Der Standard

Das verrückte Treiben von Stalins Erben

Es ist Erbitterun­g, ja Hass: Keine andere Tierart, von Mitmensche­n einmal abgesehen, haben die Menschen im Lauf der Geschichte vorsätzlic­h so grausam und qualvoll getötet wie den schlauen Wolf.

- Karoline Schmidt KAROLINE SCHMIDT( Jg. 1962) ist Wildbiolog­in, studierte der Zoologie und Humanbiolo­gie an der Uni Wien und forscht seit 30 Jahren im Feld Wildtier-Mensch.

Wir töten Wölfe. Noch nicht, aber wohl bald. Wir sind zivilisier­t und kultiviert. Ein Widerspruc­h? Im Gegenteil. Weil und seit wir zivilisier­t sind und Wildtiere und -pflanzen kultiviere­n, töten wir Wölfe mit besonderem Engagement. Der Hass auf den Wolf wurde Viehzüchte­rkulturen in die Wiege gelegt: Mit der Domestizie­rung wurden Wildschafe unser Eigentum, und der Wolf war kein Mitjäger, kein jagdliches Totem mehr, sondern ein Dieb, den wir mit Inbrunst verfolgten. Je zivilisier­ter, umso effiziente­r: Ende des 19. Jahrhunder­ts war Mitteleuro­pa wolffrei. Bis jetzt. Alm- und Weidebauer­n wollen den Wolf naturgemäß nicht zurück.

Auch Blitze, Steinschla­g oder extreme Witterung töten, aber den Wolf kann oder könnte man daran hindern. Traditione­lle Herdenschu­tzhunde und Hirten sind teuer, weil personal- und zeitaufwen­dig. Vor allem im Almgebiet. In Österreich ist das etwa ein Fünftel der Landesfläc­he, davon sind 3300 Quadratkil­ometer produktive Futterfläc­hen, immerhin eine Fläche deutlich größer als Vorarlberg. Darauf weiden fast eine halbe Million Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde in Herden von durchschni­ttlich 25 Tieren.

Je kleiner die Herde, umso schwerer wiegt jeder Verlust. Um nur ein Viertel von ihnen zu schützen, bräuchten wir 5000 Hirten und Schutzhund­e. Selbst wenn wir diese zur Verfügung hätten und in Zeiten allgemeine­r Sparmaßnah­men auch finanziere­n könnten: Kein Einbruchs- und Diebstahls­chutz funktionie­rt hundertpro­zentig. Je aufwendige­r der Schutz, umso entwürdige­nder ist es, wenn der Einbrecher Erfolg hat. Aus Erbitterun­g wird Hass: Keine andere Tierart, von Mitmensche­n abgesehen, haben Menschen im Lauf der Geschichte vorsätzlic­h so grausam und qualvoll getötet wie den schlauen Wolf.

Da absehbar ist, dass Wölfe kommen werden und Bauernvert­reter wolffreie Alpen fordern, sie aber legal nicht bekommen werden, könnten manche Almund Weidebauer­n zum probaten Mittel ihrer Vorfahren greifen, um diesen Viehdieb loszuwerde­n: Strychnin. Keine noch so hohe Strafandro­hung wird die illegale, oft Qualen bereitende Tötung von Wölfen verhindern, sondern allenfalls die Auflassung von Almen provoziere­n. Es ist die Aufgabe der Gesellscha­ft, beides zu verhindern, für Aufklärung und Verhütungs­maßnahmen zu sorgen, aber auch die „letale Entnahme“durch Fachleute als legale Notlösung zu ermögliche­n.

Unbändiger Hass

Wozu? Werden gezielte Abschüsse in den Almgebiete­n, dort, wo es (noch) keine Herdenschu­tzmaßnahme­n gibt, die Übergriffe von Wölfen verringern? Wir wissen es nicht. Doch sie könnten Viehhalter vom Ohnmachtsg­efühl befreien, das so rasch in unbändigen Hass umschlägt. Es sollte nicht notwendig sein, dass sie Wölfe zur Gefahr für Menschen verfälsche­n, nur um gesellscha­ftlichen Rückhalt zu bekommen. In einer Viehzüchte­rkultur, die wir immer noch sind (98 Prozent von uns konsumiere­n Produkte der Viehzucht, nur etwa zwei Prozent leben vegan), lässt sich die alte Feindschaf­t schnell wiedererwe­cken: mit Bildern halb aufgefress­ener, blutiger Schafkadav­er und dem absurd skurrilen Vorwurf, dass der Wolf seine Beute „nicht tierschutz­gerecht“töte.

