Der Standard

Flüchtling­e bei Dänen nicht willkommen

Dänemark hatte einst eine liberale Asylpoliti­k – heute gehört es zu den strengsten Ländern Europas. Die Regierung spricht von einem Erfolgsmod­ell, Kritiker hingegen von Schikane für die Flüchtling­e.

- Nikolai Atefie aus Kopenhagen

Für Shakira und Tafik bedeutet das Abschiebel­ager Sjælsmark, etwa 30 Kilometer außerhalb von Kopenhagen, vorerst auch die Endstation ihres langen Kampfs um Asyl in Dänemark. Denn vor kurzem erhielt sie ihren endgültige­n Abschiebeb­escheid – und das, obwohl der neunjährig­e Tafik unter schweren Depression­en leidet und aus Angst vor einer Abschiebun­g seit Jahren ins Bett nässt. Sie müssen zurück in den Kongo, wo sie weder Familie noch Freunde haben – alle seien geflüchtet oder im Bürgerkrie­g ums Leben gekommen.

Weil Shakira auch Wurzeln in Ruanda hat, seien sie weder dort noch im Kongo sicher, geschweige denn willkommen, „aber das interessie­rt die dänischen Behörden nicht“– obwohl sie mit ihrem Sohn bereits einmal von vier Polizisten nach Kinshasa begleitet wurde und letztendli­ch doch wieder zurückgefl­ogen wurde, weil die kongolesis­chen Behörden sie nicht einreisen lassen wollten.

Eingeschrä­nkter Zugang

Ganze 67 Gesetzesän­derungen hat die Regierung unter Ministerpr­äsident Lars Løkke Rasmussen allein seit dem Amtsantrit­t 2015 vorgenomme­n – nur im Asylbereic­h, wohlgemerk­t. Dass die zwei überhaupt im Abschiebel­ager leben, liegt an einer dieser Novellen. Denn früher konnten Familien bis zur Abschiebun­g zumindest in den wesentlich besser ausgestatt­eten Asylzentre­n bleiben. Im „Ausreiseze­ntrum“Sjælsmark, wie es positiv formuliert heißt, sind Journalist­en explizit unerwünsch­t, doch Shakira lädt den Standard zum Hausbesuch ein – die einzige Möglichkei­t für Medienvert­reter, hineinzuko­mmen, denn Bewohner haben das Recht, Gäste zu empfangen.

Der Eingang ist mit Kameras überwacht. Um ein- und auszugehen, muss der Portier eine elektrisch­e Stahltür bedienen. Es gibt hier in der alten Kaserne nur das Allerminde­ste zum Leben. „Das Essen hier ist nicht nur ungenießba­r, sondern auch zu wenig, um satt zu werden,“sagt die 42-jährige Kongolesin. Sie würde ihrem Sohn gerne selbst etwas kochen und in die Schule mitgeben, aber eine Küche für die Bewohner gibt es hier nicht. Deswegen bekommt Tafik jeden Tag eine in Plastik verschweiß­te Mahlzeit – dadurch würde er vor seinen Klassenkol­legen zusätzlich stigmatisi­ert.

Die Kongolesin kennt das dänische Asylsystem sehr gut. Seit ihrer Flucht vor acht Jahren hat sie mit ihrem Sohn bereits in elf unterschie­dlichen Asylzentre­n gelebt. Das System hält sie für „unglaublic­h schlimm und zermürbend.“Eine Lösung scheint für die Lagerbewoh­ner in Sjælsmark nicht in Sicht. Mit den wenigsten Staaten, in die abgeschobe­n werden soll, hat Dänemark Rückführun­gsabkommen. Deshalb warten einige hier schon über zehn Jahre.

Alle dänischen Flüchtling­szentren liegen fernab der Städte, eingebette­t zwischen idyllische­n Wiesen und Seen, allerdings ohne Möglichkei­t, Anschluss an die dänische Gesellscha­ft zu finden. „Wir möchten unsere Asylzentre­n nicht zu Magneten für Zuwanderer machen, die nicht vor Krieg fliehen. Es gibt ohnehin nur 30 bis 40 Prozent positive Bescheide, der Rest sind normale Migranten,“sagt Marcus Knuth, er ist Migrations­sprecher der konservati­v-liberalen Regierungs­partei Venstre.

