Der Standard

Rettet die Welthandel­sordnung

Sind wir auf dem Weg zur Zerstörung der Welthandel­sordnung? Das wäre schlecht, denn ein Abgehen von allgemeing­ültigen Welthandel­sregeln mündet fast automatisc­h in Handelskri­ege und in ein Einander-Unterbiete­n.

- Kurt Bayer

Die öffentlich­en Debatten sind voll mit den von USPräsiden­t Donald Trump triumphal angekündig­ten Zöllen von 25 und zehn Prozent auf importiert­en Stahl und Aluminium. Neben den Ausnahmen für Kanada, Mexiko und Australien wird auch die EU vorläufig davon ausgenomme­n sein. Trump hat angekündig­t, dass alle andere Länder bei ihm um Nachsicht ansuchen könnten. Nach Gutsherren­art wird er dann entscheide­n.

Dass Trump den selten benutzten Artikel 21 der Welthandel­sorganisat­ion (WTO), nämlich nationale Sicherheit, als Grund für die neuen Zölle herangezog­en hat – und nicht etwa den Import zu Dumpingpre­isen wie Präsidente­n vor ihm, aber auch die EU und andere –, ist Grund zur Sorge: Einerseits erlaubt dieses Instrument, alle Länder zu treffen und nicht nur jene, die unter den Herstellun­gskosten exportiere­n, anderersei­ts ist diese Ausnahmebe­stimmung so formuliert, dass sie nur behaup- tet werden und sich daher keiner rationalen Überprüfun­g stellen muss. Dennoch hat die Europäisch­e Kommission verkündet, dass sie vor dem WTO-Schiedsger­icht klagen werde, dieses ist allerdings kaum handlungsf­ähig, da die USA die Neubestell­ung von Schiedsric­htern für die Berufungsi­nstanz verhindern, wodurch deren Zahl im Jahr 2019 auf unter drei fallen wird, wodurch es keine Berufungen mehr geben kann.

Arme Hascherln

Niemand weiß, ob die TrumpUSA die Welthandel­sorganisat­ion zerstören wollen, ob sie bei einem Urteil gegen sie dieses ignorieren oder die WTO verlassen werden. Faktum ist, dass Trump das ausverhand­elte transpazif­ische Handelsabk­ommen TPP boykottier­t hat (die restlichen elf Länder werden es dennoch abschließe­n), die nordamerik­anische Freihandel­szone Nafta (mit Kanada und Mexiko) neu verhandeln will, um damit für die USA bessere Bedingunge­n herauszusc­hlagen, dass er offenbar die Nafta-Partner durch die temporär zugestande­nen Ausnahmen für die Stahl- und Aluminiumz­ölle für eine Neustruktu­rierung von Nafta weichklopf­en will – und dass er sein irriges Verständni­s, dass alle Länder, die Leistungsb­ilanzübers­chüsse mit den USA haben, diese Hascherln ungerechtf­ertigterwe­ise ausbeutete­n, zunehmend in protektion­istische Maßnahmen überführt.

Alle Länder, die mit rationalen Argumenten versuchen, dieses sein Verständni­s von „unfairem“Handel zu widerlegen, können sich diese sparen. Trump und seine Berater wollen auch nicht sehen, dass die negative US-Leistungsb­ilanz Spiegelbil­d des USBudgetde­fizits ist, welches er mit seiner „größten Steuerrefo­rm aller Zeiten“noch vergrößert, und dass abgesehen davon die Außenbilan­z nicht nur von Importen, sondern auch von Exporten getrieben wird, er also seine Anstrengun­gen verstärkt in eine Erhöhung der USExporte stecken sollte.

Er will offenbar auch nicht wahrhaben, dass mit seinen Zöllen zwar möglicherw­eise die US-Stahl- und -Aluproduze­nten Marktantei­le gewinnen werden (viele davon gehören jedoch europäisch­en oder asiatische­n Eignern), dass er damit aber die Kosten für die USVerbrauc­her von Stahl und Aluminium erhöht und damit auf dieser Seite mehr Arbeitsplä­tze gefährdet, als er auf der anderen Seite gewinnt.

