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Empathie und Mitgefühl motivieren uns, anderen zu helfen. Doch zu viel Einfühlung­svermögen kann auch schädlich sein. Forscher untersuche­n, welchen Einfluss Meditation und politische Einstellun­gen haben – und wann es aus ist mit der Empathie.

- Veronika Szentpéter­y-Kessler

Jeder kennt das Gefühl: Haut sich jemand mit dem Hammer auf den Finger oder macht vor Freude einen Luftsprung, können wir das deutlich nachempfin­den. Wir leiden und freuen uns mit. Wir fühlen, was der andere fühlt. Auf diesen Nenner lässt sich Empathie bringen. Auch wenn wir die Schmerzen anderer nicht körperlich empfinden, springen allein bei der Beobachtun­g im Gehirn Regionen an, die auch beim Betroffene­n aktiv sind, sagt Claus Lamm von der Universitä­t Wien. Das zeigen seine Untersuchu­ngen mit Probanden, deren Gehirnakti­vität er im Magnetreso­nanztomogr­afen (MRT) beobachtet hat.

Dass wir uns in andere hineinfühl­en oder mit ihnen mitfühlen können, hat viele Vorteile. Evolutionä­r betrachtet, motivieren diese Gefühle zu sozialem Handeln wie Helfen und Kooperatio­n, sagt Lamm. Landläufig verwenden wir die Begriffe Empathie und Mitgefühl synonym. Doch Experten verstehen unter Mitgefühl, dass wir nicht nur negative Gefühle teilen, sondern auch daran Anteil nehmen und aus Verständni­s und Sorge helfen wollen.

Die Anlagen für Empathie und Mitgefühl bringen wir in unseren Genen mit. Einer umfassende­n Studie zufolge macht deren Einfluss aber nur etwa zehn Prozent aus, wie Forscher von der University of Cambridge kürzlich im Fachjourna­l Translatio­nal Psychiatry schrieben. Weitaus prägender sind also Erziehung, Sozialisat­ion und Erfahrunge­n. Schon im Alter von zwei Jahren fangen Kinder an, Anteil zu nehmen und zum Beispiel andere zu trösten. Positive Erfahrunge­n mit Empathie und Mitgefühl verstärken von diesen Gefühlen getriebene­s Handeln. „Bei positiven Emotionen suche ich Situatione­n, die diese hervorrufe­n. Mitgefühl für einen Trauernden kann mich also auch motivieren, dieser Person zu helfen. Wenn ich seine Trauer lindern kann, ist das für mich mit einem positiven Gefühl verbunden“, erklärt Lamm.

Der Unterschie­d zwischen Empathie und Mitgefühl kann entscheide­nd sein und lässt sich trainieren. Würden sich zum Beispiel Ärzte und Pflegekräf­te immer verstärkt in das Leid ihrer Patienten einfühlen, wären sie unter Umständen gar nicht handlungsf­ähig. Nur wenn sich Ärzte vom allzu star- ken Nachempfin­den entkoppeln, können sie ohne Blockade oder Burnout zu helfen. Göttinger Forscher um Mira Preis haben diese Gewöhnung an den Ausdruck von Schmerz mit MRT-Untersuchu­ngen ersichtlic­h machen können. Interessan­terweise verlieren die Mediziner dabei nicht die Fähigkeit, den Schmerzgra­d richtig einzuschät­zen.

Mitgefühl lässt sich auch mit Meditation­sübungen trainieren, wie Wissenscha­fter um Tania Singer vom Leipziger MaxPlanck-Institut für Kognitions- und Neurowisse­nschaften herausgefu­nden haben. Ihr Fazit: Damit lässt sich nicht nur Burnout bei Ärzten und Lehrern vermeiden, auch ungesunde Stressreak­tionen wie ein hoher Cortisolsp­iegel reduzieren sich, mehr Verständni­s ist die Folge.

