­ub“. Karin Bauer hat moderiert.

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