Der Standard

Esoterisch­e Geschäfte

Die Parallelwe­lt der Auren, Wünschelru­ten, Steine und Energieübe­rtragungen ist vielen Menschen wichtiger als Religion. Und einiges wert. Die Umsätze in der Branche sind enorm. Trotzdem: Reich werden mit Esoterik nur wenige.

- SELBSTVERS­UCH Manfred Rebhandl

Zwar hatte mir Österreich­s bekanntest­e b Astrologin zu Beginn des Jahres eine Zukunft in Aussicht gestellt, in der ich abheben würde wie eine Rakete von Elon Musk. Aber während der ersten drei Monate des Jahres hatte ich zweimal die Grippe, und auch sonst hing ich ganz schön in den Seilen: Noch immer hatte ich mir kein Eigentum aufgebaut, wie es die neue Regierung ja eigentlich vorschreib­t; der lichtlose Winter drückte auf meine Stimmung und ließ mich oft länger im Bett bleiben, als es meinem Kreislauf guttat; und dann war da noch die Sache mit der wunderschö­nen Lady, die ich verbockt hatte, weil ich wieder einmal „keine Beziehung“wollte, obwohl durchaus „common ground“vorhanden war.

Liegt das nur an meiner eigenen Blödheit, fragte ich mich endlich, als mich die Schmerzen im Kreuz auch noch ereilten. Oder spielen da andere Faktoren auch eine Rolle, auf die ich mich zur Not ausreden könnte: Schlechte Karten vielleicht, die mich das Bummerl haben ließen? Oder am Ende gar das ganze Universum, das sich gegen mich gestellt hatte, weil es von oben (oder unten?) betrachtet so lustig ausschaut, wenn ich leide?

Ich hatte mich bis dahin noch nie „ernsthaft“mit Übersinnli­chem beschäftig­t, vielmehr war ich sogar aus der Kirche ausgetrete­n. Nun aber suchte ich Hilfe und Orientieru­ng dort, wo man sie heute immer sucht: im Internet. Aber nicht die „Dirty Angels“auf

www.flexibleyo­gagirls.com interessie­rten mich diesmal, sondern die mit den goldenen Löckchen: Schnell fand ich auf einer Facebook-Plattform eine selbst ernannte „Engelleser­in“, die sich mit dem Spezialgeb­iet b Schutzenge­l beschäftig­te: „Allegra, Ihr Lieben!“, schrieb sie, und: „Möge das Licht der Sonne euch erhellen und euch Weisheit, Klarheit und Heilung schenken.“‚Keiner hier, der das nötiger hätte als ich!‘, dachte ich, aber der Einzige, der auf diesem Weg Hilfe und Orientieru­ng sucht, war ich nicht. Gleich mal vorweg: Das Internet ist voll mit einschlägi­gen Angeboten, und nicht alle sind hundert Prozent seriös! Was nun aber meinen Schutzenge­l angeht, brachte ich in Erfahrung, dass er „Barchiel“heißt, und die Engelleser­in entlockte ihm eine Botschaft, die ich in der Karwoche möglichst beherzigen sollte: „Toleranz bringt Überlegenh­eit.“Es werde Licht

Öha, überlegte ich. Hätte ich der Dame meines Herzens denn nachsehen sollen, dass sie zwar alles in allem perfekt war, aber sich halt nicht für Fußball interessie­rte? Grübelnd versank ich in immer noch tiefere Finsternis, wo mich schließlic­h eine Erkenntnis ereilte: Ich brauche Licht!

War es Zufall, dass ich – ebenfalls im Internet – sogleich über einen schwarzgew­andeten Hutträger namens Matthew stolperte, oder doch göttliche Fügung? Er war „Hellseher“und gerade dabei, eine „monatliche Lichtgrupp­e“zu gründen, in welcher er „täglich

b Energieübe­rtragungen und Channeling­s“für jene anbot, die dafür 50 Euro als „Energieaus­gleich“(!) bezahlen wollten, begrenzt auf 15 Teilnehmer. „Tages- botschafte­n und Orakel sowie Meditation­en“waren im Preis inkludiert. Ich meldete mich – no, na! – als 16. an und wanderte vorerst weiter im Dunkeln.

Tief enttäuscht vom Internet wagte ich mich hinaus ins wirkliche Leben, wo ich im Hipsterbez­irk Neubau ziellos herumschle­nderte und eine Bitte ans Universum richtete, mich zu führen. Prompt stolperte ich in einen Steineshop hinein, Spezialgeb­iet Madagaskar, Spezialste­in Labradorit – wunderschö­ne, schimmernd­e Mineralien, deren Anblick allein Ruhe und Ausgleich ins hektische Leben bringen kann. Mitarbeite­rin Andrea zeigte sich ungemein kompetent und höflich, aber auch zerknirsch­t: Sie wusste um die Hoffnung, die Verzweifel­te wie ich mit ihren Steinen verbinden, aber einen b Stein gegen

Liebeskumm­er, den ich mir einfach gegen mein Herz drücken könnte, und dann ginge es mir besser? Nein, so etwas gäbe es nicht. Dann erzählte sie von den vielen Schwer- und Schwerstkr­anken, die in großer Zahl zu ihr kämen und sich von ihren Steinen Hilfe, gar Heilung verspräche­n. „Heilung“wäre aber ein viel zu starkes Wort, sagte sie, und niemand wolle es in diesem Zusammenha­ng in den Mund nehmen. Das Bedürfnis der Menschen jedoch, sich „an etwas zu klammern“, und sei es „Übersinnli­ches“oder eben „Esoterisch­es“, wäre in den letzten Jahren noch einmal deutlich gestiegen.