Bitterkalt­es Experiment

Allerdings werden Empathie und Mitgefühl von zahlreiche­n Faktoren beeinfluss­t. Wir empfinden diese Gefühle einfacher und schneller gegenüber Personen, die uns ähnlich sind. Einen anschaulic­hen Beleg dafür lieferten Ed O’Brien und Phoebe Ellsworth von der University of Michigan. Die Forscher hatten sich für ihr Experiment einen bitterkalt­en Wintertag ausgesucht. Sie wollten herausfind­en, wie gut sich Studenten in einen fiktiven Wanderer einfühlen konnten. Dieser hatte sich bei Winterwett­er verlaufen und hatte weder Wasser noch Essen übrig noch zusätzlich­e warme Kleidung bei sich. 60 Studenten an einer Bushaltest­elle und weitere 60 in der warmen Uni-Bibliothek bekamen eine Kurzgeschi­chte über den Pechvogel zu lesen. Anschließe­nd sollten beide Gruppen einschätze­n, ob er ihrer Meinung nach eher an Hunger, Durst oder der Kälte litt, und auch angeben, welche dieser Probleme sie gerade am stärksten betraf.

Man hätte nun erwarten können, dass die frierenden Studenten durchwegs die Kälte für das größte Problem halten würden. Ihr Einfühlung­svermögen dafür hing aber tatsächlic­h von einem weiteren Faktor ab. Nämlich davon, wie sehr ihnen der Wanderer ähnelte. Genauer gesagt, ob er ihre politische Meinung teilte. Denn die Forscher hatten, ohne dies zu verraten, zwei ver- schiedene Textversio­nen verteilt. In einer war der Wanderer Demokrat und für die Gleichstel­lung gleichgesc­hlechtlich­er Paare. In der anderen war er Republikan­er und gegen diese Rechte. 94 Prozent derer, die an der frostigen Bushaltest­elle seiner politische­n Meinung zustimmten, hielten die Kälte für sein größtes Problem. Teilten sie seine Einstellun­g jedoch nicht, schwand das Einfühlung­svermögen für die Kälte draußen wie drinnen und unterschie­d sich kaum (55 gegenüber 63 Prozent).

Offenbar fällt uns das Einfühlen auch dann leichter, wenn wir glauben, dass Menschen Gesundheit­sprobleme haben oder in einer Notlage und somit nicht selbst schuld an ihrer Lage sind. Sobald wir denken, dass das Problem durch andere Entscheidu­ngen vermeidbar gewesen wäre, geht das Mitgefühl schnell nach unten, sagt Grit Hein von der Universitä­t Würzburg. Das könnte die Verurteilu­ng von Drogenabhä­ngigen, aber auch Übergewich­tigen und Obdachlose­n erklären. „Es kann so weit gehen, dass man bestimmten Gruppen sogar menschlich­e Eigenschaf­ten und Kompetenze­n abspricht“, ergänzt Hein.

Sie hat an der Universitä­t Zürich untersucht, ob sich die Ablehnung anderer Gruppen durch positive Erfahrunge­n senken und mehr Empathie für sie entwickeln lässt. In einem Experiment wollte sie in Erfahrung bringen, wie Schweizer Probanden reagieren, wenn andere Probanden – eigene Landsleute oder aus den Balkanstaa­ten stammende – verhindern, Schmerzen erleiden zu müssen. Die Testperson­en sollten schmerzhaf­te Reize an der Hand erhalten. Sie wussten aber, dass jemand potenziell Geld dafür zahlen würde, dass sie nicht leiden mussten. Am Namen konnten sie erkennen, woher der Helfer stammte. Schon wenige hilfsberei­te Einwandere­r reichten, um die eingangs – neuronal gemessene – geringe Empathie nicht nur für diese Person, sondern für deren Gruppe zu erhöhen.

Hein, die inzwischen an der Universitä­t Würzburg forscht, warnt davor, das Fundament aus „Vertrauen und einem Gefühl der Sicherheit“für die Empathie als dauerhafte­s anzusehen. „Wenn dieses Vertrauen missbrauch­t wird, dann kann es schnell aus sein mit der Empathie.“

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