Frankreich trauert um den Helden von Trèbes
Dem türkischen Staatschef passt die Landkarte nicht mehr. Er reklamiert Inseln in der Ägäis und Gasfelder vor Zypern für sein Land. Zwischenfälle mit türkischen Kampfjets und Kriegsschiffen nehmen nun deutlich zu.
Familie und Freunde haben am Sonntag bei einer Trauerfeier Abschied von Arnaud Beltrame genommen. Der 45-jährige Oberstleutnant der Gendarmerie hatte sich am Freitag im Austausch gegen eine Geisel in die Gewalt eines islamistischen Terroristen in einem Supermarkt nahe der Stadt Trèbes begeben. Spezialeinheiten stürmten das Geschäft, als der Terrorist auf Beltrame schoss. Dieser starb wenige Stunden später im Spital. Beim Anschlag wurden auch drei weitere Opfer und der Täter getötet.
Alkiviadis Stefanis saß in einem großen Transporthubschrauber auf dem Weg von der kleinen Insel Ro nach Rhodos, als zwei türkische Kampfjets an den Kabinenfenstern auftauchten. Die Jetpiloten versuchten, den Hubschrauber des griechischen Armeechefs abzudrängen. In Brüssel versammelten sich in jenem Moment die Staats- und Regierungschefs der EU. Nach Jahren der Passivität verurteilten sie in ihrer Abschlusserklärung nach dem Gipfeltreffen am vergangenen Donnerstag die „illegalen Aktionen“der Türkei.
Denn in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer steht die Uhr auf fünf vor zwölf. Ob der Zeiger vorrückt und Griechenland und die Türkei, die eigentlich Verbündete in der Nato sind, plötzlich gegeneinander Krieg führen, ist eine ernste Frage geworden.
Gefährliche Luftkämpfe
Den Zwischenfall auf dem Flug nach Rhodos klärte die griechische Luftwaffe schnell. Kampfjets stiegen innerhalb von Minuten auf und trieben die türkischen Maschinen aus dem griechischen Luftraum. Sogenannte „dog fights“– Kurvenkämpfe – über der Ägäis und Drohmanöver der türkischen Marine unten auf der See sind Routine. Sie haben nur erheblich zugenommen. Um 200 Prozent mehr Luftraumverletzungen im vergangenen Jahr und um 600 Prozent mehr Vorfälle auf See mit der Türkei registrierte der Generalstab der griechischen Armee, gemessen am Durchschnitt der Jahre seit 2010.
Tayyip Erdogan, dem autoritär regierenden Präsidenten in Ankara, passt die Landkarte nicht mehr. Er schiebt herum, an den Grenzen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer, zu Luft und zu Wasser. Er greift nach den Öl- und Gasvorkommen, die vor der Küste Zyperns vermutet werden, und nach den Inseln der Griechen. Erdogans Minister, aber auch die säkulare sozialdemokratische Opposition haben begonnen, von „besetzten“Inseln in der Ägäis zu sprechen, die eigentlich der Türkei gehörten. Ihre Zahl schwankt wild zwischen 17 und 132.
Die Aggressionen haben in den vergangenen Wochen noch zugenommen. Türkische Kriegsschiffe drohten im Februar ein Bohrschiff des italienischen Mineralölkon- zerns Eni vor Zypern zu versenken. Ein türkisches Patrouillenboot rammte mit voller Wucht ein Schiff der griechischen Küstenwache vor Imia, zwei unbewohnten Inselfelsen vor Bodrum. Ein anderes türkisches Schnellboot feuerte mit scharfer Munition vor der Insel Farmakonisi im Dodekanes. 21 Flüge türkischer Kampfjets im griechischen Luftraum, manche mitten über der Ägäis, zählte Athen am vergangenen Donnerstag. 56 waren es allein am 6. März.
Zu Beginn des Monats nahm die türkische Gendarmerie zwei griechische Soldaten an der Landesgrenze fest. Die beiden Offiziere, die bei einer Routinepatrouille auf türkisches Gebiet abgekommen sein sollen, sitzen seither in einem Gefängnis in Edirne und warten auf einen Prozess. „Geiseln“nennt sie die griechische Regierung bereits. Ihr Fall wird zur Sprache kommen, wenn sich die EU-Spitze an diesem Montag in der bulgarischen Hafenstadt Varna mit Erdogan trifft.
„Erdogans Rhetorik und Taten haben ein höchst unsicheres Umfeld geschaffen. Wir haben in unserer Region in der jüngeren Geschichte nichts Vergleichbares gesehen“, sagt Nikolas Katsimpras, ein Professor für Konfliktforschung an der New Yorker Columbia University und ehemaliger griechischer Marineoffizier. Die griechisch-türkischen Beziehungen seien jetzt auf ihrem tiefsten Punkt seit 1996, als beide Länder wegen der Inselfelsen Imia beinahe einen Krieg begannen.
Szenario Inselbesetzung
Die Zwillingsfelsen von Imia – Kardak heißen sie im Türkischen – sind auch jetzt wieder einer der Brennpunkte. Die heutige Krise mit den Türken sei jedoch weitaus gefährlicher als jene vor 22 Jahren, glaubt Ilias Iliopoulos, ein Marinehistoriker und Professor an den Hochschulen der griechischen Armee. „Sie könnten dieses Mal weiter gehen und im Handstreich eine Insel besetzen. Keine große natürlich, nicht Lesbos oder Kos. Aber eine kleine wie Farmakonisi oder Pserimos, wohin Touristen von Kos im Sommer schnell einmal hinfahren, wo aber sonst nur wenige Menschen leben. Das halte ich jetzt durchaus für möglich.“
Ankaras Absicht sei nicht, eine griechische Insel zu kassieren, so erklärt Iliopoulos. Die türkische Führung wolle vielmehr die Griechen an den Verhandlungstisch zwingen. Athen solle eine neue Realität in der Ägäis akzeptieren: die Machtverschiebung zugunsten der Türkei. Achtmal mehr Einwohner hat die Türkei, die zweitgrößte Armee in der Nato nach den USA und – wie sich in Syrien erweist – auch einen neuen strategischen Bündnispartner in Gestalt Russlands.
Dass den Griechen eine solche Paketlösung unter Druck aufgezwungen würde, dafür sorgen dann die Amerikaner. Davon ist Ilias Iliopoulos überzeugt. Er sieht den Film schon ablaufen: Die Griechen sind die Schwächeren, das Moment liegt bei den Türken, die Amerikaner mahnen zur gütlichen Einigung unter Verbündeten. Von der Nato in Brüssel sei keine Hilfe zu erwarten.