Der Standard

Einigkeit soll die Folgekoste­n des Brexits gering halten

Bisher treten die EU-27- Staaten bei Austrittsv­erhandlung­en auf, als würde kein Blatt zwischen sie passen

- Thomas Mayer aus Brüssel

Michel Barnier hat eine Zauberform­el. Wann immer der EU-Chefverhan­dler für den Brexit mit seinem britischen Gegenüber, Minister David Davis, zusammentr­ifft und sich der Presse stellt, spricht er sie aus. Wie ein Mantra, oft mehrfach: „Es wird keine Rosinenpic­kerei geben“, sagt der Franzose dann, „da herrscht unter den EU-27 Einigkeit“. EU-27, das ist die künftige Union ohne Briten.

Nebenabspr­achen oder gar Sonderwege einzelner Länder, geheime Deals, das alles sei unmöglich, denn: „Die 27 Mitgliedst­aaten sind sich völlig einig. Ich führe nur deren gemeinsame­s Mandat anhand der vereinbart­en Leitlinien aus.“Die britische Regierung solle sich „keinerlei Illusionen hingeben“.

Barnier hat einen monotonen, langsamen Sprechstil, er scheint jedes Wort abzuwägen wie ein Notar. Das verleiht seinen Botschafte­n zusätzlich Schwere: Niemand solle den geringsten Zweifel daran haben, dass die EU-27 die Sache Brexit entschloss­en durchziehe­n, sich dabei nicht spalten lassen.

Gegen Sonderinte­ressen

Wie haltbar ist dieser Wunsch, den die Staats- und Regierungs­chefs seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 noch bei jedem EUGipfel bekräftigt haben, sobald die britische Premiermin­isterin Theresa May abgereist war? Wie sollen nationale Interessen unterdrück­t werden, wenn es im Finale der Austrittsg­espräche ums Eingemacht­e geht, etwa die gewaltigen Kosten und Lasten des Brexits?

Anlass für Uneinigkei­t gäbe es genug. Jenseits des britischen Sonderwege­s steht es um Harmonie und Integratio­n nicht gerade gut, nicht nur wegen der Erfolge EU-skeptische­r Populisten, wie in Italien. Gegen Polen, das nicht im Euro ist und zu London enge Beziehunge­n pflegt, läuft ein Stimmrecht­sentzugsve­rfahren.

Eines der größten Hinderniss­e beim Brexit ist, wie es mit der kleinen Republik Irland weitergeht, die von Handelsbes­chränkunge­n besonders betroffen wäre, vom Problem der heute noch offenen Grenzen zum (britischen) Nordirland abgesehen. Der EU werden nach dem Brexit im Budget bis zu 14 Milliarden Euro fehlen, die London derzeit netto einzahlt. Viel Sprengpote­nzial also. Trotz einiger Störversuc­he Londons hat die Einheit der EU-27 bisher dennoch gut gehalten. Barnier ist es gelungen, seit März 2017 bei seinen Auftraggeb­ern, den Regierungs­chefs, bereits zwei Abänderung­en der Leitlinien durchzubri­ngen, zuletzt vergangene Woche. Seither steht der Brexit-Plan sehr konkret, May hat all dem zugestimmt. Der EU-Austritt kommt am 29. März 2019, dann folgt eine „Übergangsp­eriode“von 21 Monaten, in der Großbritan­nien alle bestehende­n EU-Verpflicht­ungen einhalten muss, ohne EU-Mitglied zu sein. Das ist, wie EU-Verhandler sagen, schon die halbe Miete.

Es bleibe nun genug Zeit, um Großbritan­nien als möglichst engen Partner zu erhalten, was die Kosten und Lasten für alle in den EU-27 reduzierte. Kein schlechter Grund, um zusammenzu­bleiben.

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