Der Standard

London erwägt weitere Russland- Sanktionen

Internatio­nale Experten sollen aufklären, woher Nervengift von Salisbury stammte

- Sebastian Borger aus London

Nach der gegenseiti­gen Ausweisung von Diplomaten wegen des Nervengift­anschlags von Salisbury werben Großbritan­nien und Russland um internatio­nale Sympathie. An diesem Montag trifft ein Team der Organisati­on zum Verbot von Chemiewaff­en (OPCW) in London ein. Die Experten erhalten einen Bericht über den Fortgang der Ermittlung­en sowie Proben der Tatwaffe, bei der es sich laut Premiermin­isterin Theresa May um Nowitschok handelt.

Sein Land habe Erkenntnis­se darüber, „dass Russland seit einem Jahrzehnt Nowitschok auf Vorrat hält“, sagte Außenminis­ter Boris Johnson der BBC. Erst im vergangene­n Jahr hatte Russland unter Aufsicht der OPCW feierlich die Vernichtun­g sämtlicher Che- miewaffen bekanntgeg­eben, die teils noch aus der Sowjetzeit stammten. In dem südenglisc­hen Marktstädt­chen waren vor vierzehn Tagen Sergej (66) und Julia Skripal (33) bewusstlos auf einer Parkbank aufgefunde­n worden. Beide befinden sich seither auf der Intensivst­ation des örtlichen Spitals, ihre Überlebens­chancen gelten als schlecht. Ein örtlicher Polizist, der ebenfalls eine Vergiftung erlitt, befindet sich hingegen auf dem Weg der Besserung.

Die mehrere hundert Beamte umfassende Soko von Scotland Yard hat die Bevölkerun­g um Mithilfe gebeten. Spezialist­en sind dabei, 4000 Stunden Aufnahmen aus dutzenden Überwachun­gskameras auszuwerte­n. So soll ein möglichst genaues Bewegungsb­ild des burgunderf­arbenen BMW 320D erstellt werden, mit dem die Skripals am Tattag zunächst das Grab von Skripals Frau besuchten und dann in die Innenstadt von Salisbury fuhren. Die Ermittler gehen der Vermutung nach, wonach die Opfer bereits in Skripals Haus das tödliche Nervengift aufgenomme­n haben könnten. Julia Skripal könnte es unwissentl­ich in ihrem Gepäck mitgebrach­t haben, mit dem sie tags zuvor aus Moskau angereist war.

Diplomaten­ausweisung­en

Die Soko hat nun auch die Ermittlung­en im Mordfall Nikolai Gluschkow übernommen. Der Putin-Kritiker war vergangene Woche in seinem Londoner Haus tot aufgefunde­n worden – der vorläufig letzte Fall einer Reihe von Exil-Russen auf der Insel, die unter dubiosen Umständen ums Leben kamen. Am Dienstag soll der Nationale Sicherheit­srat in London über mögliche weitere Maßnahmen gegen Russ- land beraten. Vergangene Woche hatten die Briten 23 Diplomaten ausgewiese­n. Am Samstag zogen die Russen mit der gleichen Anzahl nach, schlossen außerdem das britische Generalkon­sulat in St. Petersburg sowie das Kulturinst­itut British Council in Moskau.

Unter dem Druck von Opposition und Presse haben die Konservati­ven auch ihre Einstellun­g zu härteren Finanzsank­tionen geändert. Noch vor wenigen Wochen hatte die Regierungs­partei im Unterhaus gegen einen LabourGese­tzesvorsch­lag gestimmt. Nach US-Vorbild sollte es einzel-

ne Russen treffen, die zu Putins engerem Kreis gehören oder für bestimmte Straftaten verantwort­lich gemacht werden.

Reiche Unterstütz­er des russischen Präsidente­n haben in London Milliarden investiert und den Konservati­ven binnen 18 Monaten 826.100 Pfund (932.400 Euro) gespendet. Dazu gehört auch eine Zuwendung von Lubow Tschernuki­n: die Frau eines früheren Vize-Finanzmini­sters hatte bei einem Tory-Fest für 160.000 Pfund (181.000 Euro) einen der Hauptpreis­e, ein Tennismatc­h mit Johnson, ersteigert.

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Als Reaktion auf die von London verfügten Sanktionen ließ Moskau unter anderem das britische Konsulat in St. Petersburg schließen.

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