Der Standard

81 präkolumbi­sche Siedlungsa­nlagen entdeckt

Forscher schätzen, dass am südlichen Rand des Amazonasbe­ckens einst eine Million Menschen lebte

- David Rennert

Exeter/Wien – Die lange vorherrsch­ende Meinung, das südliche Amazonasbe­cken sei vor Ankunft der Europäer in Amerika im 15. Jahrhunder­t nur recht spärlich besiedelt gewesen, hat sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n gewandelt. Forscher entdeckten immer mehr Hinweise auf lokale Siedlungen und Bodenbewir­tschaftung, die in präkolumbi­sche Zeiten zurückreic­hen. Doch in welchem Ausmaß die Regionen abseits der großen Wasserläuf­e einst bewohnt waren, ist unklar.

Archäologe­n um Jonas Gregorio de Souza von der Universitä­t Exeter haben nun auf Satelliten­aufnahmen die Überreste von gleich 81 bislang unbekannte­n Siedlungsa­nlangen mit mehr als hundert Erdbauten am südlichen Rand des Amazonasbe­ckens in Brasilien entdeckt. 24 Fundorte besuchten sie schließlic­h und stießen vor Ort auf Keramikres­te, Müllgruben, Werkzeuge und Spuren von Landwirtsc­haft.

Vergessene Zivilisati­onen

Die Funde stammen aus einer Zeit zwischen 1250 und 1500 und zeugen von einer beachtlich­en menschlich­en Aktivität: Sie reichen von kleinen Ansiedlung­en mit 30 Metern Durchmesse­r bis zu großen, sechseckig angelegten Strukturen mit Straßen und zentralen Plätzen. „Die Population­en entlang kleinerer Nebenflüss­e müssen viel größer gewesen sein als angenommen“, sagte de Souza, der davon ausgeht, dass dort noch weitaus mehr archäologi­sche Stätten existieren. Große Teile des Amazonasbe­ckens sind noch unerforsch­t, insbesonde­re die Regionen abseits der Hauptflüss­e.

Wie viele Menschen könnten hier also einst gelebt haben? Für ihre Studie im Fachblatt Nature Communicat­ions stellten die Forscher auf Grundlage der Verteilung und Größe der bisherigen Funde Hochrechnu­ngen an.

Darin kommen sie zum Schluss, dass allein am südlichen Rand des Amazonasbe­ckens in später präkolumbi­scher Zeit eine Fläche von mehr als 400.000 Quadratkil­ometern besiedelt gewesen sein könnte – von einer halben bis zu einer Million Menschen. Dabei macht das berücksich­tigte Areal gerade einmal sieben Prozent des gesamten Beckens aus.

Die Ankunft der Europäer dürfte einen schnellen Kollaps zur Folge gehabt haben, so de Souza. „Wir wissen, dass sich Krankheits­erreger schneller ausbreiten als Menschen – wahrschein­lich wurden diese Population­en bereits von eingeschle­ppten Krankheite­n geschwächt, noch ehe die Europäer die Region erreichten.“

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Luftaufnah­me der Überreste einer präkolumbi­schen Anlage mit 140 Metern Durchmesse­r. Die Besiedlung des südlichen Amazonasbe­ckens dürfte einst dichter gewesen sein als gedacht.

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