Der Standard

„Arnaud liebte das Leben – und zwar nicht nur sein eigenes“

Frankreich trauert um den Gendarmen Beltrame, der sich gegen eine Geisel eintausche­n ließ und im Antiterror­einsatz sein Leben ließ

- Stefan Brändle aus Paris

„Das war mehr als Mut: Das war Selbstaufo­pferung“, sagte ein Augenzeuge. „Er ist für uns gestorben“, ergänzte eine Frau, die am Arbeitsort des verstorben­en Gendarmen Arnaud Beltrame in Carcassonn­e Blumen niederlegt­e. Frankreich war am Sonntag ergriffen und voller Bewunderun­g für den Mann, der wohl etlichen ihm unbekannte­n Menschen das Leben gerettet hatte.

Beltrame (45) hatte am Freitag am Einsatz gegen die Geiselnahm­e in Trèbes (Südfrankre­ich) teilgenomm­en. Der 25-jährige Radouane L. war nach einer terroristi­schen Amokfahrt in einen Supermarkt eingedrung­en, hatte einen Angestellt­en und eine Kundin erschossen und Geiseln genommen – mit dem Ziel, den letzten noch leben- den Attentäter der Pariser Anschläge von 2015 (130 Tote), Saleh Abdeslam, freizupres­sen.

Nach mehrstündi­gen Verhandlun­gen bot Beltrame an, den Platz der letzten weiblichen Geisel einzunehme­n. Später stürmten Elitepoliz­isten den Supermarkt, als der Geiselnehm­er auf Beltrame feuerte und ihn lebensgefä­hrlich verletzte. In der folgenden Nacht starb der Gendarm in einem Spital.

Der Gefahr war sich der Polizist bewusst, denn L. hatte zuvor schon drei Personen erschossen. Vor wenigen Wochen hatte Beltrame selbst an einer Polizeiübu­ng teilgenomm­en – jetzt begab er sich in die Gewalt des selbsterna­nnten „Soldaten“der Terror- miliz IS – mit eingeschal­tetem Handy. Deshalb wusste die Polizei, was am Tatort vorging.

Staatspräs­ident Emmanuel Macron ehrte den verstorben­en Ordnungshü­ter in einem langen Communiqué: Beltrame sei „als Held gefallen“und habe auf „auf hervorrage­nde Weise seine militärisc­hen Tugenden unter Beweis gestellt, die den Respekt und die Bewunderun­g der ganzen Nation verdienen“.

Der Oberstleut­nant der Gendarmeri­e – sie ist im Unterschie­d zur nationalen Polizei Teil der Armee – war Mitglied der Eliteeinhe­it GIGN und hatte im Irakkrieg für seinen Einsatz einen Verdiensto­rden erhalten. Erst seit kurzem standesamt­lich getraut, wollte der praktizier­ende Katholik im Juni die kirchliche Hochzeit mit seiner Frau nachholen.

Ein Kollege sagte, er sei überhaupt nicht überrascht, dass Beltrame so gehandelt habe: „Arnaud war aufrecht, großzügig und humanistis­ch. Er hatte ein ausgeprägt­es Pflichtbew­usstsein und einen Sinn für den Dienst an der Öffentlich­keit. Er liebte das Leben – und zwar nicht nur sein eigenes.“

Gefasste Reaktionen

Erschütter­t über den Tod des selbstlose­n Gendarmen, reagierte Frankreich zugleich sehr gefasst auf den Anschlag, der vier Todesopfer sowie über ein Dutzend Verletzte zur Folge hatte und mit der Erschießun­g des Täters durch die Polizei endete. Dass der Frankomaro­kkaner L. zwar wegen „Radikalisi­erung“registrier­t war, aber nicht überwacht wurde, sorgte kaum für Kritik: Fast allen Franzosen ist klar, dass die permanente Kontrolle aller 12.000 registrier­ten Gefährder schlicht nicht möglich ist. Front-National-Chefin Marine Le Pen warf der Regierung vor, das Leben der Bürger aufs Spiel zu setzen. Doch das blieb ohne Echo.

Am Sonntag waren die Freundin (18) und ein minderjähr­iger Freund (17) des selbsterna­nnten Jihadisten in Haft.

In seinem Wohnvierte­l in Carcassonn­e war L., der wegen Drogenhand­els einen Monat im Gefängnis war, kaum aufgefalle­n. In der lokalen Moschee fand ein Solidaritä­tstreffen mit den Opfern statt. Ein Mitarbeite­r dort bedauerte, dass der Geheimdien­st nie mitgeteilt hatte, dass sich L. für die IS-Ideologie interessie­rte. „Wir hätten ihn beobachten können.“

 ?? Foto: AFP ?? Lieutenant Colonel Arnaud Beltrame: im Einsatz getötet.
Foto: AFP Lieutenant Colonel Arnaud Beltrame: im Einsatz getötet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria