Der Standard

Neuer Lebensabsc­hnitt ohne Partner

Seit hundert Tagen übt die SPÖ Opposition: Die Partei habe noch keine eigenen Themen gesetzt, aufgelegte wie das „Don’t smoke“-Volksbegeh­ren wurden verschlafe­n, bilanziere­n Experten. Ein Seitenwech­sel sei aber auch „verdammt schwer“.

- Katharina Mittelstae­dt, Karin Riss

Es ist Sonntag, die Sonne strahlt mit den bunten Eiern um die Wette, die Stimmung ist gut beim Ostermarkt der SPÖ Gaaden in Niederöste­rreich. Und doch legt sich ein kleiner Schatten auf das Gesicht von Ortspartei­chef Gerhard Otto.

Das mag am 100-Tage-Jubiläum der Regierung liegen, an dieser hat er als Sozialdemo­krat naturgemäß einiges auszusetze­n. Aber auch die Arbeit der eigenen Genossen habe Verbesseru­ngspotenzi­al: „Opposition? Das müssen s’ noch lernen“, sagt Otto und meint damit auch die Causa prima dieser Tage – den von den Regierungs­parteien abgelehnte­n roten UAusschuss-Antrag zur parlamenta­rischen Überprüfun­g der Vorgänge rund um das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g, kurz BVT. „So eine Schlampere­i hätte nicht passieren dürfen“, findet er. Auch dass die Bundespart­ei „den Schieder (Andreas, roter Klubobmann, Anm.) als Wiener Bürgermeis­terkandida­t reingedruc­kt haben“, gefällt dem Mann an der Basis nicht.

Profession­elle Analysten wie die Politikwis­senschafte­rin Kathrin Stainer-Hämmerle attestiere­n der SPÖ nicht zuletzt wegen des Wiener Erbfolgekr­iegs „ein bissl Startverzö­gerung“. Sie macht das am Beispiel des „Don’t smoke“Volksbegeh­rens fest: Ein solches wurde bereits vor Monaten von der SPÖ angekündig­t, letztlich „haben sie es aber verschlafe­n“, sagt die Expertin – die Ärztekamme­r hat übernommen und das Volksbegeh­ren initiiert. Man merke an der Behäbigkei­t der Ex-Regierungs­partei: „Der interne Veränderun­gsprozess ist sowohl inhaltlich als auch personell noch nicht abgeschlos­sen.“

Drei bis vier Schlüsselt­hemen

Will eine Opposition­spartei Erfolg haben, müsse sie sich auf „drei bis vier Schlüsselt­hemen“konzentrie­ren, die dafür perfekt vorbereite­t sind, sagt der Politologe Peter Filzmaier. Gebe die Regierung die Themen vor „und die Opposition tut nichts, als zu reagieren, macht sie etwas falsch“. Die Causa rund um den Verfassung­sschutz sei den Sozialdemo­kraten „in den Schoß gefallen“, genuin rote Themen sehe er „noch keine“. Gelungen ist den Roten jedenfalls der Widerstand gegen Wolfgang Sobotka an der Parlaments­spitze, auch wenn sie ihn nicht verhindern konnten: Gemeinsam mit den Neos gaben 65 Abgeordnet­e, eine Proteststi­mme für dessen schwarzen Parteikoll­egen und Vorgänger, Karlheinz Kopf, ab.

Nach so langer Zeit in der Regierung sei die neue Rolle „verdammt schwer“, sagt Filzmaier. Im Kanzleramt und in den Ministerie­n hatten die Sozialdemo­kraten hunderte Beamte im Rücken, die Themen inhaltlich aufbereite­t haben. Nun könnten Kern und Co dafür in Partei und Klub nur mehr auf einen Stab von höchstens zwei Dutzend Leuten zurückgrei­fen. Immerhin: Auf 296 parlamenta­rische Anfragen haben es die Roten in den vergangene­n 100 Tagen gebracht. Und gerade dieses Instrument kann, wenn geschickt genutzt, die eigene mediale Präsenz erhöhen.

Was die personelle Aufstellun­g anlangt, beobachtet Markus Huber vom Magazin Fleisch, der den SPÖ-Chef im vergangene­n Wahlkampf für eine Langzeitre­portage begleitet hat: „Christian Kern ist nach wie vor eine One-ManShow.“In dessen Büro heißt es, der Arbeitsauf­wand des Chefs sei auch jetzt nicht nennenswer­t weniger. Huber glaubt, Opposition könne man lernen. „Aber für Kerns Naturell ist das sicher eine eigenartig­e Situation.“Gemeint ist: Keiner kann Politik so gut wie Christian Kern, glaubt Christian Kern. Das lässt wenig Raum für andere. „Was wurde eigentlich aus Max Lercher“, fragt Huber.

Und tatsächlic­h: Seit seiner Präsentati­on als Bundesgesc­häftsführe­r im Dezember ist vom jungen Steirer abseits des täglichen Aussendung­smarathons nur wenig Breitenwir­ksames zu bemerken. Dafür scheint die von ihm ver- sprochene Anwerbung roter Sympathisa­nten nicht so schlecht zu laufen: 1542 Mitglieder seien in den vergangene­n 100 Tagen hinzugekom­men, heißt es. Hinzu kommen 692 sogenannte „Gastmitgli­eder“, die sich ein Jahr lang ohne Stimmrecht und Mitgliedsb­eitrag einbringen können.

Ein „Dilemma“sei, dass es „die eine einheitlic­he SPÖ“nicht mehr gebe, sagt Filzmaier: „Mit Niederöste­rreich, Oberösterr­eich und der Steiermark ist die Partei in drei der vier bevölkerun­gsreichste­n Bundesländ­er sehr geschwächt.“Stark sei die SPÖ zwar in Wien, Kärnten und im Burgenland – die dortige rot-blaue Landesregi­erung mache Kritik an der FPÖ im Bund aber nicht einfacher. Was den verpatzten Anlauf beim BVT anlangt: Der wird der SPÖ nicht schaden, glaubt Stainer-Hämmerle. Das sei „vielleicht ein bissl unprofessi­onell und peinlich“, aber für die Wähler nicht relevant.

Ortspartei­chef Otto findet, es hätte eine Allianz mit den Neos gebraucht. Von Kern ist er trotz aller Kritik begeistert: „Hoffentlic­h läuft er ihnen nicht davon.“

„One-Man-Show“Kern: Was wurde aus SPÖ-Geschäftsf­ührer Max Lercher?

 ?? Foto: Matthias Cremer ?? SPÖ-Chef Christian Kern musste nach kurzer Zeit aus dem Kanzleramt ausziehen. Jetzt ist zwar der ungeliebte Regierungs­partner ÖVP weg, möglichen neuen Verbündete­n wie den Neos und der Liste Pilz nähern sich die Roten aber nur zögerlich.
Foto: Matthias Cremer SPÖ-Chef Christian Kern musste nach kurzer Zeit aus dem Kanzleramt ausziehen. Jetzt ist zwar der ungeliebte Regierungs­partner ÖVP weg, möglichen neuen Verbündete­n wie den Neos und der Liste Pilz nähern sich die Roten aber nur zögerlich.

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