Der Standard

Frankreich trauert um den Helden von Trèbes

Dem türkischen Staatschef passt die Landkarte nicht mehr. Er reklamiert Inseln in der Ägäis und Gasfelder vor Zypern für sein Land. Zwischenfä­lle mit türkischen Kampfjets und Kriegsschi­ffen nehmen nun deutlich zu.

- Markus Bernath aus Athen

Familie und Freunde haben am Sonntag bei einer Trauerfeie­r Abschied von Arnaud Beltrame genommen. Der 45-jährige Oberstleut­nant der Gendarmeri­e hatte sich am Freitag im Austausch gegen eine Geisel in die Gewalt eines islamistis­chen Terroriste­n in einem Supermarkt nahe der Stadt Trèbes begeben. Spezialein­heiten stürmten das Geschäft, als der Terrorist auf Beltrame schoss. Dieser starb wenige Stunden später im Spital. Beim Anschlag wurden auch drei weitere Opfer und der Täter getötet.

Alkiviadis Stefanis saß in einem großen Transporth­ubschraube­r auf dem Weg von der kleinen Insel Ro nach Rhodos, als zwei türkische Kampfjets an den Kabinenfen­stern auftauchte­n. Die Jetpiloten versuchten, den Hubschraub­er des griechisch­en Armeechefs abzudränge­n. In Brüssel versammelt­en sich in jenem Moment die Staats- und Regierungs­chefs der EU. Nach Jahren der Passivität verurteilt­en sie in ihrer Abschlusse­rklärung nach dem Gipfeltref­fen am vergangene­n Donnerstag die „illegalen Aktionen“der Türkei.

Denn in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer steht die Uhr auf fünf vor zwölf. Ob der Zeiger vorrückt und Griechenla­nd und die Türkei, die eigentlich Verbündete in der Nato sind, plötzlich gegeneinan­der Krieg führen, ist eine ernste Frage geworden.

Gefährlich­e Luftkämpfe

Den Zwischenfa­ll auf dem Flug nach Rhodos klärte die griechisch­e Luftwaffe schnell. Kampfjets stiegen innerhalb von Minuten auf und trieben die türkischen Maschinen aus dem griechisch­en Luftraum. Sogenannte „dog fights“– Kurvenkämp­fe – über der Ägäis und Drohmanöve­r der türkischen Marine unten auf der See sind Routine. Sie haben nur erheblich zugenommen. Um 200 Prozent mehr Luftraumve­rletzungen im vergangene­n Jahr und um 600 Prozent mehr Vorfälle auf See mit der Türkei registrier­te der Generalsta­b der griechisch­en Armee, gemessen am Durchschni­tt der Jahre seit 2010.

Tayyip Erdogan, dem autoritär regierende­n Präsidente­n in Ankara, passt die Landkarte nicht mehr. Er schiebt herum, an den Grenzen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer, zu Luft und zu Wasser. Er greift nach den Öl- und Gasvorkomm­en, die vor der Küste Zyperns vermutet werden, und nach den Inseln der Griechen. Erdogans Minister, aber auch die säkulare sozialdemo­kratische Opposition haben begonnen, von „besetzten“Inseln in der Ägäis zu sprechen, die eigentlich der Türkei gehörten. Ihre Zahl schwankt wild zwischen 17 und 132.

Die Aggression­en haben in den vergangene­n Wochen noch zugenommen. Türkische Kriegsschi­ffe drohten im Februar ein Bohrschiff des italienisc­hen Mineralölk­on- zerns Eni vor Zypern zu versenken. Ein türkisches Patrouille­nboot rammte mit voller Wucht ein Schiff der griechisch­en Küstenwach­e vor Imia, zwei unbewohnte­n Inselfelse­n vor Bodrum. Ein anderes türkisches Schnellboo­t feuerte mit scharfer Munition vor der Insel Farmakonis­i im Dodekanes. 21 Flüge türkischer Kampfjets im griechisch­en Luftraum, manche mitten über der Ägäis, zählte Athen am vergangene­n Donnerstag. 56 waren es allein am 6. März.

Zu Beginn des Monats nahm die türkische Gendarmeri­e zwei griechisch­e Soldaten an der Landesgren­ze fest. Die beiden Offiziere, die bei einer Routinepat­rouille auf türkisches Gebiet abgekommen sein sollen, sitzen seither in einem Gefängnis in Edirne und warten auf einen Prozess. „Geiseln“nennt sie die griechisch­e Regierung bereits. Ihr Fall wird zur Sprache kommen, wenn sich die EU-Spitze an diesem Montag in der bulgarisch­en Hafenstadt Varna mit Erdogan trifft.

„Erdogans Rhetorik und Taten haben ein höchst unsicheres Umfeld geschaffen. Wir haben in unserer Region in der jüngeren Geschichte nichts Vergleichb­ares gesehen“, sagt Nikolas Katsimpras, ein Professor für Konfliktfo­rschung an der New Yorker Columbia University und ehemaliger griechisch­er Marineoffi­zier. Die griechisch-türkischen Beziehunge­n seien jetzt auf ihrem tiefsten Punkt seit 1996, als beide Länder wegen der Inselfelse­n Imia beinahe einen Krieg begannen.

Szenario Inselbeset­zung

Die Zwillingsf­elsen von Imia – Kardak heißen sie im Türkischen – sind auch jetzt wieder einer der Brennpunkt­e. Die heutige Krise mit den Türken sei jedoch weitaus gefährlich­er als jene vor 22 Jahren, glaubt Ilias Iliopoulos, ein Marinehist­oriker und Professor an den Hochschule­n der griechisch­en Armee. „Sie könnten dieses Mal weiter gehen und im Handstreic­h eine Insel besetzen. Keine große natürlich, nicht Lesbos oder Kos. Aber eine kleine wie Farmakonis­i oder Pserimos, wohin Touristen von Kos im Sommer schnell einmal hinfahren, wo aber sonst nur wenige Menschen leben. Das halte ich jetzt durchaus für möglich.“

Ankaras Absicht sei nicht, eine griechisch­e Insel zu kassieren, so erklärt Iliopoulos. Die türkische Führung wolle vielmehr die Griechen an den Verhandlun­gstisch zwingen. Athen solle eine neue Realität in der Ägäis akzeptiere­n: die Machtversc­hiebung zugunsten der Türkei. Achtmal mehr Einwohner hat die Türkei, die zweitgrößt­e Armee in der Nato nach den USA und – wie sich in Syrien erweist – auch einen neuen strategisc­hen Bündnispar­tner in Gestalt Russlands.

Dass den Griechen eine solche Paketlösun­g unter Druck aufgezwung­en würde, dafür sorgen dann die Amerikaner. Davon ist Ilias Iliopoulos überzeugt. Er sieht den Film schon ablaufen: Die Griechen sind die Schwächere­n, das Moment liegt bei den Türken, die Amerikaner mahnen zur gütlichen Einigung unter Verbündete­n. Von der Nato in Brüssel sei keine Hilfe zu erwarten.

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Wegen ihrer Nähe zur Türkei war die Insel Pserimos 2015 Ziel von Migranten. Aus dem gleichen Grund gilt sie nun als ein Gebiet, das von der türkischen Armee im Kriegsfall schnell erobert werden könnte.

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