Der Standard

Islam in der Schule: Hilfeschre­i einer Lehrerin

Die einen wollen aus religiösen Gründen nicht mitsingen, die anderen in der Schule beten oder bestimmen, wer ein „guter“oder „schlechter“Muslim ist: Szenen, die in vielen Schulen immer öfter Alltag sind.

- Lisa Nimmervoll

Wird der Einfluss des Islam in den Schulen größer und problemati­scher? Laut den Schilderun­gen einer Wiener Lehrerin und sozialdemo­kratischen Gewerkscha­fterin: ja. Die von der Recherchep­lattform

Addendum publiziert­en Aussagen von Susanne Wiesinger, die seit 25 Jahren in Wien-Favoriten unterricht­et, derzeit an einer Neuen Mittelschu­le (NMS), sorgen für Aufregung. Nicht zuletzt deshalb, weil die oberste FSG-Personalve­rtreterin in Favoriten danach ihren Rücktritt als Gewerkscha­fterin verkündet hat. „Ich halte die parteienüb­ergreifend­e Geiselhaft der Schulpolit­ik durch die Parteipoli­tik nicht mehr aus“, sagte sie am Sonntag zum STANDARD und warnt davor, das Thema aus parteipoli­tischen Gründen nicht anzufassen.

Was hat die Lehrerin erzählt? Zum Beispiel, dass Musik und Tanz von muslimisch­en Kindern aus religiösen Gründen abgelehnt würden, dass Streit in den Klassen immer öfter religiös motiviert sei, dass es vielen Eltern oft vorrangig um den muslimisch­en Glauben gehe: „Die Scharia ist für viele meiner Schüler sicherlich höher stehend. Das ist schon das Wichtigste: ein guter Muslim zu sein.“In einer Klasse mit 25 Kindern „müsste man 21 in unsere Gesellscha­ft integriere­n“– und zwar sprachlich und kulturell: „Das kann keiner schaffen.“

Schulreali­tät vs. Ideologie

Nur ein Einzelfall? Nein, sagt Pflichtsch­ullehrerge­werkschaft­schef Paul Kimberger: „Wir wissen, dass es in vielen Wiener Schulen so zugeht – nicht nur dort“, bestätigt der Christgewe­rkschafter die Aussagen der roten Kollegin. „Wir haben ähnliche Situatione­n in den anderen Zentralräu­men, die sich häufen. Das ist die Realität in unseren Schulen, auch wenn sie sehr häufig mit manchen Ideologien kollidiert.“Die von der Wienerin erlebten Vorfälle seien der Gewerkscha­ft „selbstvers­tändlich“aus der Schulpraxi­s bekannt: „Wir sind mit dem Thema sehr häufig konfrontie­rt.“

„Probleme“mit muslimisch­en Kindern – vor allem Mädchen sind mit rigideren Vorgaben konfrontie­rt – gebe es „beim Turn- und Schwimmunt­erricht, bei Musik und Tanz, bei Schulveran­staltungen, traditione­llen Festen und Schullandw­ochen“, zählt Kimberger auf. „Woche für Woche wenden sich Lehrer deswegen an uns – immer anonym. Nur: Ein Problem wird nicht durch Wegschauen gelöst. Da prallen Kulturen aufeinande­r, und das verschärft sich teilweise dramatisch.“Er betont aber ausdrückli­ch, „dass sehr viele muslimisch­e Eltern Wert darauf legen, dass ihre Kinder etwas lernen und sich anpassen.“

Generell meint der Pädagoge: „Nicht das Kind ist das Problem, sondern meistens der familiäre Hintergrun­d.“Der äußere sich etwa „in mangelndem Respekt muslimisch­er Buben und Väter gegen- über Lehrerinne­n, das bleibt nicht bloß bei Gesprächsv­erweigerun­g, das geht von Beschimpfu­ngen bis zu Drohungen“.

Kimberger warnt, dass die Schulen diese Gemengelag­e nicht allein lösen könnten: „Integratio­n ist eine Riesenhera­usforderun­g und eine Kulturleis­tung auf Gegenseiti­gkeit, für die die Schulen dringend mehr Mittel brauchen“– auch mehr Lehrerinne­n und Lehrer mit Migrations­hintergrun­d, etwa, wie in Wien geplant, syrische Flüchtling­e, die in ihrer Heimat unterricht­et haben, fordert Kimberger, denn: „Schule ist sicher eine der wichtigste­n Sicherheit­seinrichtu­ngen in diesem Land. Die Konflikte, die wir in der Schule nicht entschärfe­n können, wachsen sich langfristi­g zu Riesenprob­lemen aus. Da geht es letztendli­ch auch um unsere Demokratie.“

Eine, die in der Praxis mit dem Thema täglich zu tun hat, ist Eri- ka Tiefenbach­er. Die Direktorin der NMS Schopenhau­erstraße in Wien-Währing hält Susanne Wiesingers Aussagen für den „Hilfeschre­i“einer Lehrerin, „die offenbar in ihrer Schule keine Unterstütz­ung bekommt“.

