Teures „Wir sagen nichts“
Transparenzinitiative droht 7500-Euro- Schuld für Fragen über Zweitwohnsitzwähler
Ein Auskunftsersuchen brachte einem Verein keine Auskunft, aber 7500 Euro Schulden.
Wien – An sich war es eine gute Idee, noch dazu eine im öffentlichen Interesse: Das „Forum Informationsfreiheit“(FOI), ein gemeinnütziger Verein und eine Bürgerrechts-NGO, nahm die Recherchen von STANDARD und Dossier.at über das Wahlrecht für Zweitwohnbesitzer zum Anlass, um selbst noch einmal nachzuhaken. Jede einzelne der 573 niederösterreichischen Gemeinden hat FOI-Experte Mathias Huter Mitte März gefragt, wie viele Personen aus dem Wählerverzeichnis gestrichen wurden, wie viele davon ihren Hauptwohnsitz nicht in Niederösterreich hatten, wie viele von der Streichung direkt informiert wurden und wie viele schließlich die Streichung beeinspruchten. Alles Fragen, so betont man beim FOI, „die das Wahlrecht betreffen und in einer Demokratie kein Geheimnis sein dürfen.“
Die ersten 20 Antworten auf die Anfrage kamen relativ rasch, die Stadtgemeinde Retz etwa antwortete binnen einer Stunde. Doch dann stockte der Informationsfluss plötzlich.
Beim Forum Informationsfreiheit trudelten nur noch gleichlau- tende Briefe ein, in denen recht umständlich erklärt wird, dass es kaum etwas zu sagen gebe. Ganze Absätze im Retourbrief gleichen einander. So schreiben etwa gleichlautend die Marktgemeinden Warth und Sallingberg unisono, es sei „nicht Aufgabe der Gemeinde, bei der Auflage des Wählerverzeichnisses nach anderen Wohnsitzqualitäten zu differenzieren“.
Dafür verrechneten beide gleichlautend eine „vorgeschriebene Gebühr von 14,30 Euro“. Begründung: Die Gebühr falle an, weil die Anfragen des Vereins „Privatinteressen der Einschreiter betreffen“. „Die Bürgermeister unterstellen uns damit, dass Transparenz beim Wahlrecht zu schaffen unser Privatvergnügen wäre“, sagt FOI-Vorstand Josef Barth.
Er hat nachgerechnet: Mehr als 100 Briefe sind schon eingetroffen, nach den ersten 20 Prozent fast alle mit Gebührenforderun- gen. Im schlimmsten Fall droht dem Verein eine Gebührenschuld von 7500 Euro, für die Barth, ehemaliger Journalist und Gründer der Initiative Transparenzgesetz.at zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses, persönlich haftet.
„Offenbar haben sich die Gemeinden abgesprochen“, sagt der Anfrageexperte der NGO, Mathias Huter. Dass einige Gemeinden wiederum gemerkt haben, dass hier nicht eine Einzelperson etwas wissen wollte, zeige sich schon daran, dass sie ihre Anfragebeantwortung direkt an die NGO-Plattform FragdenStaat.at adressierten.
Vereinsvorstand Barth glaubt, „dass hier ein Exempel statuiert werden soll“: „Damit sich kein normaler Bürger mehr getraut, kritische Fragen zu stellen, aus Angst vor den Kosten.“Was passiert, wenn die Gebührenschuld schlagend wird? „Sollten die Gemeinden das nicht zurückziehen, müssen wir binnen zwei Wochen zahlen.“Man werde aber danach die Rechtslage für Rückforderungen ganz genau prüfen.
2015 hat der Verein den Demokratiepreis des Österreichischen Parlamentes bekommen. Barth: „Der wird dann wohl dafür draufgehen. “
Egal, welches Ranking man heranzieht: Österreichs Verwaltung arbeitet im 21. Jahrhundert noch immer erstaunlich undurchsichtig. Man könnte auch sagen: Wir werden veraltet verwaltet.
Das zeigt der aktuelle Fall einer Bürgerrechts-NGO, die wissen wollte, wie viele Zweitwohnbesitzer in Niederösterreich aus Wählerlisten gestrichen wurden. Mit wenigen Ausnahmen betrieben die Gemeinden lieber einen riesigen Aufwand, um blumig zu erklären, warum sie über Wählerverzeichnisse keine Auskunft geben können – statt einfach Auskunft zu geben, die sie eigentlich geben müssten.
Möglich wird diese Verweigerungshaltung vor allem dadurch, dass über allen Transparenzbemühungen wie ein Menetekel das Amtsgeheimnis schwebt, fest verankert im Artikel 20 des Bundesverfassungsgesetzes – seit 1925.
Ein Gesetzesvorschlag für mehr Transparenz, noch unter der Regierung Faymann erarbeitet, landete in der Schublade. Man muss das nicht bedauern, der Entwurf war so vermurkst, dass er über Umwege die Verschwiegenheitspflicht noch weiter gefestigt hätte. Einer hatte sich damals dafür starkgemacht, das Amtsgeheimnis abzuschaffen: Sebastian Kurz. Im Regierungsprogramm des jetzigen Kanzlers findet sich zu diesem Thema kein Wort.
Österreich ist damit die letzte europäische Demokratie mit einer derartigen Verschwiegenheitspflicht in Verfassungsrang. Darauf muss man wahrlich nicht stolz sein.