Hohe Beteiligung poliert erwarteten Wahlsieg Putins auf
Mehr Teilnehmer als vor sechs Jahren Meldungen über Unregelmäßigkeiten
Moskau – Bereits am Sonntagvormittag verkündeten Russlands offizielle Behörden eine höhere Beteiligung als noch bei der vergangenen Wahl vor sechs Jahren. 2012 hatten 65,3 Prozent der Wähler abgestimmt, Wladimir Putin siegte damals mit 63,6 Prozent. Angesichts des ohnehin erwarteten Wahlsiegs von Putin galt die Beteiligung am Sonntag als wichtiges Indiz für die Stimmung im Land. Wie die liberale Zeitung Nowaja Gaseta berichtete, seien Studenten in mehreren Städten Probleme angedroht worden, wenn sie nicht zur Wahl gingen.
Laut Opposition wurden viele Wähler von der Polizei mit Bussen zu den Wahllokalen gefahren. Zudem seien Rabattgutscheine an Wähler verteilt worden. Mit Erfolg: Bis 19.00 Uhr Moskauer Zeit (17.00 Uhr MEZ) stimmten laut Wahlleitung 59,6 Prozent der Berechtigten ab. Wahlbeobachter berichteten zugleich von Belegen für Manipulationen. Anhänger des Oppositionellen Alexej Nawalny sagten, ihnen sei der Zugang zu vielen Wahllokalen verwehrt worden. Beklagt wurden auch Fälle von mehrfacher Stimmabgabe. Die in vielen Wahllokalen installierte Videoüberwachung hielt Bilder fest, in denen Wahlzettel bündelweise in die Urnen gestopft wurden. Ein Ergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Putins sieben Gegenkandidaten galten von Beginn an als chancenlos. Der schärfste und bekannteste Putin-Kritiker, Nawalny, war von der Wahl ausgeschlossen worden. Er hatte zum Boykott aufgerufen, weshalb eine niedrige Wahlbeteiligung befürchtet worden war. Überschattet wurde die Wahl vom Konflikt mit dem Westen nach dem Giftanschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter in Großbritannien. London erwägt nun weitere Sanktionen gegen Russland.
Das Wetter hat es gut gemeint mit den Russen an diesem Wahlsonntag. Morgendliche Temperaturen von minus 15 Grad sind zwar selbst für Moskau um diese Jahreszeit frostig, doch die Sonne schien den ganzen Tag und lockte die Bürger aus dem Haus. „Ich gehe jetzt schnell abstimmen und fahre dann auf die Datscha“, verriet der Moskauer Denis vor dem Wahllokal 31 in der Moskauer Innenstadt.
Dort ist es bereits voll. In der kleinen Eingangshalle der für diesen Sonntag umfunktionierten Poliklinik warten rund zwei Dutzend Menschen auf ihre Wahlzettel. Das erste Mal erlebe sie so etwas, gesteht Jelena, eine Moskauer Hausfrau. Vor dem Aushang mit den Informationen zu den Kandidaten kichern zwei junge Frauen, als sie die Zusatzinformation zum Kommunisten Pawel Grudinin lesen. Die Wahlkommission hat in letzter Minute noch schnell Handzettel zu mutmaßlichen Auslandskonten Grudinins geklebt. „Die hat er wohl vergessen anzugeben“, lacht eine der beiden.
Denis weiß derweil noch nicht, wen er wählt. „Ich schau mir alle Kandidaten noch einmal an, und dann mach ich mein Kreuzchen. Nur Sobtschak wird es auf keinen Fall“, sagte der 38-jährige Ingenieur.
Die 63-jährige Irina aus der Moskauer Vorstadt Podolsk ist schon weiter mit der Entscheidung. Bereits vor dem Mittag ist sie mit der ganzen Familie, darunter auch ihre 87-jährige Mutter, in die nahegelegene Schule zum Wählen gegangen.
„Ich habe für Putin abgestimmt“, sagte Irina. Sie verspre- che sich davon „außenpolitische Stabilität“und dass es keinen Krieg gebe, meint sie. In der Wirtschaft hingegen hofft die eigentlich schon pensionierte, aber noch in einer Fabrik arbeitende Elektronikingenieurin auf Veränderungen: „Ich hoffe, dass die großen Betriebe, wo viele Menschen arbeiten, stärker gefördert werden“, sagt sie und drückt insgeheim sogar die Daumen für einen Regierungswechsel.
Pralinen für die Abstimmung
Nebenbei stimmte Irina auch noch bei einem Referendum zur lokalen Selbstverwaltung ab. In vielen Städten haben die örtlichen Wahlkommissionen mit solchen Referenden die Beteiligung nach oben getrieben. Als Belohnung für die Aktivität gab es zudem eine kostenlose Pralinenschachtel.
Auch in Moskau werden Bürger mit Nahrhaftem zum Urnengang gelockt: Vor der Puschkin-Schule, einem weiteren Wahllokal nahe der Jelochow-Kathedrale, sind mehrere Kioske aufgebaut, wo die Wähler nach getaner Arbeit relativ preiswert Wurst, Fisch und Ka- viar kaufen können. Die Schlange drinnen zeigt an, dass das Konzept funktioniert.
