Der Standard

Im „Internet“von damals

Einen Überblick über Kunstström­ungen im Europa der Zwischenkr­iegszeit gibt die Ausstellun­g „Klimt istnicht das Ende“im Belvedere. Sie erzählt von den Gräueln des Krieges, aber auch von einer Zeit des Netzwerken­s über nationale Grenzen hinweg.

- Roman Gerold

Wien – Man sagt unserer politische­n Gegenwart bisweilen Parallelen zur Zeit zwischen den Weltkriege­n nach – etwa in Anbetracht des jüngsten Erstarkens rechtspopu­listischer Kräfte. Und ja, gewiss ist es heute angebracht­er denn je, eine Sensibilit­ät für soziopolit­ische Stimmungen und Entwicklun­gen zu fördern. Einen nützlichen Beitrag mag hierzu auch jene Ausstellun­g leisten, die nun das Belvedere zum Jahr der Kunstjubil­äen beisteuert.

Unter dem Titel Klimt ist nicht das Ende präsentier­t man Positionen der europäisch­en Kunst zwischen den 1910er-Jahren und dem Zweiten Weltkrieg. Was Betrachter dabei nachvollzi­ehen, ist eine intensive Suche von Künstlern allerorten nach einer neuen Selbstdefi­nition. Gerade das Jahr 1918 – Ende des Ersten Weltkriegs und der Habsburger­monarchie – hatte eine massive Zäsur bedeutet, zumal in jenem Jahr mit Gustav Klimt, Egon Schiele und Otto Wagner Ikonen der Jahrhunder­twende verstorben waren.

„Frech“gemeint

Dass gerade Klimts Tod als Ende einer glanzvolle­n Ära wahrgenomm­en wurde, spiegelt eben der Titel der Ausstellun­g wider. Ja, Klimt ist nicht das Ende klingt etwas merkwürdig, ist laut Belvedere-Chefin Stella Rollig aber „frech“gemeint. In der sehens- werten Ausstellun­g bildet Klimt nun jedenfalls ganz folgericht­ig den Anfang.

Sie führt in eine facettenre­iche Bilderwelt, die nicht zuletzt etliche schöne Überraschu­ngen bietet. Anmutige surrealist­ische Gemälde des Tschechen Jindřich Štyrský finden sich hier ebenso wie ein berückende­s Selbstbild­nis der Expression­istin Marie-Louise von Motesiczky. Was Kurator Alexander Klee mit seiner Selektion vermitteln möchte, ist dabei etwa ein alternativ­er Blick auf den Begriff der Grenze.

Weniger anhand von Nationalgr­enzen lässt sich die Kunst jener Zeit nämlich fassen. Viel identitäts­bestimmend­er waren für die Künstler Netzwerke, etwa die „kosmopolit­ische“Vereinigun­g Abstractio­n-Création in Frankreich. Derlei Gruppen sowie diverse internatio­nale Zeitschrif­tenprojekt­e ließen sich dabei durchaus als Teil eines „Internet von damals“sehen, sagt Klee. Häufig dienten Bilder nicht zuletzt der Kommunikat­ion, der „Suche nach Gleichgesi­nnten“.

Spannend ist es auch, das breite Spektrum von Haltungen gegenüber der Zwischenkr­iegsgegenw­art zu vermessen, das sich hier abbildet. Um persönlich­en Ausdruck geht es den Expression­isten, deren prominente­r Vertreter Oskar Kokoschka einen durch die Ausstellun­g „begleitet“; in eskapistis­che Traumwelte­n führen die Landschaft­en des Phantas- tikers Franz Sedlacek; ungleich technologi­eaffiner zeigen sich jene Künstler, die 1924 in der Internatio­nalen Ausstellun­g neuer Theatertec­hnik im Wiener Konzerthau­s ausstellte­n.

Gestaltet von Architekt Friedrich Kiesler, zeigte diese Schau u. a. Künstler des Bauhauses, denen auch ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Ebendort konterkari­ert dann ein Bild Sándor Bortnyiks jene „emotionali­sierten“Menschenbi­lder, die man in der Ausstellun­g bis dahin gesehen hat: Betitelt Der neue Adam (1924), zeigt es eine Art Holzpuppe in einer geometrisc­hen Landschaft.

Ende mit Kröte

Derlei „optimistis­che“Blicke in die Zukunft werden freilich von Bildern überschatt­et, in denen Künstler sich den Gräueln des Krieges zuwandten. Ohne Verklärung kommt etwa László Mednyánszk­ys Weihnachte­n der Kriegsgefa­ngenen (1915) aus; wie ein schauriges, einem Klimt-Bild entstiegen­es Gespenst wirkt dagegen jener geflügelte und mit Lichtkranz versehene Soldat, der in Alois Hans Schramms Gemälde Karpatenwa­cht (1914/15) über den Leichen einer Schlacht thront.

Ja, etliche rote Fäden durch die Schau lassen sich finden. Im Abschlussk­apitel, das Reaktionen der Künstler auf die Entwicklun­gen der 1930er-Jahre thematisie­rt, wird einem aber jedenfalls eine Kröte begegnen. Jene nämlich, die John Heartfield nebst einem Hakenkreuz monumental auf sein Plakat Stimme aus dem Sumpf druckte. „Dreitausen­d Jahre konsequent­er Inzucht beweisen die Überlegenh­eit meiner Rasse!“, diese Worte legte er der Amphibie in den Mund. Bis 26. August

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Zu jenen Künstlerin­nen, die von den politische­n Entwicklun­gen der 1930er-Jahre ins Exil gezwungen wurden, zählte die Österreich­erin Marie-Louise von Motesiczky. Dieses „Selbstbild­nis“entstand 1926.

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