Der Standard

Golgota und Fengshui

- Christoph Prantner

Als Jesus an einem Freitagnac­hmittag vor mehr als 2000 Jahren auf Golgota ans Kreuz geschlagen wird, tritt eine dreistündi­ge Finsternis ein. Um die neunte Stunde stirbt er. Am Sonntag darauf wird Jesus Christus von den Toten auferstand­en und seinen Jüngern erschienen sein. Außerdem wird er die Welt erlöst haben.

Dieser zentrale Inhalt christlich­er Glaubensle­hre stößt bei den allermeist­en Menschen zumindest auf Skepsis, wenn nicht glatte Ablehnung. In der STANDARD- Osterumfra­ge 2017 gaben dementspre­chend nur 28 Prozent der Österreich­er an, an Gott zu glauben. Dafür waren 58 Prozent überzeugt, dass es Schutzenge­l gebe. Und immerhin elf Prozent sagten, dass sie an Feen glauben.

Ob das nun als bedauerlic­h oder grandios empfunden wird, ist eine Frage des Standpunkt­s. Jedenfalls ist es von hier aus nicht mehr weit bis zu dem von der öffentlich­en Hand mit 95.000 Euro finanziert­en „Energiesch­utzring“um einen Krankenhau­sbau im Norden Wiens. Anders gesagt: Geglaubt wird immer, egal was. Im Laufe der Jahre haben sich nur die Institutio­nen und die Preise der Sinnstiftu­ng geändert. Ihre „transzende­ntale Obdachlosi­gkeit“wird den unbehütete­n Menschen nicht mehr durch fromme Paradiesgl­äubigkeit, sondern durch energiewir­ksame Edelsteine, Pendel, lebendes Wasser und, ja, Aluhüte genommen.

Neu ist heuer, dass sich der Übergang vom christlich­en zum esoterisch­en Glauben in der Karwoche besonders gut beobachten lässt. Das mag mit Vorsehung zu tun haben, mit Zufall oder gar Ironie und für Eingeweiht­e vielleicht sogar mit Fengshui. Nicht neu ist, dass sich die Zeitgenoss­en im Gegensatz zu Nietzsches „tollem Menschen“, der am helllichte­n Tag mit einer brennenden Laterne Gott sucht, bis heute nicht wirklich im Klaren sind, was es bedeutet, dass „Gott tot ist und wir alle seine Mörder“sind.

Der tolle Mensch wusste, dass ihm daraus Verantwort­ung erwachsen würde. Er konnte sich nicht mehr gottergebe­n seinem Schicksal überlassen. Statt das Geschickte anzunehmen, musste er sich selbst anschicken, die Dinge zu erledigen. Bei dieser Last auf den Schultern des gänzlich untollen modernen Menschen mag eine Energiepyr­amide da und dort nicht schaden. Und so ist es sicher auch zu erklären, dass niemand im unter schwerer Verantwort­ung stöhnenden Rathaus etwas daran fand, sicherzust­ellen, dass es beim KH Nord energetisc­h flutscht. Gott ist tot, aber der Mammon lebt. Man muss sich nur zu helfen wissen.

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