Auch weniger elegante Methoden kamen zum Einsatz, um die Wahlbeteiligung in die Höhe zu treiben: Mitarbeiter der städtischen Büros gingen in den letzten Wochen von Tür zu Tür, um die Bürger zur Teilnahme zu bewegen, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes wurden vielfach regelrecht gedrängt, am Arbeitsplatz abzustimmen. So ist die Kontrolle höher, ob die Betreffenden tatsächlich wählen gehen. Wahlleiterin Ella Pamfilowa sprach von sechs Millionen Personen, die im Vorfeld beantragt hatten, nicht an ihrem Meldeort, sondern an einem Platz ihrer Wahl abstimmen zu gehen. Während die Opposition Wahlfälschungen vermutet, wiegelt die Kommission ab. Die seien durch die Ummeldungen in andere Wahllokale nicht möglich, heißt es.
Trotzdem meldeten Wahlbeobachter eine Reihe von Verstößen, unter anderem das Mehrfacheinwerfen von Stimmzetteln. Die Wahlkommission bestätigte ledig- lich einen Fall in der Moskauer Vorstadt Ljuberzy. Dort sei die Wahlurne anschließend versiegelt worden und die Mitarbeiter des Wahllokals ersetzt worden, teilte eine Vertreterin der Wahlkommission mit.
Wladimir Putin, der bereits am Morgen in der Moskauer Akademie der Wissenschaften abstimmte, wirkte zuversichtlich. Er habe das beste Programm, versicherte er Journalisten, sei in „Arbeitsstimmung“und mit jedem Ergebnis zufrieden, dass ihn weiterregieren lasse. Dieses Ergebnis hat er nun – bei einer höheren Wahlbeteiligung als noch 2012.
Die Opposition hingegen demonstrierte einmal mehr Zerrissenheit: Aus dem sogenannten liberalen Spektrum kandidierten gleich drei Bewerber und nahmen sich gegenseitig Stimmen ab. Der im Ausland bekannteste Oppositionelle Alexej Nawalny hatte hingegen zu einem Wahlboykott aufgerufen. Dieser misslang, auch weil viele Vertreter der Protestbewegung das Ignorieren der Wahl als reine Passivität ablehnten.
Hellseherischer Fähigkeiten bedurfte es am Sonntag auch vor Wahlschluss nicht, um den Sieg Wladimir Putins vorauszusagen. Die laut Hochrechnungen über 70 Prozent bei gleichzeitig reger Wahlbeteiligung dürfte dem Ego des KremlChefs schmeicheln. Alle Bedingungen für den haushohen Sieg hatten die Behörden vorsorglich geschaffen: Wieder einmal wurden unangenehme Kandidaten im Vorfeld ausgesondert. Wieder einmal Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes zur Stimmabgabe regelrecht gedrängt. Wieder einmal war Putin auf den Bildschirmen omnipräsent.
In der Woche vor der Wahl flutete gar noch eine zweiteilige Putin-Doku, gedreht vom Programmchef der staatlichen Nachrichten Andrej Kondraschow, das Internet. „Ein toller Film“, lobte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow anschließend. Als PR-Arbeit auf jeden Fall. Doch auch wenn die russische Präsidentenwahl 2018 nicht als Beispiel für Fairness und Transparenz in die Geschichtsbücher eingehen wird, klar ist: Der Opposition fehlt es nicht nur an Köpfen, sondern auch an einer einheitlichen Strategie. Bei der Wahl hat sie sich wieder zersplittert gezeigt. Putin hingegen genießt weiterhin durchaus Rückhalt in der eigenen Bevölkerung. Dieses Faktum muss man zur Kenntnis nehmen.
Dabei haben sich sowohl sein Image als auch seine Prioritäten in den 18 Jahren an der Macht gewandelt. Trat er zunächst als Wirtschaftsreformer auf und war den Russen Symbol für den ökonomischen Aufschwung nach den chaotischen 1990er-Jahren, die einen Großteil der Bevölkerung verarmen ließen, so setzte Putin später immer mehr auf die starke Hand des Staates in der Wirtschaft und spätestens seit dem Anschluss der Krim 2014 den Akzent auf die Außenpolitik. Statt mit Wachstum wirbt Putin nun mit Stabilität und Großmachtstatus.
Natürlich enthielt seine programmatische Rede zur Lage der Nation kurz vor der Wahl auch Modernisierungsaufrufe. Investitionen in Infrastruktur und Städtebau sind ein Ansatz, um dringend notwendiges neues Wachstum zu generieren. Entbürokratisierung und Digitalisierung sind nötig, um den Anschluss nicht zu verlieren. Doch solche Appelle gab es auch 2012. Umgesetzt wurden sie nicht. Und leider wurde die Rede von der volltönenden Demonstration neuartiger Atomwaffen überschattet, die den Rest der Welt dazu zwingen sollen, Russland den aus seiner Sicht zustehenden und lange vermissten Respekt zu zollen. Militärische Stärke als Objekt des Stolzes.
Ob Bluff oder nicht: Putins Programmatik gibt wenig Hoffnung auf eine Erneuerung seiner Politik in seiner vierten Amtszeit. Wenn der Rüstungssektor der Motor der Modernisierung Russlands sein soll, dann sind wir nicht mehr weit von der Sowjetunion entfernt, wo der Großteil des Haushalts in die Entwicklung immer neuer Waffentechniken floss, während in allen zivilen Bereichen ein totales Defizit herrschte.
Nein, es wird keine genaue Kopie. Aber die Tendenz ist erkennbar. Auch in einem weiteren Punkt. Die Sowjetdiktatoren herrschten zumeist bis zum Totenbett, ob sie wollten oder nicht. Wenn Putins nächste Amtszeit 2024 ausläuft, ist er 71 Jahre alt. Laut Verfassung dürfte er nicht noch einmal kandidieren. Doch das russische System der „Gewaltenteilung“ist ganz und gar auf ihn abgestimmt. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.