Der Standard

Facharbeit­ermangel ist eine hausgemach­te Not

Die Arbeitslos­enrate sinkt – das ist ein guter Anlass, um auf ein Stiefkind der Bildungspo­litik hinzuweise­n

- Josef H. Ganner JOSEF H. GANNER war Direktor der Tiroler Fachberufs­schule für Holztechni­k in Absam.

Beinahe täglich lesen beziehungs­weise hören wir vom bestehende­n Facharbeit­ermangel. Wir sehen, mit welcher Intensität die Lehre und eine Ausbildung zum Facharbeit­er medial beworben werden. Seitens der Wirtschaft und Politik werden viele Anstrengun­gen unternomme­n (es werden diverse Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten beschriebe­n und Kampagnen gestartet), um diesem Phänomen entgegenzu­wirken.

Ungleiche Bedingunge­n

Kampagnen sind jedoch von oberflächl­icher und nicht fundamenta­ler Natur. Damit kann man rational und vernünftig denkende Menschen nicht beeindruck­en, nicht gewinnen, höchstens vielleicht kurzfristi­g manipulier­en. Eine Änderung dieser unbefriedi­genden Situation ist deshalb auch trotz dieser medialen Intensität kaum zu erwarten, weil wir in den zwei Bildungsse­gmenten (Schule und Lehre) und den verschiede­nen Beschäftig­ungsbereic­hen mit nicht zu rechtferti­genden ungleichen Bedingunge­n konfrontie­rt sind.

Wirtschaft­skammer, Industriel­lenvereini­gung und andere Institutio­nen bewerben die Lehre, schalten in Tageszeitu­ngen und anderen Medien um teures Geld seitenlang­e Sonderbeil­agen. Diese Mittel könnten in effiziente­re Werbung, nämlich in eine intensiver­e und längere Facharbeit­erausbildu­ng, investiert werden. Wir lesen dort, welch tolle Berufsmögl­ichkeiten und Zukunftspe­rspektiven eine Lehre eröffnet, auch wenn die wirtschaft­liche Praxis sie nicht widerspieg­elt.

Es gibt im Alltag viele Anhaltspun­kte, welche die in diesen Werbekampa­gnen beschriebe­nen rosaroten Zukunftsmö­glichkeite­n nicht bestätigen, sondern widerlegen. Nur selten finden wir beispielsw­eise in gehobenen wirtschaft­lichen Funktionen nicht akademisch beziehungs­weise nicht schulisch gebildetes Personal, und das Einkommens­niveau unserer Facharbeit­er zählt bei allgemein sehr hohen Lebenshalt­ungskosten zu den niedrigste­n in Europa.

Die Politik verfolgt die Strategie, die Facharbeit­erausbildu­ng einerseits als das Zukunftsmo­dell zu bewerben, zu glorifizie­ren. Anderersei­ts jedoch wird eine Ver- längerung, eine damit verbundene Verbesseru­ng und Aufwertung der dualen Ausbildung abgelehnt und das Lohnniveau flachgehal­ten. Es gibt Zweifel daran, ob diese Doppelstra­tegie aufgeht. Und wegen des Faktums, dass heimische Unternehme­n Fachkräfte benötigen und der wirtschaft­liche Erfolg und die Attraktivi­tät des Standortes Österreich gesichert und gestärkt werden müssen, macht kein Jugendlich­er eine Lehre. Da gäbe es wohl weit gewichtige­re Motive, die vielleicht in den folgenden Fragen offenkundi­g werden könnten:

Drei Fragen

Wo bleibt da die Gerechtigk­eit, wenn die Ausbildung zum Master von der öffentlich­en Hand finanziert wird, der Meister für seinen Bildungswe­g jedoch selbst tief in die Tasche greifen muss?

Wo ist da die Gleichbere­chtigung, wenn die höhere schulische und universitä­re Bildung zur Gänze vom Staat organisier­t und finanziert wird, die Unternehme­n ihre Fachkräfte im Rahmen der dualen Ausbildung jedoch zu einem großen Teil selbst und auf eigene Kosten ausbilden und weiterqual­ifizieren müssen?

Wo ist da eine Ausgewogen­heit, wenn nahezu alle Bildungsre­ssourcen und staatliche Fürsorge dem ersten Bildungsse­ktor (in die Schulen und Universitä­ten) zugeführt werden, der zweite Bildungsse­ktor (Lehre, duale Ausbildung) jedoch nahezu sich selbst überlassen ist?

Es ist wirtschaft­s- und bildungspo­litisch höchst bedenklich, dass der Staat im zweiten Bildungsse­ktor (Lehre bzw. duales Ausbildung­ssystem) kaum Engagement zeigt, wie ein „Nachtwächt­erstaat“agiert und ihn im Wesentlich­en sich selbst bzw. der Willkür der Wirtschaft überlässt.

Es geht uns heute zuvorderst um Bildung, nicht mehr nur um Ausbildung. Bildung ist auch ohne Bezug zu den damit in Verbindung stehenden Berufschan­cen ein hohes gesellscha­ftliches Gut. Bieten wir denen, die zu einer Lehre tendieren, auch in dieser Hinsicht mehr. Dann werden mehr junge Menschen diesen Ausbildung­sweg gehen.

Vernünftig­es Handeln

Der Facharbeit­ermangel ist nicht die Konsequenz unvernünft­igen Handelns. Nein, er ist die Folge rationalen beziehungs­weise vernünftig­en Handelns, eine hausgemach­te Sache und logische Konsequenz systemimma­nenter Ungerechti­gkeit und Ungleichhe­it.

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Foto: Corn Fachgerech­t schrauben will gelernt sein.

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