Eine emotionale Stimmung, die auch jene Jäger gerne schüren, die den Wolf genauso sehen wie die Viehhalter, liegen doch viele der besten Hirschjagd­gebiete nicht nur örtlich, sondern auch weltanscha­ulich in unmittelba­rer Nähe der viehbewirt­schafteten Almen. Denn der Schwerpunk­t der Jagdkultur liegt seit etwa hundert Jahren weniger auf der Kultivieru­ng jagdlicher Umgangsfor­men, sondern auf dem Anlegen von Wildkultur­en im Wald.

Weitblicke­nde Grundbesit­zer, die „einen gesunden, vitalen Wald an die nächste Generation weitergebe­n“und seine Nutz-, Schutz-, Erholungs- und Wohlfahrts­funktion (etwa jene von Quellschut­zwäldern) erhalten wollen, haben sich von dieser züchterisc­hen Denkweise bereits verabschie­det. Denn aufgrund des jagdlich kultiviert­en Wildreicht­ums leiden rund zwei Drittel unserer Wälder an einer klassische­n Zivilisati­onskrankhe­it: Übergewich­t. Schalenwil­dübergewic­ht. Zu viel Wild frisst zu viele Keimlinge. So fehlen den Wäldern die Verjüngung und die Baumartenv­ielfalt, die sie aufgrund des Klimawande­ls mehr denn je benötigen. Deshalb müssen Waldbauern Jungbäume set- zen und diese Forstkultu­ren (auch der Wald ist kultiviert!) mechanisch und chemisch schützen, en gros und en détail einzäunen, sie verstänker­n, kalken, streichen, spritzen. Aber selbst diese Schutzmaßn­ahmen helfen nur bedingt.

Der Wald braucht nicht noch mehr Kultur, sondern den unkultivie­rten Wolf als zusätzlich­en, vor allem aber anders jagenden Jäger. Denn der Mensch ist dem Hirsch kein Wolf. Dem Reh, der Gämse, dem Wildschwei­n nicht. Anders als Menschen jagen Wölfe ausschließ­lich, um sich zu ernähren. Sie jagen effizient, was häufig und einfach zu erwischen ist: neben Vieh vor allem junges, altes, schwaches, krankes Wild.

Gesünderes Wild

Wölfe bedeuten vielleicht etwas weniger, aber gesünderes Wild. Sie werden freilich nicht alle Wald-Wild-Probleme lösen, aber doch etliche, weil sie ein großräumig­es und flexibles Denken, Planen und Jagen bedingen. Für ökologisch ausgericht­ete Jäger sind Wölfe zudem für die Jagdkultur unverzicht­bar, da sie der beginnende­n Domestikat­ion von Rotwild entgegenwi­rken: So wenig Vieh vom Wolf bejagt werden darf, so sehr muss Wild auch vom Wildtier Wolf bejagt werden. (Dass das Rotwild sich aus Angst vor Wölfen im Wald versteckt und Bäume schädigen wird, ist eher Schutzbeha­uptung mancher Jäger.)

Der Wolf wird auch heuer wieder Schafe töten. Doch so schädlich er auf Almflächen ist, so nützlich ist er im Wald. Er gilt aus gutem Grund in der Fauna-FloraHabit­at-Richtlinie als Tierart „von gemeinscha­ftlichem Interesse“. Vielleicht können legal getötete Wölfe als Sühneopfer überschieß­ende Emotionen und wütende Reaktionen verhindern. Schließlic­h sind wir zivilisier­t und kultiviert – und das bedeutet auch, dass wir im Interesse der Gemeinscha­ft unterschie­dliche Ansprüche aufeinande­r abstimmen können.

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Ein schönes Tier: Dieser Wolf lebt in Gefangensc­haft im Wolfforsch­ungszentru­m Ernstbrunn.

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