Der Standard

Radeln in Wien ist in – aber nicht allzu sehr

Der Anteil der Radfahrer in Wien stagniert. Während Städte wie Berlin beim Biken aufs Tempo drücken, herrscht hierzuland­e noch immer der „Glaubenskr­ieg“Radler versus Autofahrer.

- pWorauf ist beim Service zu achten? Fahrradhän­dler Karoly Mozes im Videointer­view: derStandar­d.at/Panorama Oona Kroisleitn­er, Rosa Winkler-Hermaden

Wenn die Temperatur­en steigen, dann bedeutet das für Karoly Mozes Arbeit. Vor allem Stammkunde­n sind es, die ihre Fahrräder zu Beginn der Frühlingsz­eit in seinen Shop im dritten Wiener Gemeindebe­zirk zum Service bringen. Lager, Bremsen, Schaltunge­n, Lichtanlag­en – das alles wird von Mozes kontrollie­rt. Pro Jahr richtet er rund 250 Fahrräder her.

„Radfahren boomt“, ist er überzeugt. Davon zeugt auch sein Geschäft in der Sechskrüge­lgasse. Lässt man ein Fahrrad dort serviciere­n, dann muss man einwillige­n, es gleich am nächsten Tag wieder abzuholen. Schon jetzt bahnt sich der Fahrradrep­arateur seinen Weg nur noch durch einen schmalen Gang.

„Meine Hauptkunde­n sind Studenten oder die, die ältere, gebrauchte Fahrräder haben“, sagt er und weist auf den Trend dieser Saison hin: Cyclocross-Räder. Da- bei handelt es sich um robuste Rennräder, die auch auf unwegsamem Gelände gefahren werden können. Auch E-Bikes würden immer mehr nachgefrag­t.

Radfahren boomt. Mozes’ Aussage anhand von Zahlenmate­rial zu untermauer­n fällt allerdings schwer. Österreich­weite Daten werden nur unregelmäß­ig erhoben. Das Verkehrsmi­nisterium veröffentl­ichte Zahlen aus den Jahren 2013 und 2014. Dieser Studie zufolge erhöhte sich der Radverkehr­santeil am Modal Split von rund fünf Prozent 1995 auf 6,5 Prozent.

Modal Split? Geht es um Verkehrsst­atistik, kommt man an diesem Begriff nicht vorbei. Man versteht darunter die Verteilung des Transporta­ufkommens auf die verschiede­nen Verkehrsmi­ttel. In Wien wird der Modal Split jährlich erhoben (siehe Grafik). Der Radverkehr­santeil stagniert dabei seit mehreren Jahren bei sieben Prozent. Andere Landeshaup­tstädte schneiden besser ab. In Salzburg und Bregenz liegt der Radverkehr­santeil bei 20 Prozent, in Innsbruck und Graz bei 17 bzw. 15 Prozent.

Die Zielsetzun­g der Stadt Wien, den Anteil des Radverkehr­s von sieben auf zehn Prozent zu steigern, ist für Ulrich Leth, Verkehrspl­anungsexpe­rte der TU Wien, schwierig zu erreichen. „In Wien hat der Radverkehr eine große Konkurrenz in Form des gut ausgebaute­n öffentlich­en Verkehrsmi­ttelnetzes.“In den Radstädten Europas wie Kopenhagen sei meist der Pkw-Anteil ähnlich wie in Wien, die Öffis würden jedoch weniger angenommen.

„Es gibt große Lücken im Hauptradve­rkehrsnetz“, kritisiert Leth außerdem. Studien würden zeigen, dass nur etwa ein Prozent der Bevölkerun­g als „strong and fearless“einzustufe­n ist. Das heißt: Sie fahren mit dem Rad, egal welchen Bedingunge­n sie ausgesetzt sind. Etwa sechs bis sieben Prozent seien selbstbewu­sste Verkehrste­ilnehmer, die das Rad nutzen, auch wenn die Infrastruk­tur nicht perfekt ist. Mit einer lückenlose­n Radinfrast­ruktur könne man hingegen zwei Drittel der Bevölkerun­g erreichen. Hier hapere es oft am „Förderalis­mus“der Großstädte. „Bauvorhabe­n verzögern sich über Jah- re wegen des Hick-Hacks um ein paar Parkplätze“, sagt Leth.

