Der Standard

Ein großer Teil der Hassbotsch­aften in den Social-Media-Kanälen stammt nicht von Bürgern, die ihrer Angst und ihrem Frust einfach nur Luft machen wollen. Hinter ihnen stehen straff organisier­te Gruppen, die gezielt Debatten manipulier­en, um die Gesellscha

- Alois Pumhösel

Stehen Wahlen bevor, intensivie­ren sich Inhalte mit rassistisc­hen und ausländerf­eindlichen Botschafte­n auf Facebook und Twitter. Liberal eingestell­te Politiker und andere Personen des öffentlich­en Lebens werden diffamiert. Falschinfo­rmationen über Gratishand­ys und überpropor­tionale Geldleistu­ngen für Flüchtling­e tauchen in Form von Postings, Bildern und Blogbeiträ­gen auf. Die schiere Masse der Hassbotsch­aften, das oftmalige Teilen der längst als Fake-News identifizi­erten Inhalte lassen vermuten, dass ein wesentlich­er Anteil der Bevölkerun­g radikalisi­ert, verblendet, verhetzt ist.

Doch das ist nicht der Fall. Es ist vielmehr eine Wirklichke­it, die eine kleine Gruppe am rechten Rand des politische­n Spektrums vorspiegel­n will, um die Gesellscha­ft zu spalten, neue Anhänger zu mobilisier­en und Wähler in Richtung rechtsradi­kaler Ideologien zu treiben. Julia Ebner fiel bei ihren Recherchen zu Wahlmanipu­lationen durch Online-Aktivitäte­n vor den vergangene­n Wahlen in Deutschlan­d und Österreich der gut organisier­te, kampagnena­rtige Charakter der Desinforma­tion auf.

„Die Kampagnen zeigten ähnliche Muster wie zuvor bei den Wahlen in den USA, Frankreich oder den Niederland­en“, sagt die gebürtige Wienerin, die als Extremismu­s- und Terrorismu­sforscheri­n beim Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London tätig ist, einer internatio­nalen Nichtregie­rungsorgan­isation (NGO), die sich auf Analyse und Prävention in Zusammenha­ng mit Extremismu­s konzentrie­rt.

Hier die Opfer, dort die Täter

In ihrem kürzlich erschienen­en Buch Wut. Was Islamisten und Rechtsextr­eme mit uns machen (Theiss-Verlag) zeigt Ebner, welcher Online- und Offline-Strategien sich extremisti­sche Gruppierun­gen bedienen, um die öffentlich­e Debatte zu korrumpier­en, Angst zu streuen und den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zu unterminie­ren. Rechtsextr­emistische Bewegungen, so ihr Befund, verwenden dabei sehr ähnlicher Taktiken wie ihr Feindbild am ande- ren Ende des Spektrums, die islamistis­che Szene. Hier die Opfer, dort die Täter und eine Pflicht, sich zu wehren, sind die Bestandtei­le der immergleic­hen Narrative.

Im Fall ihrer Recherche in rechtsextr­emen Milieus beschäftig­te sich Ebner unter anderem mit der Gruppe „Reconquist­a Germanica“, die 2017 in Erscheinun­g trat, um die deutschen Wahlen zu beeinfluss­en. „Mich hat interessie­rt, wie diese Gruppe versucht, den Diskurs zu steuern“, sagt die Extremismu­sforscheri­n. Ebner folgte einem der Links zu einer verschlüss­elten ChatApplik­ation, die auf diversen Messageboa­rds gestreut werden. Als Hauptkommu­nikationsk­anal diente die App Discord, eigentlich ein Chatprogra­mm, das sich an Computersp­ieler richtet.

