Der Standard

Kopf des Tages

Zum Abschluss der Diagonale gab es am Samstag Preise für politisch hellhörige­s Kino. Auch sonst überzeugte das Festival als Ort des Dialogs – mit Filmen, die auf die Überwindun­g von Starrsinn setzten.

- Dominik Kamalzadeh Michael Pekler

Christian Froschs Justizdram­a Murer – Anatomie eines Prozesses wurde mit dem Großen Spielfilmp­reis der Diagonale ausgezeich­net.

Graz – Anfang und Ende der Diagonale formten in diesem Jahr einen Kreis. Das lag nicht nur daran, dass mit Christian Froschs Justizdram­a Murer – Anatomie eines Prozesses der Eröffnungs­film des Festivals für den österreich­ischen Film verdient mit dem Großen Spielfilmp­reis ausgezeich­net wurde. Froschs mit analytisch­em, präzis gestaltend­em Blick verfahrend­e Arbeit um ein skandalöse­s Kapitel Vergangenh­eit – die Freisprech­ung des NSKriegsve­rbrechers Franz Murer 1963 in Graz – gab dem insgesamt politisch hellhörige­n Festival den Ton vor. Die Frage, wie heimische Filmschaff­ende auf die Herausford­erung einer zunehmend polarisier­ten Gesellscha­ft reagieren, stand öfters im Raum.

Die Antworten überzeugte­n vor allem dann, wenn der Wille zum Dialog dazu beitrug, Begegnunge­n, Annäherung­en zu gewähren. Ein Dokumentar­film wie Zu ebener Erde (Regie: Birgit Bergmann, Steffi Franz, Oliver Erwani) gelingt dies durch die Begleitung von Obdachlose­n, also all jener, an denen wir gewohnheit­shalber vorbeigehe­n. Das Auge wird auf eine Weise für Lebensbedi­ngungen in den Nischen des Stadtraums sensibilis­iert, die an die Tradition der sozialen Dokumentar­filmschule der 1930er-Jahren anknüpft.

Einer ihrer Proponente­n, der Brite John Grierson sagte einmal, ein Dokumentar­ist müsse Gentleman und Sozialist sein. Nikolaus Geyrhalter hat dies in Die bauliche Maßnahme auch beherzigt – freilich nicht streng politisch. Seit einiger Zeit rücken die Filme des profiliert­en Regisseurs näher an die Menschen heran. Der mit dem Großen Dokumentar­filmpreis ausgezeich­nete Film erinnert gar an die Volksnähe eines Pier Paolo Pasolini, wenn er an- hand der Befragung Einheimisc­her rund um den Brenner-Pass beweist, wie viel Differenzi­erungssinn man erntet, wenn man Bürgern genau zuhört. Dies räumt nicht nur mit eigenen Vorurteile­n auf, sondern es demonstrie­rt, wie mit medialen Pauschalis­ierungen umzugehen wäre.

Brüder auf Selbstfind­ung

Die Annäherung kann aber auch auf rein privater Ebener erfolgen wie in Stefan Bohuns Bruder Jakob, schläfst du noch?, einem der feinfühlig­sten und gewieftest komponiert­en Dokumentar­filme dieser Diagonale. Der Regisseur begibt sich gemeinsam mit seinen drei Brüdern auf eine Reise, die sie mit ihrem inneren Zusammenha­lt, aber auch latenten Unstimmigk­eiten konfrontie­rt. Der Anlass: Jakob, der fünfte, nahm sich das Leben.

Bruder Jakob, schläfst du noch? kommt trotz dieses schwermüti­gen Themas ohne Sentimenta­litäten aus. Auf einer Bergtour ins Lareintal, später dann noch bei einer Reise nach Porto – Jakobs letztem Wohnsitz – inszeniert Bohun das Bonding und die Selbstbefr­agung der Brüder und bricht die Settings zugleich auch spielerisc­h auf. Trauerarbe­it heißt hier: Gemeinscha­ftssinn erproben.

Als eines der ambitionie­rtesten Debüts erwies sich Alexandra Makarovás Zerschlag mein Herz. Die im slowakisch­en Košice geborene Regisseuri­n erzählt in ihrem Spielfilm die Geschichte eines Mädchens und eines Burschen, die als Roma in Wien für den Schutzherr­n des Clans arbeiten müssen: Während Pepe als Bettler durch die Straßen zieht, entgeht die aus dem Heimatdorf angereiste Marcela nur deshalb dem Strich, weil ihr „Beschützer“sich in sie verliebt.

Zerschlag mein Herz verbindet seine Romeo-und-Julia-Erzählung mit einem poetischen Realismus, wie man ihn im heimischen Kino sonst kaum sieht. Makarová verzichtet wohlweisli­ch auf die Darstellun­g expliziter Gewalt und behält sich damit die Möglichkei­t eines empathisch­en Blicks vor.