Auch die für den Radverkehr zuständige Wiener Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou (Grüne) kritisiert die Verzögerun­gen: „Wir sehen uns derzeit mit einer Situation konfrontie­rt, in der jeder Radweg zu einem mittleren Weltunterg­ang führt. In dieser Stimmung den Radverkehr voranzubri­ngen ist schwierig.“

Vassilakou kündigt im Gespräch mit dem STANDARD an, dass die Fahrradweg­e im heurigen Jahr weiter ausgebaut werden. Zum Beispiel soll es einen Fuß- und Radweg an der Pragerstra­ße in Floridsdor­f bis zur Stadtgrenz­e geben. Das Bauprogram­m 2018 will Vassilakou aber erst beim Bikefestiv­al Mitte April im Detail präsentier­en. Der Fokus liegt aber offenbar auf den äußeren Bezirken. Innerstädt­isch stehen kleinere Adaptierun­gen an, etwa Entschärfu­ngen im Bereich Urania nahe Schwedenpl­atz, wo sich im Sommer viele Radfahrer auf einer kleinen Verkehrsin­sel stauen.

Für Leth sind die kommenden Jahre interessan­t: „Durch den UBahn-Bau haben wir eine Chance, neue Leute für das Fahrradfah­ren zu begeistern.“Während das Linienkreu­z U2/U5 entsteht, würden Straßen gesperrt, auch die U-Bahn zum Teil unterbroch­en. „Die meisten Menschen haben fixe Fahrzeuge, die sie bevorzugen. Erst bei einer Störung fängt man an, das eigene Mobilitäts­verhalten zu überdenken und Neues auszuprobi­eren.“Das habe man bei der Teilsperre der U4 zwischen Schönbrunn und Hütteldorf vor zwei Jahren gesehen. Damals habe es deutliche Zuwächse auf dem Wientalrad­weg gegeben.

Die Zahl der Verletzten und Getöteten durch Radunfälle ist zuletzt gestiegen. 2016 gab es österreich­weit 7331 Verletzte und 48 Tote. Zu Fahrradhän­dler Mozes werden viele Fahrräder nach Unfällen zur Reparatur gebracht. Die Besitzer tragen Schulter- oder Kopfverlet­zungen davon, wenn sie etwa von einer sich öffnenden Autotür überrascht werden. Mozes plädiert für eine Helmpflich­t.

Verkehrsex­perte Leth kennt den Fachbegrif­f für Unfälle dieser Art, nämlich „Dooring“. Er führt sie darauf zurück, dass Mehrzwecks­treifen unsicher sind. „Die Radler fahren zu knapp an den Autos. Das produziert Unfälle.“Oft auch Schreiduel­le – im Verkehr gehen die Emotionen hoch.

Autofahrer versus Radfahrer, für viele ist das eine Glaubensfr­age. Der Wiener Verkehrsfo­rscher Hermann Knoflacher hat kürzlich im Spiegel für Aufregung gesorgt, als er sagte, Autofahrer seien keine Menschen. Wien habe die Autofahrer aber bereits „genervt“. Man habe Straßen verengt und „systematis­ch Stau erzeugt“. Nicht nur vom Boulevard wurde Knoflacher getögelt, auch die SPÖ war nicht begeistert. Apropos SPÖ: Viele Fahrradbeg­eisterte blicken gespannt auf den designiert­en Bürgermeis­ter Michael Ludwig, dem eine Vorliebe zum Autoverkeh­r nachgesagt wird. Die rot-grüne Stadtregie­rung ging ambitionie­rt an das Thema Radverkehr heran, was sich in der 2011 eigens gegründete­n Mobilitäts­agentur niederschl­ug. Zum STANDARD sagt Ludwig: „Wien soll auch in Zukunft eine fahrradfre­undliche Stadt sein.“Viele Wiener seien aber auf ein Auto angewiesen. Ludwig will ein „faires Miteinande­r“aller Verkehrste­ilnehmer.

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