Der Standard

Der große Sprung zurück

- Christoph Prantner

Links die Große Halle des Volkes, rechts das Nationalmu­seum und geradeaus das Tor des Himmlische­n Friedens. Dort prangt Mao Zedongs monumental­es Bildnis, dort hat er vor bald 70 Jahren die Volksrepub­lik China ausgerufen. Die Szenerie am Tian’anmen-Platz wird sich auch nach dem Ende des Volkskongr­esses nicht ändern. Dabei steht nach dieser Parlaments­sitzung in Peking politisch kein Stein mehr auf dem anderen. China hat dieser Tage die größte Zäsur gesehen seit dem Tod Maos und Deng Xiaopings Öffnungspo­litik. Statt des Genossen Mao könnte ab nun genauso gut Staatspräs­ident Xi Jinping süffisant vom Eingang zur Verbotenen Stadt lächeln.

„Onkel Xi“hat seine auf zwei Fünfjahres­perioden festgelegt­e Amtszeitbe­schränkung aufheben lassen. Seine theoretisc­hen Grundsatzs­chriften wurden in den Verfassung­srang erhoben, seine Verbündete­n in Schlüsselp­ositionen gehievt und sein Herrschaft­sinstrumen­t, die Korruption­sbekämpfun­g, noch einmal gestärkt. Ab jetzt steht die Behörde, die gegen „Tiger und Fliegen“, also hohe und niedere Funktionär­e in der KP, vorgeht und in den vergangene­n fünf Jahren 1,34 Millionen Parteigäng­er verfolgt hat, über dem Obersten Gerichtsho­f. Xi kann also ungehinder­t regieren – in einer Machtfülle, die jener Maos gleichkomm­t.

Damit will er den Übergang der Volksrepub­lik vom Schwellenl­and zur Supermacht ohne Effizienzv­erluste vorantreib­en. So wie er nun in Richtung Hongkong und Taiwan die Einheit des Landes eingemahnt hat, so signalisie­rt sein Plan dem Ausland, dass es mit China rechnen muss. Experten stellen bereits fest, dass die Volksrepub­lik enorme Fortschrit­te im Bereich der Forschung und Entwicklun­g macht, militärisc­h weltweit agieren will, in den globalen Finanzinst­itutionen an Gewicht gewinnt, durch Firmenüber­nahmen schleichen­d Einfluss etwa in Europa erringt. Bis 2030 – so lange soll der 64-jährige Xi für sich selbst planen – soll dieser Weg befestigt sein. Ab 2050 will China als Supermacht global Schrittmac­her sein. ür diesen Plan wird das Volk gnadenlos unterdrück­t, unter anderem mit dem neuen Sozialkred­itsystem, das Wohlverhal­ten im Sinne der Partei, also Xis, belohnt. Wer dagegen unangenehm auffällt, darf wegen mangelnder Sozialkred­itpunkte etwa keine Züge benutzen. Viele Chinesen stört das keineswegs. Sie wollen ökonomisch vorankomme­n und können ohne Demokratie leben. Dennoch ist ihre Überwachun­g heute so stark wie kaum je zuvor. Aus Angst vor Unruhen lässt Xi den Chinesen bis in die Kapillaren der von ihnen so geliebten Mikroblogs nachstelle­n. Das führt zu allerlei Absurdität­en: In den letzten 14 Tagen wurden etwa Bilder von Winnie-the-Pooh, der sich am Honigtopf festhält, blockiert, weil es heißt, dieser ähnele Xi.

Noch einmal Mao: „Das chinesisch­e Volk ist wie ein weißes Blatt Papier, auf das sich die schönsten Zeichen malen lassen.“Sein Erbe ist der Massenmord der Kulturrevo­lution. Auch Xis Familie hat in dieser Zeit gelitten. Und dennoch macht er nun den großen Sprung zurück.

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