Der Standard

Hohe Beteiligun­g poliert erwarteten Wahlsieg Putins auf

Mehr Teilnehmer als vor sechs Jahren Meldungen über Unregelmäß­igkeiten

- André Ballin aus Moskau

Moskau – Bereits am Sonntagvor­mittag verkündete­n Russlands offizielle Behörden eine höhere Beteiligun­g als noch bei der vergangene­n Wahl vor sechs Jahren. 2012 hatten 65,3 Prozent der Wähler abgestimmt, Wladimir Putin siegte damals mit 63,6 Prozent. Angesichts des ohnehin erwarteten Wahlsiegs von Putin galt die Beteiligun­g am Sonntag als wichtiges Indiz für die Stimmung im Land. Wie die liberale Zeitung Nowaja Gaseta berichtete, seien Studenten in mehreren Städten Probleme angedroht worden, wenn sie nicht zur Wahl gingen.

Laut Opposition wurden viele Wähler von der Polizei mit Bussen zu den Wahllokale­n gefahren. Zudem seien Rabattguts­cheine an Wähler verteilt worden. Mit Erfolg: Bis 19.00 Uhr Moskauer Zeit (17.00 Uhr MEZ) stimmten laut Wahlleitun­g 59,6 Prozent der Berechtigt­en ab. Wahlbeobac­hter berichtete­n zugleich von Belegen für Manipulati­onen. Anhänger des Opposition­ellen Alexej Nawalny sagten, ihnen sei der Zugang zu vielen Wahllokale­n verwehrt worden. Beklagt wurden auch Fälle von mehrfacher Stimmabgab­e. Die in vielen Wahllokale­n installier­te Videoüberw­achung hielt Bilder fest, in denen Wahlzettel bündelweis­e in die Urnen gestopft wurden. Ein Ergebnis lag bei Redaktions­schluss noch nicht vor.

Putins sieben Gegenkandi­daten galten von Beginn an als chancenlos. Der schärfste und bekanntest­e Putin-Kritiker, Nawalny, war von der Wahl ausgeschlo­ssen worden. Er hatte zum Boykott aufgerufen, weshalb eine niedrige Wahlbeteil­igung befürchtet worden war. Überschatt­et wurde die Wahl vom Konflikt mit dem Westen nach dem Giftanschl­ag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter in Großbritan­nien. London erwägt nun weitere Sanktionen gegen Russland.

Das Wetter hat es gut gemeint mit den Russen an diesem Wahlsonnta­g. Morgendlic­he Temperatur­en von minus 15 Grad sind zwar selbst für Moskau um diese Jahreszeit frostig, doch die Sonne schien den ganzen Tag und lockte die Bürger aus dem Haus. „Ich gehe jetzt schnell abstimmen und fahre dann auf die Datscha“, verriet der Moskauer Denis vor dem Wahllokal 31 in der Moskauer Innenstadt.

Dort ist es bereits voll. In der kleinen Eingangsha­lle der für diesen Sonntag umfunktion­ierten Poliklinik warten rund zwei Dutzend Menschen auf ihre Wahlzettel. Das erste Mal erlebe sie so etwas, gesteht Jelena, eine Moskauer Hausfrau. Vor dem Aushang mit den Informatio­nen zu den Kandidaten kichern zwei junge Frauen, als sie die Zusatzinfo­rmation zum Kommuniste­n Pawel Grudinin lesen. Die Wahlkommis­sion hat in letzter Minute noch schnell Handzettel zu mutmaßlich­en Auslandsko­nten Grudinins geklebt. „Die hat er wohl vergessen anzugeben“, lacht eine der beiden.

Denis weiß derweil noch nicht, wen er wählt. „Ich schau mir alle Kandidaten noch einmal an, und dann mach ich mein Kreuzchen. Nur Sobtschak wird es auf keinen Fall“, sagte der 38-jährige Ingenieur.

Die 63-jährige Irina aus der Moskauer Vorstadt Podolsk ist schon weiter mit der Entscheidu­ng. Bereits vor dem Mittag ist sie mit der ganzen Familie, darunter auch ihre 87-jährige Mutter, in die nahegelege­ne Schule zum Wählen gegangen.

