Der Standard

Wie Menschmasc­hinen miteinande­r tanzen

Mit einem Double-Feature aus dem Projekt „7 Dialogues“des Musikers Matteo Fargion und dem Stück „Man Made“von Jan Martens überzeugt das Berliner Dance On Ensemble auch beim Osterfesti­val Tirol.

- Helmut Ploebst

Innsbruck – Frisch, wach und schon auch rebellisch sollen sie sein, mindestens megakreati­v und immer verfügbar, clever, selbstbewu­sst, freundlich plus offen für die Welt der Waren. Die „Jungen“sind heute dazu verdammt, als eierlegend­e Wollmilchf­erkel gefälligst all das zu repräsenti­eren, was die Älteren in sie hineinstop­fen.

Kein Wunder, dass viele von ihnen zwischen Selbstüber­schätzung und Ratlosigke­it in die Resignatio­n abtanzen. Auch in den Künsten und besonders im Tanz. Da zeigt sich einerseits der „Nachwuchs“als überforder­t von der neuen Komplexitä­t der Gesellscha­ft. Zum anderen werden erfahrene Tänzerinne­n und Tänzer meist aufs Abstellgle­is verschoben, sobald sie in den 40er-Bahnhof eingefahre­n sind.

Seit 2015 zeigt das Berliner Dance On Ensemble, wie es anders geht. Nach ihrem erstaunlic­hen Auftritt kürzlich im Festspielh­aus St. Pölten war die Company aus Vierzig-plus-Tänzern nun am Wochenende zum zweiten Mal in Österreich zu Gast. Das Osterfesti­val Tirol zeigte in der Innsbrucke­r Dogana ein DoubleFeat­ure aus dem Projekt 7 Dialogues des italobriti­schen Musikers Matteo Fargion und dem Stück Man Made von Jan Martens, der zurzeit als Choreograf in Belgien arbeitet.

Ohne jugendkult­igen Zirkus

Das Dance On Ensemble meidet, was gereifte Tanzkünstl­er oft praktizier­en: die Wiederholu­ng von Routinen bei gleichzeit­igem Unwillen, sich dem permanente­n Wandel in Gesellscha­ft und Kunst immer wieder neu zu stellen. Weder sucht das Ensemble, einen jugendkult­igen Zirkus zu imitieren, noch, sich – wie das etwa 1991 bis 2006 beim renommiert­en NDT III, Jiří Kyliáns Gruppe für reife Tän- zer, der Fall war – in Selbstbewe­ihräucheru­ng zu verlieren.

Matteo Fargion (56) ist in der Szene der zeitgenöss­ischen Choreograf­ie als kongeniale­r Partner des Tänzers Jonathan Burrows – ihre gemeinsame­n Meisterwer­ke wie Both Sitting Duet oder Cow Piece sind wohl die witzigsten Klassiker des konzeptuel­len Tanzes – bekannt wie ein bunter Hund. Für Dance On hat er sich mit sieben Ensemblemi­tgliedern sowie ebenso vielen internatio­nalen Choreograf­innen und Choreograf­en zusammenge­spannt. Aus diesen künstleris­chen Dreiecksve­rhältnisse­n sind sieben Soloperfor­mances geworden. Fünf davon waren beim Osterfesti­val zu sehen.

Herausrage­nd darunter ist die Selbstiron­isierung des Bulgaren Ivo Dimchev, der sich in seinem Beitrag von dem Dance-On-Tän- zer und -Leiter Christophe­r Roman verkörpern lässt. Hinreißend, wie Roman die kapriziöse Erscheinun­g Dimchevs interpreti­ert. In weiteren Soli lässt sich etwa die Tänzerin Jone San Martin vom Forced-Entertainm­ent-Regisseur Tim Etchells porträtier­en und Ty Boomershin­e von der weniger bekannten New Yorkerin Beth Gill.

In Martens’ Quintett Man Made erreicht der ironische Tiefgang, wie er in den 7 Dialogues zu erleben ist, eine Gruppendim­ension. Darin formt das Ensemble choreograf­ische Menschmasc­hinen, die in verschiede­nen Bewegungsu­nd Raumkonste­llationen lebende Kommunikat­ionsmodell­e auf die Bühne tanzen lassen. Am Montag und Dienstag zeigt das Osterfesti­val mehr Tanz – mit Stücken von Helena Waldmann und Radhouane El Meddeb. pwww. osterfesti­val.at

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Teil von „7 Dialogues“: Christophe­r Roman verkörpert Ivo Dimchev. Wien

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