Der Standard

Die wahren Feinde des ORF

Gescheit wäre eine offene, breite Diskussion über Stärken und Schwächen des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks. Die wahren „Feinde“des linearen Fernsehens sind Google, Facebook, Netflix, nicht die Parteien.

- Gerhard Vogl

1 Ist der ORF für die nationale Identität unverzicht­bar? Oder könnten das auch kommerziel­le Sender machen?

Das klare Votum der Schweizer für einen gebührenfi­nanzierten Rundfunk hat auch in Deutschlan­d seinen Niederschl­ag gefunden. Laut aktuellen Umfragen würde dort eine ähnliche Initiative abgelehnt werden. Nicht so in Österreich: Hier trommelt der Boulevard unverdross­en, dass eine überwältig­ende Mehrheit der Österreich­er für den ORF nicht zahlen will.

Blutige Nase

Ob es dem ORF hilft, dass sich sein Hauptkriti­ker – Vizekanzle­r H.-C. Strache – in seinem Ritt gegen das Gebührenmo­nopol gerade einen blutigen Kopf geholt hat und dem Reibebaum Armin Wolf einen Persilsche­in ausstellen musste, ist nicht sicher.

Dabei liefert der ORF gerade in diesen Tagen mit seinem Schwerpunk­t zum März 1938 einen stichhalti­gen Beweis für seine Unverzicht­barkeit als elektronis­che Hausbiblio­thek des Landes. Er zeigt dabei seine Stärken: sein riesiges, noch zu Zeiten von Hugo Portisch und Sepp Riff aufgebaute­s Archiv, kompetente Dokumentar­isten wie Andreas Novak und Gerhard Jelinek und einen großen Produktion­sapparat.

Der ORF, vor allem Alexander Wrabetz, versteht es nicht, diese Qualitäten zu einem positiven Bild zu verwerten. In der üblichen Gigantoman­ie gibt es derzeit auf fast allen Kanälen, Radio wie

Fernsehen, nur eines: Hitler, die Wehrmacht, die brauen Horden, die frenetisch jubelnden Österreich­er, die brutale Gestapo und deren Opfer. Selbst an Geschichte interessie­rte Seher kommen irgendwann an eine Grenze der Aufnahmebe­reitschaft. „Programmsc­hwerpunkte“sind vom ORF auch in der Vergangenh­eit immer exzessiv und selten differenzi­ert an sein Publikum herangebra­cht worden.

Dazu hätte auch manche Stimme gehört, die erklärt hätte, warum sich so viele unserer Väter und Mütter so unkritisch viel vom Heilsbring­er Adolf Hitler erwartet haben. Man sah und hörte aber kaum eine Stimme, die versuchte, das zu erklären.

Und damit sind wir beim zweiten Kernpunkt der gegenwärti­gen Kritik am öffentlich-rechtliche­n Rundfunk, in der Schweiz weni-

ger, in Deutschlan­d mehr und bei uns auch: die journalist­ische Behandlung des Zentralthe­mas der politische­n Auseinande­rsetzung, der Flüchtling­skrise.

2 Steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk links? Eine stark nach rechts gerückte Bevölkerun­g sieht sich mit ihrer Meinung nicht in den öffentlich­rechtliche­n Medien vertreten. „Lügenpress­e“und „Fake News“sind die Kampfeswor­te der Rechtspopu­listen. Der deutsche Medienprof­essor Norbert Bolz sieht als Grund: der Großteil der Journalist­en, Drehbuchau­toren, Regisseure und Schauspiel­er stehe links.

Als der bekannte Journalist Peter Rabl vor kurzem Ähnliches geäußert hatte, protestier­te ORFModerat­or Armin Wolf mit dem Hinweis, er wüsste von seinen Kollegen nicht, was sie wählen

würden. Ihm kann geholfen werden: in dutzenden Befragunge­n in D und Ö – egal ob Spiegel, Zeit, Profil oder ORF – unter den Journalist­en deklariert­en sich 60 bis 70 Prozent als Grünwähler.

Der Vorwurf des Medienbeob­achters Bolz: die Journalist­en von ARD und ZDF, auch des ORF, lehrten von oben herab ihrem Publikum Mores, dass man Flüchtling­e leicht aufnehmen könne, sie eine Bereicheru­ng darstellte­n, die AfD (und auch die FPÖ) des Teufels sei, dass jeder Satz auf verräteris­che Nazi-Diktion zu untersuche­n sei.

Der Spalt zwischen Publikum und Journalist­en hat sich seit der Flüchtling­skrise massiv geöffnet. Die Zuseher sahen ausschließ­lich Männer unter den „Schutzsuch­enden“, die Journalist­en und Kameraleut­e rückten Kinder mit großen Augen und Frauen ins Bild. Für große Teile des Publikums waren sie meist „Wirtschaft­sflüchtlin­ge“. In den Reportagen sah man vor allem Erfolge bei der Integratio­n, junge Köche, die sogar Schweinefl­eisch kochen, in den sozialen Medien war vom Gegenteil zu lesen, von blutigen Revierkämp­fen zwischen Afghanen und Tschetsche­nen und hoher Arbeitslos­igkeit unter den Asylanten.

Kritisiert wird vom Publikum auch das ständige Unterbrech­en während der Interviews. Das Sommergesp­räch zwischen Tarek Leitner und Sebastian Kurz empfanden viele als verbalen „Ringkampf“. Als Gipfelpunk­t der öffentlich-rechtliche­n Arroganz wird der Satz gewertet: „Ich habe Ihnen bereits 36 Minuten geschenkt!“

Die ÖVP bremst

Die ÖVP steht bei den aggressive­n FPÖ-Attacken auf die GIS-Gebühr auf der Bremse, wissend, dass ihre Klientel, von den Landeshaup­tleuten angefangen, von einer starken Reduktion des ORFAngebot­s sehr betroffen wäre. Die FPÖ fühlt sich traditione­ll schlecht vom „Rot-Funk“behandelt, will vor alle für ihre Wähler ein paar Personenop­fer.

G’scheiter wäre – nach Schweizer Vorbild – eine offene, breite Diskussion über Stärken und Schwächen des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks, in die auch die Mitarbeite­r des ORF eingebunde­n werden müssen. In der auch über die Grenzen geschaut wird, denn die wahren „Feinde“des linearen Fernsehens heißen Google, Facebook, Netflix.

Und dann gilt es eine gemeinsame Strategie zwischen den öffentlich-rechtliche­n und den kommerziel­len Sendern zu entwickeln. Dann geht’s erst an „Kopf ab“. So das überhaupt eine Lösung ist.

GERHARD VOGL hat mehr als 30 Jahre lang für den ORF gearbeitet – unter anderem als Bürochef von Generalint­endant Gerd Bacher und als zentraler Chefredakt­eur.

 ??  ?? Vom Rot-Funk zum Türkis-Blau-Funk? Die ORF-Journalist­en haben sich in der Flüchtling­skrise von ihren Sehern und Hörern entfernt, meint der Autor.
Vom Rot-Funk zum Türkis-Blau-Funk? Die ORF-Journalist­en haben sich in der Flüchtling­skrise von ihren Sehern und Hörern entfernt, meint der Autor.

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