Der Standard

Falsche Spuren

39 Seiten umfasst jenes Dossier, das seit vergangene­m Sommer Medien, Politik und Justiz mit Vorgängen im Bundesamt für Verfassung­sschutz beschäftig­t. Genaue Nachprüfun­gen ergeben, dass viele der Hinweise falsch, vielleicht sogar bewusst irreführen­d sind.

- Fabian Schmid Maria Sterkl

Das 39-seitige Dossier über den Verfassung­sschutz enthält viele Hinweise, die falsch oder irreführen­d sind.

Wien – Mittlerwei­le haben jene 39 Seiten eine stattliche Karriere hingelegt. Das Dossier führte, gemeinsam mit ebenfalls anonymen Zeugenauss­agen, zu Ermittlung­en gegen Verfassung­sschützer. der STANDARD und Profil haben seit vergangene­m Sommer versucht, die in dem Dossier geäußerten Vorwürfe mittels journalist­ischer Recherche zu überprüfen.

Ein Fall zeigt dabei, wie das Konvolut seine Adressaten falsch informiert­e und womöglich sogar in die Irre führen wollte. Es handelt sich dabei um Vorwürfe gegen Philipp Ita, der etwa als Kabinettsc­hef für drei ÖVP-Innenminis­ter tätig war: Ernst Strasser, Liese Prokop und Günther Platter.

Behauptete Bombendroh­ung

Im Dossier ist davon die Rede, dass es bei der Österreich-Rundfahrt 2016 „wiederholt zu Bombendroh­ungen“gekommen sein soll. Da das Radrennen beim Wohnsitz von Ita, dem Stift Ardagger, vorbeiführ­t, sei es angeblich zu einer Durchsuchu­ng auf Sprengstof­f gekommen. Dabei hätten Polizisten laut anonymer Anzeige eine „illegale Pistole mit herausgesc­hliffener Seriennumm­er“und „neonazisti­sches Material“gefunden. Das soll daraufhin von Itas Bekannten im Innenminis­terium vertuscht worden sein. Ein Polizist habe daraufhin das Referat für Extremismu­s im BVT auf den Fall hingewiese­n, dieses habe die Ermittlung­en jedoch auf Drängen von Vorgesetzt­en im Ministeriu­m angeblich im Austausch für mehr Personal wieder fallengela­ssen, behauptet das Konvolut.

Von all diesen Vorwürfen blieb nach ausführlic­her journalist­ischer Recherche nichts übrig. Standard und Profil prüften, ob es im Zuge der Österreich-Rundfahrt 2016 überhaupt zu Bombendroh­ungen gekommen sei. Deren Organisato­ren dementiert­en das. Auch auf Fotos oder Videos in sozialen Medien war von einer angebliche­n Bombendroh­ung nichts zu sehen, ebenso wenig wurde das von der Polizei bestätigt.

Als nächster Schritt wurde bei Innenminis­terium, Staatsanwa­ltschaften und Justizmini­sterium nachgefrag­t, ob Verfahren gegen die genannten Personen geführt worden sind. Da gab es eine große Überraschu­ng: Das Innenminis­terium bestätigte, dass sich die Staatsanwa­ltschaft sowohl mit einem Nazifund als auch mit Amtsmissbr­auch zweier Spitzenbea­mten des Innenminis­teriums „befasst hat“. Mit diesen Nachrichte­n hätten Standard und Profil definitiv für Aufsehen gesorgt.

Doch die Geschichte wurde „zu Tode recherchie­rt“, wie es in Journalist­enkreisen heißt. Denn auf eine Anfrage an Ita selbst meldete sich dessen Anwalt, der Akten zu dem bereits 2016 eingestell­ten Fall bereitstel­lte. Darin ist zu lesen, dass nicht in Itas Keller – wie im Dossier behauptet –, sondern auf dem angrenzend­en Friedhof, der nicht zu Itas Grund gehört, der ominöse „Koffer“– genauer gesagt: eine grüne Tasche – mit einer unbenutzba­ren, alten US-amerikanis­chen Waffe und NS-Devotional­ien gefunden wurde. Die Polizei hatte dazu einen Tipp erhalten. Ita war zum Zeitpunkt dieses Fundes gar nicht in Österreich.

Behauptete Vertuschun­g

Später hatte eine anonyme Person bei der NS-Meldestell­e des BVT dann erneut auf den Fund und eine angebliche „Vertuschun­gsaktion“hingewiese­n. Daher war automatisc­h ein Aktenvorga­ng ausgelöst worden. Sowohl diese Vorwürfe als auch die Unterstell­ungen rund um den Amtsmissbr­auch der Spitzenbea­mten brachte kein Ergebnis

Der Vorfall wird in zwei parlamenta­rischen Anfragebea­ntwortunge­n durch Innen- und Justizmini­sterium detaillier­t dargestell­t. Angesichts der aktuellen Ermittlung­en gegen BVT-Beamte erhält auch dieser Aspekt der anonymen Anzeigen neue Brisanz. Denn einer der Beamten, der angeblich den Nazifund vertuscht haben soll, wird mittlerwei­le wegen anderer Delikte als Beschuldig­ter geführt. Wegen seines Kontakts zur Leiterin des Extremismu­sreferats wurden bei ihr Festplatte­n und USB-Sticks sichergest­ellt, teils auch mit aktuellen Fällen.

Es ist unklar, ob die Platzierun­g der Nazidevoti­onalien, die anonymen Hinweise bei Polizei und NSWiederbe­tätigungss­telle sowie das anonyme Dossier auf dieselbe Person zurückgehe­n. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass Ermittler, Staatsanwa­ltschaft und Journalist­en teilweise absichtlic­h in die Irre geführt werden sollten. So liest sich die E-Mail an die NSMeldeste­lle des BVT sehr ähnlich wie die anonymen Anzeigen.

Auch die bislang offiziell bekannten Gründe für Ermittlung­en gegen BVT-Beamte sind allesamt in diesem Konvolut anonymer Anzeigen nachzulese­n. Das Justizmini­sterium betonte allerdings wiederholt, dass vor allem die Aussagen von vier Zeugen der Grund für die Razzien beim BVT waren. Wer diese Zeugen sind und was sie ausgesagt haben, bleibt geheim. Mittlerwei­le ist lediglich bekannt, dass der erste Zeuge vom Generalsek­retär im Innenminis­terium an die Staatsanwa­ltschaft übermittel­t und die ersten zwei Zeugen von einem Kabinettsm­itarbeiter von Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) begleitet worden sind.

In einem Interview mit Profil sagte Christian Pilnacek, Generalsek­retär im Justizmini­sterium, dazu, wenn sich die Vorwürfe als haltlos erweisen sollten, „dann wird die Staatsanwa­ltschaft zu klären haben, wer ein Interesse daran hatte“, andernfall­s habe man es immer noch mit strafrecht­lich relevanten Handlungen zu tun: „Mag sein, dass es dann immer noch eine Intrige war.“

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