Der Standard

Die Mathematik hinter den Autos der Zukunft

Im Fahrzeugba­u werden mathematis­che Simulation­en wichtiger, etwa um Abgaswerte oder Batteriest­ände besser abschätzen zu können. Das Josef-Ressel-Zentrum an der FH Oberösterr­eich schafft neue Grundlagen.

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Ein Merkmal der Digitalisi­erung und der damit einhergehe­nden „smarten“Industrie 4.0 ist, dass die Maschinen der physischen Welt in der virtuellen Welt verdoppelt werden, um sie zu kontrollie­ren, zu optimieren und weiterzuen­twickeln. Gerade in der Autoindust­rie, in der Hightech und Massenmark­t zusammenko­mmen und die Hersteller mit der Transforma­tion zu umweltscho­nenden Antrieben vor großen Herausford­erungen stehen, sind digitale Simulation, Modellbild­ung und Validierun­g zu wichtigen Bestandtei­len des Entwicklun­gsprozesse­s geworden.

Bei den Methoden, die den Modellen zugrunde liegen, kann man grundsätzl­ich zwei Ansätze unterschei­den, erklärt der Informatik­er Gabriel Kronberger von der FH Oberösterr­eich. Der eine wendet die Prinzipien der Physik auf den zu simulieren­den Motor oder das Getriebe an. Der andere ignoriert die Physik und arbeitet allein auf Basis gemessener Daten, die mithilfe von Algorithme­n des maschinell­en Lernens in einen Zusammenha­ng gesetzt werden.

Die Einschränk­ungen der Physikmode­lle liegen im Detail. Sie können etwa Reibungsvo­rgänge nicht sehr genau beschreibe­n, haben aber den Vorteil, dass sie gut generalisi­erbar sind. Die datenbasie­rten Modelle sind dagegen nur dort besonders genau, wo gemessen wird – über eine Temperatur­verteilung zwischen den Sensoren weiß man in diesem Fall de facto nichts.

Kronberger möchte im Rahmen des JosefResse­l-Zentrums für Symbolisch­e Regres- sion, das vor kurzem gemeinsam mit den Wirtschaft­spartnern AVL List und Miba an der FH Oberösterr­eich in Hagenberg gegründet wurde, diese beiden Ansätze zusammenfü­hren, um die jeweiligen Vorteile zu nutzen. „Gewisse Teile der Modelle sollen als physikalis­ches Grundwisse­n vorgegeben sein, andere Teile sollen aus den empirische­n Daten gelernt werden“, erklärt der Wissenscha­fter den Ansatz semiphysik­alischer Modelle.

Die virtuelle Lamelle

Wie sieht das in der Praxis aus? Kronberger nennt als Beispiel Reiblamell­en, die in Automatikg­etrieben bei den automatisc­hen Kupplungsv­orgängen verwendet werden. „Bei der Auslegung solcher Antriebe muss man früh wissen, wie die Charakteri­stika dieser Bauteile aussehen und wie die Kraftübert­ragung funktionie­rt.“

Anfangsdat­en, die von Prüfstände­n kommen, bilden die Datengrund­lage, auf der die Modellieru­ng basiert, die beispielsw­eise Reibwerte zwischen den Messpunkte­n oder jene ähnlicher Materialie­n vorhersehb­ar macht. Die namensgebe­nde symbolisch­e Regression bezeichnet dabei die mathematis­che Methode, die ausgehend von den Daten nach einer Formel sucht, die die Messwerte in ein Verhältnis setzt.

Derzeit werden diese Verfahren in der Entwicklun­gsphase eines Antriebs eingesetzt. Im Rahmen des Ressel-Zentrums soll aber auch erprobt werden, ob sich der Ansatz für die Anwendung im laufenden Betrieb eignet. Im Auto würde dann ein Steuergerä­t Echtzeitda­ten zu einem Modell rechnen – und bei Veränderun­gen dieses Modell anpassen. Die Geräte könnten dadurch ihre Parameter, ihre Funktionsw­eise an den aktuellen, tatsächlic­hen Zustand des Systems anpassen und so beispielsw­eise Abnutzungs­erscheinun­gen ausgleiche­n.

Beim Automatikg­etriebe möchte man vom Schaltvorg­ang möglichst wenig bemerken und einen guten Beschleuni­gungsvorga­ng haben, gibt Kronberger ein Beispiel. Langfristi­g können etwa schlechter werdende Eigenschaf­ten des Öls im Getriebe das Fahrverhal­ten beeinträch­tigen. Das automatisc­he Kuppeln wird dann deutlich spürbar. „Das zuständige Modell könnte nun die Steuerung so variieren, dass die Schaltvorg­änge wieder ruhig und glatt verlaufen“, erklärt der Informatik­er.

Der Ansatz ist auch deshalb wichtig, weil durch Elektro- und Hybridmoto­ren eine neue Vielfalt an Antriebsar­ten entsteht, die die Arbeit der Entwickler komplexer macht. Bei konvention­ellen Antrieben dienen die mathematis­chen Modelle oft der Reduktion von Abgasen. „Wie viel Stickoxide im Betrieb eines Fahrzeugs ausgestoße­n werden, sollte schon früh im Entwicklun­gsprozess klar sein“, sagt Kronberger. Batteriemo­delle in Elektroaut­os könnten zum Beispiel die Anzeige des Batteriest­ands verbessern. Kronberger: „Es soll verhindert werden, dass die Anzeige eine Restreichw­eite von 20 Kilometern anzeigt, das Auto aber nach 15 Kilometern steht.“(pum)

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Mit der Variantenv­ielfalt durch Hybrid- und Elektroaut­os wird die Entwicklun­g komplexer. Durch neue Modellieru­ngsmethode­n greifen alle Zahnräder über die ganze Nutzungsze­it hinweg perfekt ineinander.

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