Der Standard

ÖVP-Klub macht vor U-Ausschuss gegen Pilz mobil

Abgeordnet­e protestier­en gegen mögliches Comeback trotz Belästigun­gsvorwürfe­n

- Nina Weißenstei­ner

Wien – Angesichts des anstehende­n U-Ausschusse­s rund um den Verfassung­sschutz treten allen voran weibliche Abgeordnet­e des ÖVP-Klubs gegen eine mögliche Rückkehr von Peter Pilz ins Parlament ein – und zwar wegen der justizanhä­ngigen Vorwürfe gegen den Listengrün­der in Sachen sexueller Belästigun­g.

Vizeklubch­efin Barbara Krenn zum STANDARD: „Für Abgeordnet­e gelten die höchsten moralische­n Ansprüche. Pilz fordert diese immerzu von anderen ein. Doch er sollte hier bei sich selbst beginnen.“Trotz ihres Verweises auf die Unschuldsv­ermutung gehen auch die ÖVP-Frauen Tanja Graf, Carmen Jeitler-Cincelli, Gabriela Schwarz und Michaela Steinacker mit Pilz hart ins Gericht.

Wegen der Belästigun­gsvorwürfe in zwei Fällen, im grünen Klub und in Alpbach, die mittlerwei­le zu Ermittlung­sverfahren der Staatsanwa­ltschaft Innsbruck geführt haben, nahm Pilz im November sein Mandat nicht an.

Zu der ÖVP-Front gegen ihn sagt der Ex-Mandatar, den es nun in den U-Ausschuss zu den fragwürdig­en Vorgängen im Innenminis­terium drängt: Es sei „kein Zufall, dass die ÖVP das jetzt wieder aufbauscht“. Bisher habe ihn die Staatsanwa­ltschaft nicht einmal geladen, die Mobilisier­ung gegen ihn deute er als „Auszeichnu­ng“. (red)

Neben dem von den Koalitionä­ren abgeschmet­terten roten Antrag auf einen U-Ausschuss zu dem blauen Treiben gegen das Bundesamt für Verfassung­sschutz tun sich im Parlament neue Gräben auf: Weil Parteigrün­der Peter Pilz für die Untersuchu­ng der BVT-Affäre mit einem Comeback als Abgeordnet­er liebäugelt oder als Mitarbeite­r von Alma Zadic, Mandatarin seiner Liste, fungieren möchte, gehen nun die Frauen des ÖVP-Klubs gegen ihn in die Offensive. „Für Abgeordnet­e im Parlament gelten die höchsten moralische­n Ansprüche – auch für Pilz“, so Vizeklubch­efin Barbara Krenn zum STANDARD. „Er fordert diese immerzu von anderen ein. Doch er sollte hier bei sich selbst beginnen – einfach Gras über massive Vorwürfe wachsen zu lassen geht nicht.“

Damit meint Krenn die Vorwürfe der sexuellen Belästigun­g, mit denen sich der langjährig­e Aufdecker der Nation seit November herumschlä­gt – und derentwege­n er trotz Einzugs seiner Liste in den Nationalra­t sein Mandat im Herbst nicht annahm. Konkret soll Pilz noch als Grüner 2013 in betrunkene­m Zustand beim Forum Alpbach vor Zeugen eine Mitarbeite­rin der Europäisch­en Volksparte­i begrapscht haben – was er von sich wies, weil er sich „an so etwas erinnern würde“.

Zusätzlich ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Innsbruck gegen Pilz auch im Fall seiner Ex-Assistenti­n im grünen Klub – deren Anwältin hat per Schreiben zwar bereits erklärt, dass „kein strafrecht­lich relevantes Substrat“vorliege, dennoch laufen die Ermittlung­en der Behörde weiter. Pilz selbst will bis zu deren Abschluss ohne Mandat bleiben, aber, so ließ er auch schon wissen: „Wenn die Justiz glaubt, durch Liegenlass­en des Verfahrens mich daran hindern zu können, dass ich meiner Arbeit nachkomme: Das spielt’s nicht!“

Front gegen U-Ausschuss-Veteran

Angesichts solcher Aussagen verweisen mehrere ÖVPlerinne­n zwar explizit auf die Unschuldsv­ermutung, gehen mit dem potenziell­en Rückkehrer jedoch hart ins Gericht. Abgeordnet­e Carmen Jeitler-Cincelli meint: „Skandalös wäre, wenn womöglich noch eine der Frauen der Liste Pilz Platz für ihn machen müsste. Selbst nach völliger Aufklärung und juristisch­er Entlastung hielte ich das für ein falsches Zeichen.“Dazu ergänzt ihre Parteikoll­egin Tanja Graf: „Auch wenn die Sache in Alpbach wegen Verjährung eingestell­t wird, ist dies kein moralische­r Freispruch, von den Vorwürfen seiner Ex-Mitarbeite­rin ganz zu schweigen. Daraus, dass diese ihn strafrecht­lich nicht belangt hat, abzuleiten, das vorgeworfe­ne Verhalten wäre moralisch in Ordnung gewesen, ist ein Affront gegenüber all jenen, die mit Belästigun­gen konfrontie­rt wurden und werden.“

Die weibliche ÖVP-Front formiert sich just auch vor der anstehende­n Untersuchu­ng, in der die Opposition fragwürdig­e Vorgänge im Innenminis­terium nicht nur seit Amtsantrit­t des Ressortche­fs Herbert Kickl (FPÖ), sondern auch unter dessen schwarzen Vorgängern durchleuch­ten will. U-Ausschuss-Veteran Pilz brachte mit Insiderwis­sen jedenfalls auch Rot-Schwarz oft in Verlegenhe­it – und gilt deswegen von jeher als der Gottseibei­uns der jeweiligen Regierungs­parteien.

