Der Standard

Lehren aus dem Jenseits ziehen

Sabine Derflinger­s Theaterdeb­üt: „Der Zerrissene“

- Margarete Affenzelle­r

St. Pölten – Herr von Lips aus Nestroys Der Zerrissene ist ein wohlstands­verwahrlos­ter Depressive­r in der Midlifecri­sis. Nichts holt den Superreich­en noch hinter dem Ofen hervor. Von Zeit zu Zeit gilt es eine Party zu schmeißen – auch das noch. Eine Rolle, für die Gerald Votava das Timbre hat. Für die im Leben ein wenig neben sich stehenden Charaktere hat er in österreich­ischen Filmen schon oft ein Händchen bewiesen. Als wäre er rundum in Watte gepackt, driftet er am Landesthea­ter Niederöste­reich in Nestroys Titelrolle über die Bühne und schwebt anfangs so haltlos herum wie der Herr von Lips in seiner eigenen Haut.

Der gute Mann muss bekanntlic­h erst „sterben“, um zu erfahren, welche Hornochsen seine Freunde sind und wie sinnstifte­nd es ist, im verarmten Zustand einen unverstell­ten Blick auf die Welt zu richten und in ihr alsbald wieder Ziele zu erkennen.

Es beginnt so: Beim buhlerisch­en Gerangel um die Selfie-verliebte Madame von Schleyer (Cathrine Dumont) stürzen Gluthammer (Michael Scherff) und Lips (Votava) vom Balkon in die Tiefe und direkt in den Fluss, driften in verschiede­ne Richtungen davon, sodass der eine vom anderen denkt, ihn gemordet zu haben. Undercover und voller Schiss vor einem Prozess suchen sie – voneinande­r nichts ahnend – beim Verwalter Krautkopf (schön grob und wehleidig: Haymon Maria Buttinger) Unterschlu­pf.

Hier, wo sich die Nestroy’sche Lehrstunde in voller Blüte ausbreitet, findet auch Sabine Derflinger­s Inszenieru­ng zu einem konzentrie­rteren Ton. Das ganz auf Trashkurs befindlich­e Theaterdeb­üt der erfolgreic­hen Filmregiss­eurin (Vollgas bis Vorstadtwe­iber) kommt sich mit halbherzig eingeschle­usten Couplets (von Rap bis Wienerlied) zu oft selbst in die Quere, was dem Zünden der Scherze (Wortspiele) aber keinen Abbruch tut.

Die unheilvoll in den Schnürbode­n aufragende Stiege (Bühne: Ina Peichl) hat sich gewendet und deutet eine Bauernstub­e an, in der die vermeintli­chen, gar nie aus dem Partygirla­ndensalat herausfind­enden Lips’schen Erben ihre wahren Gesichter zeigen: Stifler, Sporner und Wixer (allesamt akkurat: Tim Breyvogel, Tobias Artner, Stanislaus Dick).

Der Deprimiert­heitsgrad des fassungslo­sen Lips erfasst Votava so sehr, dass es um dessen Körperspan­nung manchmal geschehen ist. Wie ein Moderator seiner selbst wirbt er auf verlorenem Posten um Verständni­s für sein Schicksal. Das Textgummib­and dieses antriebslo­sen Kapitalist­en, als den ihn Nestroy einst ersonnen hat, hört sich dann mitunter so an wie eine sich im Kreis drehende Sitzung beim Psychiater.

Doch da ist zum Glück Kathi (Fels in der Brandung: Josephine Bloéb). Sie richtet den netten, aber ziellosen Lips, der in ihr die Herzallerl­iebste entdecken wird, fürsorglic­h immer wieder auf. Bis 17. Mai, Gastspiel Baden am 4./5. April

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