Facharbeitermangel ist eine hausgemachte Not
Die Arbeitslosenrate sinkt – das ist ein guter Anlass, um auf ein Stiefkind der Bildungspolitik hinzuweisen
Beinahe täglich lesen beziehungsweise hören wir vom bestehenden Facharbeitermangel. Wir sehen, mit welcher Intensität die Lehre und eine Ausbildung zum Facharbeiter medial beworben werden. Seitens der Wirtschaft und Politik werden viele Anstrengungen unternommen (es werden diverse Beschäftigungsmöglichkeiten beschrieben und Kampagnen gestartet), um diesem Phänomen entgegenzuwirken.
Ungleiche Bedingungen
Kampagnen sind jedoch von oberflächlicher und nicht fundamentaler Natur. Damit kann man rational und vernünftig denkende Menschen nicht beeindrucken, nicht gewinnen, höchstens vielleicht kurzfristig manipulieren. Eine Änderung dieser unbefriedigenden Situation ist deshalb auch trotz dieser medialen Intensität kaum zu erwarten, weil wir in den zwei Bildungssegmenten (Schule und Lehre) und den verschiedenen Beschäftigungsbereichen mit nicht zu rechtfertigenden ungleichen Bedingungen konfrontiert sind.
Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und andere Institutionen bewerben die Lehre, schalten in Tageszeitungen und anderen Medien um teures Geld seitenlange Sonderbeilagen. Diese Mittel könnten in effizientere Werbung, nämlich in eine intensivere und längere Facharbeiterausbildung, investiert werden. Wir lesen dort, welch tolle Berufsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven eine Lehre eröffnet, auch wenn die wirtschaftliche Praxis sie nicht widerspiegelt.
Es gibt im Alltag viele Anhaltspunkte, welche die in diesen Werbekampagnen beschriebenen rosaroten Zukunftsmöglichkeiten nicht bestätigen, sondern widerlegen. Nur selten finden wir beispielsweise in gehobenen wirtschaftlichen Funktionen nicht akademisch beziehungsweise nicht schulisch gebildetes Personal, und das Einkommensniveau unserer Facharbeiter zählt bei allgemein sehr hohen Lebenshaltungskosten zu den niedrigsten in Europa.
Die Politik verfolgt die Strategie, die Facharbeiterausbildung einerseits als das Zukunftsmodell zu bewerben, zu glorifizieren. Andererseits jedoch wird eine Ver- längerung, eine damit verbundene Verbesserung und Aufwertung der dualen Ausbildung abgelehnt und das Lohnniveau flachgehalten. Es gibt Zweifel daran, ob diese Doppelstrategie aufgeht. Und wegen des Faktums, dass heimische Unternehmen Fachkräfte benötigen und der wirtschaftliche Erfolg und die Attraktivität des Standortes Österreich gesichert und gestärkt werden müssen, macht kein Jugendlicher eine Lehre. Da gäbe es wohl weit gewichtigere Motive, die vielleicht in den folgenden Fragen offenkundig werden könnten:
Drei Fragen
Wo bleibt da die Gerechtigkeit, wenn die Ausbildung zum Master von der öffentlichen Hand finanziert wird, der Meister für seinen Bildungsweg jedoch selbst tief in die Tasche greifen muss?
Wo ist da die Gleichberechtigung, wenn die höhere schulische und universitäre Bildung zur Gänze vom Staat organisiert und finanziert wird, die Unternehmen ihre Fachkräfte im Rahmen der dualen Ausbildung jedoch zu einem großen Teil selbst und auf eigene Kosten ausbilden und weiterqualifizieren müssen?
Wo ist da eine Ausgewogenheit, wenn nahezu alle Bildungsressourcen und staatliche Fürsorge dem ersten Bildungssektor (in die Schulen und Universitäten) zugeführt werden, der zweite Bildungssektor (Lehre, duale Ausbildung) jedoch nahezu sich selbst überlassen ist?
Es ist wirtschafts- und bildungspolitisch höchst bedenklich, dass der Staat im zweiten Bildungssektor (Lehre bzw. duales Ausbildungssystem) kaum Engagement zeigt, wie ein „Nachtwächterstaat“agiert und ihn im Wesentlichen sich selbst bzw. der Willkür der Wirtschaft überlässt.
Es geht uns heute zuvorderst um Bildung, nicht mehr nur um Ausbildung. Bildung ist auch ohne Bezug zu den damit in Verbindung stehenden Berufschancen ein hohes gesellschaftliches Gut. Bieten wir denen, die zu einer Lehre tendieren, auch in dieser Hinsicht mehr. Dann werden mehr junge Menschen diesen Ausbildungsweg gehen.
Vernünftiges Handeln
Der Facharbeitermangel ist nicht die Konsequenz unvernünftigen Handelns. Nein, er ist die Folge rationalen beziehungsweise vernünftigen Handelns, eine hausgemachte Sache und logische Konsequenz systemimmanenter Ungerechtigkeit und Ungleichheit.