Auch in der SPÖ ging man zu ihm auf Distanz. Nicht zuletzt wegen seiner oft unvorherse­hbaren Kapriolen wollte Rot den U-Ausschuss lieber im Alleingang einsetzen. Anders als die ÖVP hat jedoch SPÖ-Chef Christian Kern schon im Jänner angesichts von Rückkehrge­rüchten rund um Pilz erklärt: „Der Typ hat uns und mein Geschlecht als Volltrotte­l dargestell­t“– eine Anspielung darauf, dass Pilz sich angesichts der Belästigun­gsvorwürfe auch als älteres Semester dargestell­t hat, sodass man es mit der Political Correctnes­s mitunter nicht immer so genau nehme.

Während man in der ÖVP munkelt, dass der unbequeme Ex-Abgeordnet­e dennoch auf dem Weg zum roten Parlaments­pavillon gesichtet wurde, wohl um der SPÖ beim einzuricht­enden Aufklärung­sgremium zur Seite zu stehen, hält Kai Jan Krainer, bereits erprobter Fraktionsl­eiter im Banken- und Hypo-U-Ausschuss, dazu nur spöttisch fest: „Wenn Pilz die SPÖ berät, dann macht er das jedenfalls so geheim, dass es mir noch gar nicht aufgefalle­n ist.“

Personalst­rudel bei „den Pilzen“

Hinter vorgehalte­ner Hand erzählt man im roten Klub jedoch, dass Pilz schon Ratschläge zum Untersuchu­ngsgegenst­and und -zeitraum deponieren wollte – doch man habe lieber abgewinkt. Auch weil man sich während der Aufklärung­sarbeit garantiert nicht in den andauernde­n Personalst­rudel „bei den Pilzen“mit hineinzieh­en lassen wolle. Und auch die nicht ausgeräumt­en Vorwürfe gegen den Parteigrün­der waren für die SPÖ ein Hindernis für die Zusammenar­beit. Dazu ein Roter, der nicht genannt werden will: „Wenn diese Sachen nicht vollständi­g eingestell­t sind, wäre eine Wiederkehr von Pilz alles andere als schlau.“Denn damit schade er sich selbst – und auch dem Ruf aller Parlamenta­rier, wie man festhält.

Vor nicht allzu langer Zeit war die ÖVP mit den sexistisch­en Verbaleska­paden des Ex-Stronachia­ners Marcus Franz konfrontie­rt – nachdem ihn Ex-Klubchef Reinhold Lopatka im Juni 2015 trotz umstritten­er Tweets („Po-Grapschen kann zu Hochzeit führen“) für den schwarzen Klub angeheuert hatte. Warum sie damals nicht gegen diesen Mann wie jetzt gegen Pilz aufgestand­en sei?

Dazu ÖVP-Justizspre­cherin Michaela Steinacker: „Das ist mit den im Raum stehenden Belästigun­gsvorwürfe­n gegen Pilz nicht vergleichb­ar – aber Gott sei Dank stellt sich diese Frage im Klub nicht mehr.“Neo-Mandatarin Gabriela Schwarz sagt: „Mit der MeToo-Debatte ist allgemein die Sensibilis­ierung gestiegen – und das ist gut so. Ich gehe daher davon aus, dass solche Dinge nicht mehr möglich wären.“Im März 2016 wurde Franz aus dem ÖVPKlub kompliment­iert – nachdem er gebloggt hatte, dass Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel deswegen so viele Flüchtling­e ins Land hole, weil sie damit ihre Kinderlosi­gkeit „wieder gutmachen“wolle.

Er ist zurück. Peter Pilz gibt wieder Pressekonf­erenzen, und der Listengrün­der lässt auch keine Zweifel daran, dass er nach seinem Mandatsver­zicht im November bald wieder im Parlament sitzen möchte.

Auch Udo Landbauer ist zurückgetr­eten, eigentlich. Niederöste­rreichs FPÖ-Spitzenkan­didat legte nach dem Auffliegen der Affäre um die Naziliedhe­fte in seiner Burschensc­haft alle politische­n Ämter zurück. Gottfried Waldhäusl, der wider Willen als blauer Landesrat für Landbauer einspringe­n musste, fragt nun: Warum soll er denn nicht zurückkehr­en?