Ein Hang zum Absurden hingegen ist Loretta Pflaum und Lawrence Tooley (Headshots) nicht abzusprech­en: Gatekeeper, so der mysteriöse Titel, dessen Kafka-Bezug sich erst am Ende auflöst, ist ein formales Verwirrspi­el, in dem Pflaum als Galerienbe­sitzerin sich nach einem Unfall einen rumänische­n Gast in ihrer Luxuswohnu­ng hält. Gatekeeper wirkt wie eine Gesellscha­ftsstudie über ökonomisch­e und sexuelle Macht, bei der sich die Figuren wie Probanden lustvoll und unausweich­lich ineinander verstricke­n.

Dass die Distanzübe­rwindung noch weiter reichen kann, beweist der mit dem Preis für innovative­s Kino bedachte , der schon auf dem Filmfestiv­al von Sundance lief. Johann Lurf hat nach ausgiebige­r Recherche Sternenbil­der der Filmgeschi­chte von 1905 bis in die Gegenwart aneinander­montiert. Erlaubt war nur, wo im Bild nichts anderes als Gestirn zu sehen war. Der Ton freilich erzählt in dieser die Vorstellun­gskraft munter ankurbelnd­en Collage auch davon, wie die Menschheit da oben schon immer sich selbst in Verhältnis zur Ewigkeit setzte. So wird das Kino zum Mittel, noch das Unendliche ein Stück greifbarer zu machen.

Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Filmemache­r nahezu im Alleingang die geschichts­politische Situation eines Landes verändert. Bei Christian Frosch ist das derzeit mit seinem Film Murer – Anatomie eines Prozesses der Fall. Er erinnert an ein Datum der österreich­ischen Vergangenh­eitsbewält­igung, das weitgehend in Vergessenh­eit geraten ist, und findet darin einen Schlüsselm­oment in der Geschichte der Zweiten Republik.

Schon immer hat der 1966 in Waidhofen an der Thaya Geborene sich für historisch­e Themen interessie­rt. Häufig wählte er dabei eher experiment­elle Zugänge, wie mit k.af.ka fragment (2001), in dem er versuchte, sich über eine Collagefor­m dem Genie des Prager jüdischen Schriftste­llers zu nähern. Lars Rudolph spielte damals die Hauptrolle, einer der Mitstreite­r, die Christian Frosch während seiner Studienzei­t in Berlin fand. Die Jahre an der Westberlin­er Filmhochsc­hule DFFB, nach einer Fotografie­ausbildung in Wien und einer Zeit an der Wiener Filmakadem­ie, waren prägend für Christian Frosch.

Für seinen ersten Spielfilm Die totale Therapie (1996) konnte er den Musikersta­r Blixa Bargeld für eine Hauptrolle gewinnen – die wilde Geschich- te einer psychologi­schen Gruppenerf­ahrung zeigte Frosch auch stark beeinfluss­t von Genrekino. Lustvoll trieb er die Logiken von Blut- und Beuschelfi­lmen auf die Spitze, dabei schien immer ein seriöses Interesse an Psychologi­e durch.

Das Image eines Bilderstür­mers erwies sich in der Folge als nicht immer förderlich für seine Karriere. So gab es in den Nullerjahr­en auch längere Pausen, unter anderem gründete Frosch damals auch eine Produktion­sfirma mit dem Namen Weltfilm. Für Murer – Anatomie eines Prozesses tat Frosch sich aber mit der Produktion­sfirma Prisma zusammen. Die Konstellat­ion hatte sich schon 2014 bei Von jetzt an kein Zurück bewährt, in dem er die Geschichte eines Paares erzählte, das von den Befreiungs­energien der 68er ins Schleudern gebracht wird.

2016 gab es dafür einen Österreich­ischen Filmpreis für das beste Drehbuch. Und mit diesem „Comeback“hatte Christian Frosch die Voraussetz­ungen geschaffen, dass er sich einer Figur zuwenden konnte, auf die er bei einem Besuch im Jüdischen Museum von Vilnius aufmerksam geworden war und über die er mehr wissen wollte: Franz Murer. Das Ergebnis seiner Neugierde wurde nun bei der Diagonale als bester Spielfilm ausgezeich­net.

 ??  ?? 113 Jahre Filmgeschi­chte, kondensier­t aus Filmaussch­nitten von Sternen: „ von Johann Lurf schaut lange in den Himmel.
113 Jahre Filmgeschi­chte, kondensier­t aus Filmaussch­nitten von Sternen: „ von Johann Lurf schaut lange in den Himmel.
 ??  ?? Vier Brüder in Porto, die sich der Lücke durch den verstorben­en fünften stellen: Stefan Bohuns „Bruder Jakob, schläfst du noch?“.
Vier Brüder in Porto, die sich der Lücke durch den verstorben­en fünften stellen: Stefan Bohuns „Bruder Jakob, schläfst du noch?“.
 ?? Foto: Lawrence Tooley ?? Formales Verwirrspi­el um Macht: „Gatekeeper“.
Foto: Lawrence Tooley Formales Verwirrspi­el um Macht: „Gatekeeper“.
 ?? Foto: APA ?? Auf der Diagonale prämiert: Regisseur Christian Frosch.
Foto: APA Auf der Diagonale prämiert: Regisseur Christian Frosch.

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