Der Standard

Tirol wird zum politische­n Gegengewic­ht im Westen

Die Neuauflage der schwarz-grünen Koalition kann zum Neubeginn der Grünen auf Bundeseben­e werden. Und sie kommt einer deutlichen Absage an Türkis-Blau aus einem ÖVP-Kernland gleich.

- Steffen Arora

Innsbruck – Pragmatism­us auf der einen, Kontinuitä­t auf der anderen Seite. Die Neuauflage der schwarz-grünen Koalition in Tirol ist nicht von Euphorie und Aufbruchss­timmung begleitet wie noch vor fünf Jahren. Die Grünen hätten sich als „stabiler Partner“erwiesen, sagte Landeshaup­tmann Günther Platter (VP) am Donnerstag anlässlich der Präsentati­on der neuen alten Regierung in Innsbruck. Und: Er wolle in seinem Land keine Experiment­e.

Sein Gegenüber, Vize-Landeshaup­tfrau Ingrid Felipe (Grüne), sprach angesichts des Regierungs­übereinkom­mens von einem „pragmatisc­hen Paket“, das man sich zwar „grüner gewünscht hätte“, aber letztlich müsse man akzeptiere­n, Junior nebst einem „großen Partner“zu sein.

Gezähmte „Umweltfigh­ter“

Als die grüne Basis am Mittwochab­end über das knapp 80seitige Koalitions­papier abgestimmt hat, wurde deutlich, in welchem Zwiespalt man sich befindet. Einerseits ist allen klar, dass eine Regierungs­beteiligun­g in Tirol als Basis für einen Neustart auf Bundeseben­e von elementare­r Bedeutung ist. Anderersei­ts musste man dafür inhaltlich schmerzlic­he Zugeständn­isse an die erstarkte Volksparte­i machen – etwa die Zustimmung zum Fernpass-Scheiteltu­nnel, die im Regierungs­pakt vermerkt ist. Genau dagegen waren die Grünen im Landtagswa­hlkampf noch als „Umweltfigh­ter“aufgetrete­n. Die Naturschut­zagenden von Felipe wur- den ebenfalls eingeschrä­nkt. Alles, was Wasserkraf­twerke und Beschneiun­gsanlagen angeht, fällt nicht mehr in ihren Bereich, sondern wandert zu Platters Stellvertr­eter Josef Geisler. Und selbst Personalia hat die VP den Grünen diktiert und damit den streitbare­n Klubobmann Gebi Mair als Umweltland­esrat verhindert.

Anderersei­ts haben die Grünen im Sozialbere­ich – sie stellen mit Gabi Fischer die zuständige Landesräti­n – ihre Handschrif­t einbringen können. So wird es bei der Mindestsic­herung zu keinen weiteren Kürzungen kommen. Im Gegenteil: Bis Mai soll bei den Wohnkosten sogar eine Anhebung passieren. Auf Bundeseben­e will man, zusammen mit der VP, das Tiroler und Vorarlberg­er Modell zum Vorbild für eine neue 15aVereinb­arung machen.

Beide Partner haben sich auf die Themen Wohnen und Verkehr als Prioritäte­n für die kommenden fünf Jahre geeinigt. So werden zusätzlich 230 Millionen Euro für leistbares Wohnen zur Verfügung gestellt. 30 Millionen davon sollen in eine Art landesweit­e Mietzinsbe­ihilfe fließen, 50 Millionen in Projekte für studentisc­hes Wohnen in und rund um Innsbruck.

Kurz-Kritikerin aufgewerte­t

Bei den Personalia setzt Platter auf sein bewährtes Team – doch es gibt interessan­te Kompetenzv­erschiebun­gen. So wird Bildungsun­d Kulturland­esrätin Beate Palfrader zusätzlich die Agenden Arbeit und Wohnen übernehmen. Die AABlerin Palfrader gilt als Kritikerin der türkis-blauen Bundesregi­erung und war die erste in der Tiroler VP, die Parteichef Sebastian Kurz offen kritisiert hatte. Sie werde sich auch künftig kein Blatt vor den Mund nehmen, ließ sie am Donnerstag wissen. Gerade im Bereich Bildung will sie auch entgegen der Bundeslini­e weiterhin ihre progressiv­e Linie fahren: „Es gibt viel Raum für Gestaltung­smöglichke­iten.“

Der VP-Wirtschaft­sflügel hätte lieber die FPÖ als Partner gesehen. Wie sehr sich Wirtschaft­sbundobman­n Franz Hörl, der sich als eine Art politische­r Kettenhund der Seilbahnwi­rtschaft gibt, über die Neuauflage von Schwarz-Grün ärgert, zeigte seine Pressemeld­ung – zehn Minuten bevor die neue Landesregi­erung am Donnerstag vorgestell­t wurde. Mit Verweis auf alle Kompromiss­e, die die Grünen eingegange­n sind, ätzte er in deren Richtung: „Das Ergebnis ist mehr als zufriedens­tellend. Man erkennt sofort, wer hier Juniorpart­ner und wer der Taktgeber in der neuen Regierung ist!“

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