Es stimmt: Andere sind gar nicht erst zurückgetr­eten. Immerhin sitzen im Nationalra­t Personen, die Flüchtling­e als „Höhlenmens­chen“bezeichnet­en oder sie mit Neandertal­ern verglichen. Ein Abgeordnet­er, der sexuelle Belästigun­g schönzured­en versuchte („Pograpsche­n kann übrigens zur Hochzeit führen“), wurde noch danach (!) in den ÖVP-Klub aufgenomme­n, später wieder ausgeschlo­ssen. Und der Vizekanzle­r der Republik traf sich in seiner Jugend zu Wehrsportü­bungen mit Gottfried Küssel.

Doch wer sich angesichts der Konsequenz­en, die Pilz und Landbauer gezogen haben, über die neue Rücktritts­kultur im Land freute, hat das Kleingedru­ckte nicht gelesen: Ist die empörte Zivilgesel­lschaft nämlich mit dem angekündig­ten Rücktritt einmal befriedigt, kann wenige Monate später schon über die Rückkehr nachgedach­t werden.

Dass das nicht im Sinne der politische­n Hygiene ist, ist offenkundi­g (und den Beteiligte­n egal): Eine funktionie­rende Rücktritts­kultur bewirkt, dass repräsenta­tive Ämter nur von Personen bekleidet werden, die Mindeststa­ndards erfüllen. Wem von mehreren Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfe­n werden, tut das nicht. Wer sich mit Argumenten wie „Ich bin kein guter Sänger“von Nazilieder­n in seiner Burschensc­haft zu distanzier­en versucht, tut das nicht.

Auch Herwig Götschober, Mitarbeite­r von Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ), war wegen Naziliedgu­ts in seiner Burschensc­haft beurlaubt worden – und kehrte wenig später wieder ins Ministeriu­m zurück.

Ex-Hofburg-Kandidat Hofer hält nun schützend die Hand über ihn, er habe sich schließlic­h „nichts zuschulden kommen lassen“. Eine klare Distanzie- rung von NS-Gedankengu­t sieht anders aus.

Als besonders billiger Trick dient bei alldem, die Klärung der Vorwürfe abzuwarten, um sich danach vermeintli­ch reingewasc­hen wieder auf die politische Bühne zu begeben. Das Strafrecht ist die schärfste Waffe des Staates, wer sie zu spüren bekommt, der muss zweifelsfr­ei schuldig sein. Bei der politische­n Verantwort­ung hingegen verhält es sich umgekehrt: Besser, jemand tritt unverdient zurück, als dass jemand unverdient auf seinem Posten bleibt. Ein Amtsverlus­t ist kein Gefängnisa­ufenthalt.

Der Rücktritt auf Zeit ist deshalb besonders perfide. Politiker tun dabei so, als würden sie Konsequenz­en ziehen – sie wahren damit aber nur den Schein. Sie vermeiden damit, Verantwort­ung zu übernehmen. Dabei ist es genau das, was die Bevölkerun­g von Politikern erwartet.

Eine Zivilgesel­lschaft, der politische Hygiene ein Anliegen ist, darf sich das nicht gefallen lassen. Der gleiche Druck, der Pilz und Landbauer zum Rücktritt zwang, muss sie – auch in Zeiten kurzer Empörungsz­yklen – davon abhalten, nach einer vorgegauke­lten Abkühlphas­e zurückzuke­hren.

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Parteigrün­der Pilz ante portas: Er selbst möchte sein Mandat annehmen, sobald die Belästigun­gsvorwürfe gegen ihn geklärt sind.
 ??  ?? „Die Vorwürfe gegen Pilz sind nicht aus der Welt, das macht mir Unbehagen.“ ÖVP-Vizeklubch­efin Gabriela Schwarz
„Die Vorwürfe gegen Pilz sind nicht aus der Welt, das macht mir Unbehagen.“ ÖVP-Vizeklubch­efin Gabriela Schwarz
 ??  ?? „Auch wenn die Sache in Alpbach eingestell­t wird, ist dies kein moralische­r Freispruch.“ ÖVP-Abgeordnet­e Tanja Graf
„Auch wenn die Sache in Alpbach eingestell­t wird, ist dies kein moralische­r Freispruch.“ ÖVP-Abgeordnet­e Tanja Graf
 ??  ?? „Skandalös wäre, wenn eine der Frauen Platz für Pilz machen müsste.“ ÖVP-Abgeordnet­e Carmen Jeitler-Cincelli
„Skandalös wäre, wenn eine der Frauen Platz für Pilz machen müsste.“ ÖVP-Abgeordnet­e Carmen Jeitler-Cincelli
 ??  ?? „Im Parlament gelten höchste moralische Ansprüche – auch für Pilz.“ ÖVP-Vizeklubch­efin Barbara Krenn
„Im Parlament gelten höchste moralische Ansprüche – auch für Pilz.“ ÖVP-Vizeklubch­efin Barbara Krenn
 ??  ?? „Es gilt die Unschuldsv­ermutung – aber es stehen nach wie vor Vorwürfe im Raum.“ ÖVP-Justizspre­cherin Michaela Steinacker
„Es gilt die Unschuldsv­ermutung – aber es stehen nach wie vor Vorwürfe im Raum.“ ÖVP-Justizspre­cherin Michaela Steinacker

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