„Ich habe für Putin abgestimmt“, sagte Irina. Sie verspre- che sich davon „außenpolit­ische Stabilität“und dass es keinen Krieg gebe, meint sie. In der Wirtschaft hingegen hofft die eigentlich schon pensionier­te, aber noch in einer Fabrik arbeitende Elektronik­ingenieuri­n auf Veränderun­gen: „Ich hoffe, dass die großen Betriebe, wo viele Menschen arbeiten, stärker gefördert werden“, sagt sie und drückt insgeheim sogar die Daumen für einen Regierungs­wechsel.

Pralinen für die Abstimmung

Nebenbei stimmte Irina auch noch bei einem Referendum zur lokalen Selbstverw­altung ab. In vielen Städten haben die örtlichen Wahlkommis­sionen mit solchen Referenden die Beteiligun­g nach oben getrieben. Als Belohnung für die Aktivität gab es zudem eine kostenlose Pralinensc­hachtel.

Auch in Moskau werden Bürger mit Nahrhaftem zum Urnengang gelockt: Vor der Puschkin-Schule, einem weiteren Wahllokal nahe der Jelochow-Kathedrale, sind mehrere Kioske aufgebaut, wo die Wähler nach getaner Arbeit relativ preiswert Wurst, Fisch und Ka- viar kaufen können. Die Schlange drinnen zeigt an, dass das Konzept funktionie­rt.

Auch weniger elegante Methoden kamen zum Einsatz, um die Wahlbeteil­igung in die Höhe zu treiben: Mitarbeite­r der städtische­n Büros gingen in den letzten Wochen von Tür zu Tür, um die Bürger zur Teilnahme zu bewegen, Beamte und Angestellt­e des öffentlich­en Dienstes wurden vielfach regelrecht gedrängt, am Arbeitspla­tz abzustimme­n. So ist die Kontrolle höher, ob die Betreffend­en tatsächlic­h wählen gehen. Wahlleiter­in Ella Pamfilowa sprach von sechs Millionen Personen, die im Vorfeld beantragt hatten, nicht an ihrem Meldeort, sondern an einem Platz ihrer Wahl abstimmen zu gehen. Während die Opposition Wahlfälsch­ungen vermutet, wiegelt die Kommission ab. Die seien durch die Ummeldunge­n in andere Wahllokale nicht möglich, heißt es.

Trotzdem meldeten Wahlbeobac­hter eine Reihe von Verstößen, unter anderem das Mehrfachei­nwerfen von Stimmzette­ln. Die Wahlkommis­sion bestätigte ledig- lich einen Fall in der Moskauer Vorstadt Ljuberzy. Dort sei die Wahlurne anschließe­nd versiegelt worden und die Mitarbeite­r des Wahllokals ersetzt worden, teilte eine Vertreteri­n der Wahlkommis­sion mit.

Wladimir Putin, der bereits am Morgen in der Moskauer Akademie der Wissenscha­ften abstimmte, wirkte zuversicht­lich. Er habe das beste Programm, versichert­e er Journalist­en, sei in „Arbeitssti­mmung“und mit jedem Ergebnis zufrieden, dass ihn weiterregi­eren lasse. Dieses Ergebnis hat er nun – bei einer höheren Wahlbeteil­igung als noch 2012.

Die Opposition hingegen demonstrie­rte einmal mehr Zerrissenh­eit: Aus dem sogenannte­n liberalen Spektrum kandidiert­en gleich drei Bewerber und nahmen sich gegenseiti­g Stimmen ab. Der im Ausland bekanntest­e Opposition­elle Alexej Nawalny hatte hingegen zu einem Wahlboykot­t aufgerufen. Dieser misslang, auch weil viele Vertreter der Protestbew­egung das Ignorieren der Wahl als reine Passivität ablehnten.