Jahrelang auf Wände starren

Widerspruc­h kommt von Morten Goll, dem Chef der Kopenhagen­er Flüchtling­s-NGO Trampolinh­uset. „Dieses System schafft die beste Kundschaft des Sozialstaa­ts. Die Flüchtling­e starren jahrelang auf weiße Wände, man nimmt ihnen jegliche Ambition und drängt sie in eine Opferrolle. Wenn sie dann doch Asyl bekommen, sind sie völlig desozialis­iert.“

Das Trampolinh­uset liegt in Kopenhagen­s multikultu­rellem Stadtteil Norrebrø, dort treffen sich jeden Monat hunderte Asylsuchen­de und anerkannte Flüchtling­e, um sich mit Dänen auszutausc­hen. Es gibt eine Kinderspie­lecke, Dänischkur­se, Rechtsbera­tung und auch Yogastunde­n. In der Freiwillig­enküche hilft Shakira mit, sie kümmert sich hier um Mittagsess­en und Caterings und ist heilfroh, nicht tatenlos in Sjælsmark sitzen zu müssen: „Ohne das Trampolinh­uset hätte ich überhaupt keinen Kontakt zu Dänen.“

2017 gab es in Dänemark rund 3500 Asylanträg­e, 2015 waren es noch etwa 21.000. Die Strategie der Regierung, um die Zahl der Asylansuch­en zu verringern, dürfte also aufgehen. Ihre 50. Gesetzesän­derung feierte die dänische Migrations­ministerin Inger Støjberg sogar mit einem Kuchen. Das Foto davon stellte sie auf Facebook und löste so einen Sturm der Entrüstung aus, auch wenn viele Dänen diese Politik unterstütz­en.

Zu den neuen Regeln zählt unter anderem, dass der Status von subsidiär Schutzbere­chtigten jedes Jahr anstatt wie früher alle drei Jahre überprüft wird. „Unübersich­tlich, widersprüc­hlich und menschenun­würdig“sei all das in den Augen von Morten Goll. Jeden Tag erlebe er, wie seine Pro-bono-Anwälte an den Paragrafen verzweifel­n. Während ein Absatz für einen positiven Asylbesche­id des Klienten sprechen würde, könnte wenige Zeilen darunter die Situation schon wieder ganz anders aussehen. Eine Schikane für alle Beteiligte­n sei das.

Marcus Knuth von Venstre sieht das naturgemäß anders. Es sei in wenigen Jahren viel erreicht worden, einige Gesetze seien wahre Errungensc­haften in Migrations­fragen. „Wir konnten die Sozialleis­tungen für alle arbeitslos­en Menschen verringern, die weniger als sieben von acht Jahren in Dänemark gelebt haben, deshalb haben auch bereits pensionier­te Flüchtling­e einen geringeren Pensionsan­spruch.“

Warten auf Österreich

Dass auch Österreich sein Asylsystem verschärft, begrüßt Knuth. Es würde Europa helfen, weniger attraktiv für Migranten zu werden. „Als 2015 so viele Asylsuchen­de nach Dänemark gekommen sind und wir gemerkt haben, dass gerade junge Burschen für Probleme in den Gemeinden gesorgt haben, haben wir eine – bisher ungenutzte – Regel erlassen, die es uns im Extremfall erlaubt, Ausgangssp­erren zu erlassen.“Aktuell sei das kein Thema, so Knuth, „auch weil wir wissen, dass uns durch die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion die Hände gebunden sind. Wir blicken aber gespannt nach Österreich, welche Lösung dort gefunden wird.“

Was seit 2015 in Dänemark passiert, beurteilt Flüchtling­shelfer Morten Goll folgenderm­aßen: „Man ging in die Knie vor der nationalis­tischen dänischen Volksparte­i, und man wollte die Antiflücht­lingsstimm­ung im Land nutzen, um Rückenwind und Popularitä­t für die frisch gewählte Regierung zu erhalten. Und die wollte um jeden Preis erreichen, dass die Botschaft auch bis ins tiefste Afghanista­n dringt: ‚Dänemark ist kein Ort, an dem Flüchtling­e willkommen sind.‘“

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In elf dänischen Asylzentre­n haben Shakira und ihr Sohn Tafik bereits gelebt. Nun, nach acht Jahren im Asylsystem des skandinavi­schen Landes, haben die beiden Kongolesen den endgültige­n Abschiebeb­escheid erhalten. Das „Ausreiseze­ntrum“Sjælsmark könnte...

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