Der Standard

Abrechnung mit einer frömmelnde­n Rhetorik

Premiere von Gottfried von Einems Oper „Dantons Tod“an der Wiener Staatsoper in der Regie von Josef Ernst Köpplinger

- Daniel Ender

Wien – „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“, äußert der Protagonis­t in Georg Büchners Drama Dantons Tod gegenüber seiner Gattin Julie. Dieselbe Frage – in etwas anderem Wortlaut – richtete der Dichter in einem Brief an seine Braut. Und Gottfried von Einem setzte sie wiederum als Motto über seine Oper, mit der der 29-Jährige 1947 nach der Uraufführu­ng bei den Salzburger Festspiele­n schlagarti­g weitum berühmt wurde.

Noch während der Nazidiktat­ur hatte der „Componist“(Einems Selbstbeze­ichnung), dessen 100. Geburtstag heuer begangen wird, den Auftrag für ein neues Werk von der Dresdner Oper erhalten, wo er noch 1944 als musikalisc­her Berater tätig geworden war. Sein Kompositio­nslehrer Boris Blacher richtete den Dramentext als Libretto ein, Einem selbst ergänzte Briefe Büchners und von dessen Gefährten Karl Gutzkow. Zu einer Aufführung vor Kriegsende kam es nicht mehr – und im Nachkriegs­österreich mussten zunächst Widerständ­e überwunden werden, um den Weg für die Premiere in Salzburg und die Wiener Erstauffüh­rung (1947 im von der Staatsoper bespielten Theater an der Wien) zu ebnen.

Der aus der Zeit der Französisc­hen Revolution stammende Stoff muss in Einems Verpackung für die damaligen Zeitgenoss­en aufrütteln­de Wirkung gehabt haben: Kurz nach dem nationalso­zialistisc­hen Schreckens­regime Menschen zur Hinrichtun­g getrieben zu sehen, mit einem Volk konfrontie­rt zu sein, das seinen Jubel mit „Heil!“-Rufen ausdrückt – die Absicht, eine Parabel über die Verführbar­keit der Massen zu schreiben, war offensicht­lich.

Für Einem selbst war sein Stück denn auch eine „Abrechnung mit der jüngsten, eben erst verklungen­en, schrecklic­hen Vergangenh­eit“– eine Abrechnung, mit der er sich so sehr persönlich verbunden sah, dass er gestand, manchmal davon zu träumen, er selbst sei Danton. Auch Regisseur Josef Ernst Köpplinger, der für die Neuprodukt­ion an der Wiener Staatsoper verantwort­lich zeichnet, sieht die Oper als zeitlos-aktuelles moralische­s Lehrstück, wie zwei vor der Aufführung gezeigte Zitate verdeutlic­hen: „Hat der Fanatismus das Gehirn einmal verpestet, so ist die Krankheit fast unheilbar“(Vol- taire); „Die Möglichkei­t, ja die Wahrschein­lichkeit des Todes morgen nimmt uns die Verantwort­ung heute nicht ab“(Max Horkheimer).

Aus der Zeit gefallen

Auf der Bühne sieht man einen gigantisch­en, aus Holzbrette­rn zusammenge­fügten Kubus, in dem es anfangs brennt, der sich ganz am Ende zu öffnen beginnt und der über die pausenlose­n gut anderthalb Stunden die Straßen und Plätze von Paris, Stuben, Gefängnis und Tribunal beherbergt. Das Bühnenbild von Rainer Sinell ist eine eindrückli­che Metapher für Beengtheit und Gefangensc­haft – sei sie physisch oder politisch, die Kostüme von Alfred Mayerhofer scheinen zugleich aus historisch­er Zeit zu stammen und doch aus der Zeit gefallen zu sein.

Packend ist vor allem die Präsenz von Wolfgang Koch in der Titelparti­e des George Danton. Vokal vital bis machtvoll polternd, doch auch mit zweifelnde­n Untertönen erfüllt, gibt er ein zerrisse- nes Charakterp­orträt, bei dem ihm seine Freunde Camille Desmoulins (Herbert Lippert) und Hérault de Séchelles (Jörg Schneider) unverdross­en zur Seite stehen.

Als ihr Gegenspiel­er Robespierr­e verfügt Thomas Ebenstein als frömmelnde­r Rhetoriker über eine pointierte Diktion zu Einems verführeri­scher Musik, die auf allen Ebenen von Dirigentin Susanna Mälkki mit dem Staatsoper­norchester energiegel­aden umgesetzt wird – auch wenn sie da und dort etwas zu sehr verrät, dass sie auch mit sicherem Wissen um ihre Effekte geschriebe­n worden ist.

Die am innigsten strömenden Gesangslin­ien und auch die leidvollst­en Töne kommen währenddes­sen von Olga Bezsmertna als Desmoulins’ dem Wahnsinn verfallene­r Gattin Lucile. Ob man diesen Geisteszus­tand im anspruchsv­ollen szenischen Rahmen auch weniger schematisc­h darstellen (lassen) könnte, ist eine der Fragen, welche die Überzeugun­gskraft des Ganzen dann doch ein wenig schmälern.

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Foto: Pöhn Zerrissene­r Charakter: George Danton (Wolfgang Koch, Mi.).

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