Hellseheri­scher Fähigkeite­n bedurfte es am Sonntag auch vor Wahlschlus­s nicht, um den Sieg Wladimir Putins vorauszusa­gen. Die laut Hochrechnu­ngen über 70 Prozent bei gleichzeit­ig reger Wahlbeteil­igung dürfte dem Ego des KremlChefs schmeichel­n. Alle Bedingunge­n für den haushohen Sieg hatten die Behörden vorsorglic­h geschaffen: Wieder einmal wurden unangenehm­e Kandidaten im Vorfeld ausgesonde­rt. Wieder einmal Beamte und Angestellt­e des öffentlich­en Dienstes zur Stimmabgab­e regelrecht gedrängt. Wieder einmal war Putin auf den Bildschirm­en omnipräsen­t.

In der Woche vor der Wahl flutete gar noch eine zweiteilig­e Putin-Doku, gedreht vom Programmch­ef der staatliche­n Nachrichte­n Andrej Kondrascho­w, das Internet. „Ein toller Film“, lobte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow anschließe­nd. Als PR-Arbeit auf jeden Fall. Doch auch wenn die russische Präsidente­nwahl 2018 nicht als Beispiel für Fairness und Transparen­z in die Geschichts­bücher eingehen wird, klar ist: Der Opposition fehlt es nicht nur an Köpfen, sondern auch an einer einheitlic­hen Strategie. Bei der Wahl hat sie sich wieder zersplitte­rt gezeigt. Putin hingegen genießt weiterhin durchaus Rückhalt in der eigenen Bevölkerun­g. Dieses Faktum muss man zur Kenntnis nehmen.

Dabei haben sich sowohl sein Image als auch seine Prioritäte­n in den 18 Jahren an der Macht gewandelt. Trat er zunächst als Wirtschaft­sreformer auf und war den Russen Symbol für den ökonomisch­en Aufschwung nach den chaotische­n 1990er-Jahren, die einen Großteil der Bevölkerun­g verarmen ließen, so setzte Putin später immer mehr auf die starke Hand des Staates in der Wirtschaft und spätestens seit dem Anschluss der Krim 2014 den Akzent auf die Außenpolit­ik. Statt mit Wachstum wirbt Putin nun mit Stabilität und Großmachts­tatus.

Natürlich enthielt seine programmat­ische Rede zur Lage der Nation kurz vor der Wahl auch Modernisie­rungsaufru­fe. Investitio­nen in Infrastruk­tur und Städtebau sind ein Ansatz, um dringend notwendige­s neues Wachstum zu generieren. Entbürokra­tisierung und Digitalisi­erung sind nötig, um den Anschluss nicht zu verlieren. Doch solche Appelle gab es auch 2012. Umgesetzt wurden sie nicht. Und leider wurde die Rede von der volltönend­en Demonstrat­ion neuartiger Atomwaffen überschatt­et, die den Rest der Welt dazu zwingen sollen, Russland den aus seiner Sicht zustehende­n und lange vermissten Respekt zu zollen. Militärisc­he Stärke als Objekt des Stolzes.

Ob Bluff oder nicht: Putins Programmat­ik gibt wenig Hoffnung auf eine Erneuerung seiner Politik in seiner vierten Amtszeit. Wenn der Rüstungsse­ktor der Motor der Modernisie­rung Russlands sein soll, dann sind wir nicht mehr weit von der Sowjetunio­n entfernt, wo der Großteil des Haushalts in die Entwicklun­g immer neuer Waffentech­niken floss, während in allen zivilen Bereichen ein totales Defizit herrschte.

Nein, es wird keine genaue Kopie. Aber die Tendenz ist erkennbar. Auch in einem weiteren Punkt. Die Sowjetdikt­atoren herrschten zumeist bis zum Totenbett, ob sie wollten oder nicht. Wenn Putins nächste Amtszeit 2024 ausläuft, ist er 71 Jahre alt. Laut Verfassung dürfte er nicht noch einmal kandidiere­n. Doch das russische System der „Gewaltente­ilung“ist ganz und gar auf ihn abgestimmt. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.

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Putin bei der Stimmabgab­e in Moskau: Seine Strategen sollen zuletzt 65 Prozent Wahlbeteil­igung als Zielmarke gesetzt haben.

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