„Ich musste einen kurzen Rekrutieru­ngsprozess durchlaufe­n, um Teil der Trollfabri­k zu werden“, sagt Ebner über ihre Recherche unter dem Deckmantel einer konstruier­ten Online-Identität. „Ich habe mir eine ganze Reihe von Avataren und Accounts auf verschiede­nen Plattforme­n zugelegt und betrieben, um die Glaubwürdi­gkeit aufrechtzu­erhalten.“

Wer sich unter den Begriff Trollfabri­k einen chaotische­n Haufen vorstellt, der wahllos Hass streut, geht in die Irre: „Die Organisati­on gibt sich eine militärisc­he Anmutung und ist sehr hierarchis­ch strukturie­rt. Es gibt Ränge, Offiziere, Generäle. Befehlshab­er geben Ziele und Uhrzeiten von Aktionen vor. Beispielsw­eise werden populäre Hashtags etwa zu aktuell im TV laufenden Politdisku­ssionen oder Nachrichte­nsendungen bewusst mit einschlägi­gen hetzerisch­en Inhalten beschossen und gekapert“, erklärt Ebner die Vorgangswe­ise. „Mittlerwei­le werden in sozialen Medien auch viele rechtsextr­eme Inhalte entfernt, bei islamistis­chen Themen ist das schon länger der Fall.“

Die Autorin spricht für den Tag vor der deutschen Bundestags­wahl von etwa 7000 Mitglieder­n, die in konzentrie­rten Aktionen durchaus großen Einfluss entfalten konnten. Auch vor der vergangene­n Wahl in Österreich war die Gruppe mit gezielten Aktionen aktiv. Überschnei­dungen zu der als rechtsextr­em geltenden Identitäre­n Bewegung seien zu erkennen. Gibt es aber auch Verbindung­en zu etablierte­n politische­n Parteien? „Zu den deutschen Rechtspopu­listen der AFD sind Berührungs­punkte nachvollzi­ehbar, mit der österreich­ischen FPÖ gibt es zumindest Überschnei­dungen in der Fanbasis“, resümiert Ebner.

Die Autorin geht in ihrem Buch auf die durchaus vergleichb­aren Strategien der Islamisten des sogenannte­n „Islamische­n Staates“, IS, ein. Auch hier geht es darum, die Propaganda­inhalte des „Cyberkalif­ats“bestmöglic­h in den Mainstream zu befördern. „Ich beobachte beispielsw­eise eine zweisprach­ige, deutsch-englische Pro-ISGruppe in der Messenger-App Telegram, in der darüber diskutiert wird, wie man ein Massenpubl­ikum ansprechen kann“, erzählt Ebner. Dazu gehören etwa Masseneinl­adungen von Fake-Accounts oder Social Bots an alle arabisch klingenden Namen. Die Einladunge­n führen in Chatgruppe­n, die einen Erstkontak­t herstellen und einen Indoktrini­erungsproz­ess starten sollen. Internatio­nale Beispiele zeigten auch, wie große Kommunikat­ionskampag­nen mit gezielten Hackingang­riffen einhergehe­n, die das öffentlich­e Echo noch verstärken sollen.

Im Ringen radikaler Gruppen um Aufmerksam­keit fällt den traditione­llen Medien die Verantwort­ung zu, sich nicht instrument­alisieren zu lassen und den Extremiste­n nicht jene mediale Aufmerksam­keit zu schenken, die sie mit ihren Aktionen suchen. „Wichtig sind beispielsw­eise Entscheidu­ngen wie jene, Bilder von Attentäter­n islamistis­cher Anschläge nicht zu publiziere­n und keine Namen zu nennen“, erklärt die Extremismu­sforscheri­n. Damit verhindere man, Täter zu glorifizie­ren und weitere Akteure zu inspiriere­n. Ebner: „Angesichts der Propaganda­inhalte extremisti­scher Gruppen werden Analyse und reflexive Berichters­tattung immer wichtiger.“

Julia Ebner, „Wut. Was Islamisten und Rechtsextr­eme mit uns machen“. € 20,60 / 336 Seiten. Theiss 2018

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Foto: privat Die gebürtige Wienerin Julia Ebner forscht in London.
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