Der Standard

Premier aus Unruheregi­on soll Äthiopien beruhigen

Neuer Regierungs­chef Abiy Ahmed steht zwischen Reformen und „chinesisch­em Entwicklun­gsmodell“

- Manuel Escher

Addis Abeba / Wien – „Land der Widersprüc­he“ist ein Etikett, das sich Touristenr­egionen gerne umhängen. Äthiopien gilt bisher nicht als klassische­s Touristenz­iel, trotzdem passt der Titel. Rund zehn Prozent hat das Wirtschaft­swachstum in den vergangene­n Jahren im Schnitt betragen, mehr als in fast allen anderen Staaten weltweit. Für viele Menschen hat sich die Lebenssitu­ation gebessert. Für Ruhe hat das nicht gesorgt: Schon seit Jahren gibt es im Land Großprotes­te. Mitglieder verschiede­ner Ethnien gehen gegen die autoritäre Regierung auf die Straße. Sie werfen ihr Unterdrück­ung vor. Mehrere hundert Demonstran­ten sind seither von der Polizei getötet worden.

Ins Bild passt auch, dass es nicht vorrangig Minderheit­en sind, die sich unterdrück­t fühlen, sondern Mitglieder der Mehrheit. Mehr als ein Drittel der Äthiopier gehören der Volksgrupp­e der Oromo an, hohe politische Ämter haben sie seit Beginn der nominellen Demokratie 1991 aber noch nie gestellt. Nun ist es erstmals so weit: Die regierende Partei der Revolution­ären Demokratis­chen Front der Äthiopisch­en Völker EPRDF hat sich, wie Dienstag bekannt wurde, für Abiy Ahmed als nächsten Premier des Landes entschiede­n. Er kommt aus der Region Oromia – seine Bestellung ist auch als Signal gedacht.

Aber nicht nur: Der 41-jährige Doktor der Informatik (Kryptologi­e) hat sich in den vergangene­n Jahren auch als mitreißend­er Red- ner bewiesen – und somit als Gegensatz zu seinem eher farblosen Vorgänger Hailemaria­m Desalegn, der Mitte Februar wegen der anhaltende­n Proteste in den Regionen Oromia und Amhara zurückgetr­eten war.

Ob er allerdings demokratis­cher auftreten wird als sein Vorgänger, ist umstritten. Zwar verkörpert der Sohn eines Muslims und einer Christin, der drei Landesspra­chen (Oromo, Amharisch und Tigrinya) spricht, die Vielfalt des ostafrikan­ischen Staates. Auch wird ihm „partizipat­iver Führungsst­il“nachgesagt. Doch ist auch Abiy tief in der EPRDF verankert. Als 2008 bis 2010 die Partei versuchte, die nationalen Medien auf Linie zu bringen, war er für den öffentlich­en Rundfunk zuständig. Zudem hat der Oberstleut­nant des Militärs beste Kontakte zu Sicherheit­sdiensten und Polizei. Es ist anzunehmen, dass auch er am „chinesisch­en Entwicklun­gsmodell“seines Landes festhalten will, das die EPRDF verfolgt – also auf wirtschaft­liche Reformen setzt, die von einem starken, autoritär auftretend­en Staat umgesetzt werden.

Ob es Reformen gibt, wird spätestens 2020 zu sehen sein. Dann sind Parlaments­wahlen angesetzt.

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Foto: AFP / Samuel Gebru Abiy Ahmed ist erster Premier Äthiopiens aus der größten Volksgrupp­e des Landes, den Oromo.

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