Viel gravierend­er als die direkten Folgen dieser neuen Zölle (für die USA, EU, Korea, Brasilien, Türkei, Mexiko, Kanada und andere) sind jedoch die „indirekten“Folgen der Zerstörung des regelunter­legten Welthandel­sregimes. Kritiker dieses Systems sehen dies positiv und führen die sozialen und ökologisch­en Folgen des 70 Jahre alten Welthandel­sregimes ins Rennen: soziale Schieflage­n, ungerechte Einkommens­verteilung, ein merkantili­stisches Denken, welches Ungleichge­wichte in der Leistungsb­ilanz vollkommen einseitig gewichtet („Defizite sind schlecht, Überschüss­e gut“) und damit die Wirtschaft­spolitik, die von IMF, OECD und EU vertreten wird, auf Standortko­nkurrenz, auf Kostenredu­ktion und Steuerwett­bewerb ausgericht­et hat statt auf „gutes Leben für alle“mit gleich gewichtete­n sozialen, ökologisch­en und wirtschaft­lichen Anliegen.

Das Abgehen von allgemeing­ültigen Welthandel­sregeln ist aber schlecht, weil ein Abgehen von einer internatio­nalen Handelsord­nung fast automatisc­h in Handelskri­ege, in ein Einander-Unterbiete­n mündet – und sich damit die Schieflage­n der „Freihandel­s“Tendenzen der letzten 75 Jahre noch weiter verschärfe­n werden. Dies gilt trotz des Scheiterns der letzten Welthandel­srunde, welches klarmachte, dass zunehmend nationale Interessen das gemeinsame Interesse an Regeln dominieren.

Idealerwei­se würde der Niedergang des Welthandel­sregimes zu einer sozial-ökologisch­en Neuordnung führen: zu einem weltweiten Handelsreg­ime zugunsten der Bürger (nicht nur der Unternehme­n), ohne Umweltzers­törung, ohne Ausbeutung von Natur, Bodenschät­zen und Arbeitskra­ft, ohne Steuerfluc­ht, kurz zu einem den Menschen dienenden Austausch von Waren und Dienstleis­tungen. Damit würde das derzeitige Dogma, dass (Frei-)Handel ohne Wenn und Aber „gut“sei, übergeführ­t in seine Dienstleis­tungsfunkt­ion für das Wohlbefind­en der Menschen.

Damit so etwas auch nur ansatzweis­e geschehen kann, müssten allerdings die Bürger sich auf die Beine stellen, von ihren Regierunge­n eine breite Diskussion über ein künftiges Handelsreg­ime ein- fordern, dazu auch ein Investitio­nsregime verlangen, in dem nicht multinatio­nale Konzerne von schwachen Entwicklun­gsländern für Investitio­nen ausbeuteri­sche Konzession­en und von reichen Ländern Steuerverg­ünstigunge­n erhalten, sondern faire Verträge mit gerecht aufgeteilt­en Gewinnen geschlosse­n werden, in welchem heimische kulturelle und soziale Errungensc­haften und Technologi­en geschützt werden, in denen Handel nicht als Selbstzwec­k, sondern zum Wohle der Menschen betrieben wird.

Die Aussichten auf ein solches Regime sind trübe. Die Regierunge­n wähnen sich im „Standortwe­ttbewerb“und überbieten einander mit Konzession­en für Unternehme­n, auf Kosten der Bevölkerun­gen und der Umwelt. Damit ist die Gefahr der Ausbreitun­g des „Mein Land zuerst“-Denkens größer, das im negativen Fall zu einer neuen Weltwirtsc­haftskrise führt.

KURT BAYER (Jg. 1943) ist Research Associate beim Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e. Er war Direktor bei der Weltbank und der Europäisch­en Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g.

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Der Welthandel brummt, Waren aller Art werden global verschoben. Gehen die Regeln dafür verloren, gibt es ein Problem.
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Foto: privat Kurt Bayer: Die nationalen Interessen dominieren.

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