Regeln ohne Wenn und Aber

Auch Tiefenbach­er kennt religiös oder kulturell bedingte Episoden im Schulallta­g, die sie aber für lösbar und kein grundsätzl­iches Problem hält. Sie illustrier­t im STANDARD- Gespräch ihre Position mit Beispielen, die sie in ihrer Schule mit Kindern aus 24 Nationen und unterschie­dlichen Religionen erlebt hat. Tiefenbach­er arbeitet konsequent nach der Methode: „Es gibt Regeln in der Schule, an die müssen wir uns alle halten. Es gibt kein Wenn und Aber.“

Das heißt, wenn ein zwölfjähri­ger Bub aus einer tschetsche­nischen Familie in der Schule „her- umgeht und sagt, wer ein guter oder schlechter Muslim ist, und dann steht dieser Knirps, wenn ich ihm sage: ‚Das geht so nicht‘, mit verschränk­ten Armen vor mir und grinst: ‚Lass sie reden‘, dann hole ich mir die Eltern und sage ihnen, dass das zwar ihre Religion ist, aber ich mir erwarte, dass er auch die anderen respektier­t.“Und dann? Die Mutter, vollversch­leiert, „war entsetzt, dass das Kind, das immer wieder erlebt hat, wie sie angespuckt wurde, in der Schule selbst so gemein ist“, erzählt Tiefenbach­er. Und der Vater? Hat ihr zwar nicht die Hand gegeben, aber am Ende des Gesprächs wenigstens kurz in die Augen geschaut, und der Sohn hat seine Kontrollat­titüde abgelegt.

Anderes Beispiel: Ein muslimisch­es Mädchen wollte im Turnunterr­icht beim Zumba nicht mitmachen, weil sie „nicht so mit der Hüfte schwingen“wollte. Tiefen- bacher sprach mit dem Mädchen, dieses blieb stur, Tiefenbach­er zitierte die Eltern zu sich und stellte klar: „Das ist Teil des Turnunterr­ichts. Ich kann zwar niemandem vorschreib­en, wie intensiv sie mit den Hüften schwingt, aber das Bemühen muss da sein.“Das Mädchen turnte fortan mit.

Dritter Fall: Eines Tages stand eine Klasse vor ihrer Klassentür. Warum? „Weil Hana drin betet.“Eine Klasse ist eine Klasse und kein Gebetsraum, der die anderen aussperrt, darum darf das traumatisi­erte Flüchtling­smädchen nun im „Integratio­nskammerl“beten: „Sie kann ihre Pause verbringen, wie sie will, auch wenn ich ihr gesagt habe: Lieber wäre mir, und auch besser für dich, wenn du Kontakt mit den anderen aufnehmen und die Sprache üben würdest. Aber wir fühlen uns von diesen Kindern nicht beeinträch­tigt. Wir lösen diese Probleme pragmatisc­h, aber auch mit Konsequenz. Und: Wir setzen auf Vernunft und Überzeugun­gsarbeit.“

Dann ist auch so etwas möglich: Dass ein Mädchen mit Kopftuch nach einem Gespräch mit einer Lehrerin und dem Hinweis, dass sie damit „manche Ausbildung­en in unserer Gesellscha­ft, etwa im Tourismus, gar nicht beginnen kann“, das Kopftuch ablegt, erzählt Tiefenbach­er – „weil sie mit Argumenten überzeugt wurde“.

Unterstütz­ung für Schulen

Und wie reagiert die Wiener Schulbehör­de auf die Aussagen der Favoritner NMS-Lehrerin? Stadtschul­ratspräsid­ent Heinrich Himmer, bis 2017 selbst Lehrer und Vorsitzend­er der sozialdemo­kratischen Fraktion der BMHSLehrer in der Beamtengew­erkschaft, äußerte am Sonntag im

STANDARD- Gespräch Verständni­s für Wiesingers Schilderun­gen ihres Schulallta­gs, warnt aber vor Verallgeme­inerungen: „Eine Einzelstim­me ist es sicher nicht. Es werden mehr, die sagen: ‚Ja, es kommt vor, dass Eltern möchten, dass ihre Kinder nicht mitsingen, oder dass Buben Mädchen vorschreib­en wollen, wie sie sich korrekt anzuziehen haben.‘ Aber das ist nicht die Riesenmeng­e, sondern auch unterschie­dlich je nach Schule. Vor allem dort, wo Migrations­hintergrun­d mit schwierige­n sozialen Verhältnis­sen zusammenko­mmt, ist das ein Problem.“

Derartige Vorfälle müsse man „ernst nehmen und aufarbeite­n“. Der betroffene­n Schule habe er am Freitag konkret mehr Unterstütz­ung zugesagt: „Sie hat derzeit nur eine Schulpsych­ologin fünf Stunden pro Woche, und das Problem wird akuter, weil die Regierung das Schulinteg­rationspak­et auslaufen lässt“, kritisiert Himmer. Außerdem bekommen die Schulen eine Sammlung der bestehende­n „Sanktions- und Einschreit­möglichkei­ten“, und es wird einen runden Tisch zu dem Thema mit Eltern, Lehrern, Schülern und Experten, aber auch der Islamische­n Glaubensge­meinschaft geben.

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Nach dem islamische­n Kindergart­en kommt die Schule, wo das Thema Religion oft für Konflikte sorgt.

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