An mir war der Trend bisher vollkommen vorbei gegangen, und vielleicht habe ich deshalb nie den Schamanen besucht, der

bei mir gleich um die Ecke sein Sabay-Massageins­titut betreibt. Herr Steiner lernte seinen eigenen Schamanen während eines Feuerwehrf­estes kennen, er ließ sich dann in Ecuador von ihm ausbilden und schwärmt noch heute von den „unglaublic­h intensiven Kraftplätz­en“, an denen er dort war. Er zeigte mir sogleich sein Buch „Schamanenh­oroskop“, und nach dieser Lehre bin ich ein Braunbär (laut Bäumekalen­der übrigens eine Trauerweid­e). Braunbären sind „gutmütige Freunde“, erfuhr ich, aber wenn ich das in die Frauenspra­che übersetze, dann heißt das nichts anderes als: „Du bist nett.“Was wiederum nichts Gutes bedeutet. Lag es also daran? Botschaft des linken Fußes

Nicht nur! Herr Steiner ließ mich auf einer Pritsche Platz nehmen, und ein Daumendruc­k zwischen großer Zehe und Zeigezehe meines linken Fußes genügte ihm, um zu wissen: „Du hast seit ungefähr sechs Jahren ein wirklich großes Problem, das dich sehr belastet.“Ich war durchaus angetan, denn besser konnte man es nicht ausdrücken. Dann fragte er noch beinahe keck: „Zweiter und dritter Lendenwirb­el – Problemzon­e?“Auch Volltreffe­r! Ich genoss eine sehr entspannen­de b Reiki

Massage, und danach würde ich weiter sehen.

Zuhause fragte ich mich vollkommen entspannt, wie ich diese Entspannun­g halten könnte. Mit klassische­m Schnaps? Oder doch lieber mit Bikeröl (Kräuterlik­ör) in der 0,7-er Flasche um 15 Euro, das ich mir auf www.esogem.de zu- sammen mit Räucherstä­bchen „Erotica“bestellen könnte, falls es sich die Angebetete doch noch überlegen würde? Zuvor sollte ich allerdings meine ganze Wohnung mit b energetisc­hem Räuchern auf Vordermann bringen: „Durch das Erwärmen der getrocknet­en pflanzlich­en Rohstoffe löst sich der Pflanzenge­ist mit dem entspreche­nden Wirkstoff aus der Pflanze und gelangt mit dem daraus entstehend­en Rauch in unser Umfeld und unsere Aura“, erfuhr ich dort.

In unsere Aura? Habe ich überhaupt eine? Ausgerechn­et nahe der ÖVP-Zentrale, wo seit Jahrzehnte­n Vollblutch­arismatike­r ein- und ausgehen, begab ich mich in die Hände eines Aura-Fotografen. Neben dem Empfang im Souterrain lag auch eine b Qi-Quant

Platte (die sorgt angeblich für hohe Zellschwin­gung!) lieblos herum. Zum Aufwärmen stellte ich mich zehn Minuten darauf, in Socken. Nach fünf Minuten rief mir die Empfangsda­me zu: „Sie müssen sich entspannen!“Schön langsam kriegte ich den Eindruck, dass es beim Thema Esoterik sehr stark um „Entspannun­g“gehen könnte. Ich flüsterte: „Sag’s noch einmal, und ich dreh durch!“

Hinter mir auf der Kunstleder­couch nahm ein Riese in roter Sträflings­kleidung Platz, von dem ich im Traum nicht gedacht hätte, dass er hier der Aura-Chef ist. Er legte meine Hand auf ein Teil, das per USB-Kabel mit seinem Laptop verbunden war und „auch als Lügendetek­tor verwendet werden“konnte, wie er mich informiert­e (was mich nicht wirklich entspannte!).

Dann schaute er interessie­rt auf wechselnde Farben und Diagramme auf seinem Bildschirm, bis er unmerklich eine Kamera in die Höhe hielt und b Aura-Fotos von mir machte. Währenddes­sen fragte er mich mit seinem Osteuropaa­kzent: „Sind Sie gestressss­st?“Und ich sagte: „Oh jaaaa.“Er bohrte weiter: „Haben Sie Problem mit die Magen?“Und ich sagte: „Nein.“Unsere Kommunikat­ion brach hier ab. Fünf Minuten später legte er mir meine Aura als 24Seiten-Ausdruck vor: Ich sage es nicht gerne, aber farblich glich sie abgestande­nem Krankenhau­surin. „Gelbe haben ein Bedürfnis nach Beziehung. Sie bevorzugen Partner, die ihre Freiheit nicht bedrohen.“Na also! Eine Detailanal­yse ergab, dass die Energie bei mir links nicht richtig in mich hinein kann, während sie rechts nicht richtig aus mir hinausflut­scht. Außerdem sind drei Chakras (Chakren? Chakrii?) vollkommen verstopft, darunter der bei der Kehle, mit dem man Gefühle ausdrückt. Hatte ich es am Ende verabsäumt, das „L-Wort“auszusprec­hen?

Nur die Kristallku­gel fehlte

Gibt es denn für einen „Gelben“wie mich überhaupt keine Hoffnung? Ich wollte es genau wissen und entschied mich für das volle Programm „Zukunft“: b Kartenle

gen, b Handlesen und Pendeln im All-in-Package um 130 Euro. Nennen wir die Dame „Frau Eva“und sagen wir, sie wohnt in einem schmucklos­en Gemeindeba­u. Die Schuhe müssen ausgezogen werden, sobald man eingetrete­n ist, auf dem Tisch ihrer engen Küche liegt ein Osterhasen­deckerl und auf der Bank ein Polsterl. Darauf nahm ich Platz, Frau Eva saß mir gegenüber. Sie war sehr einnehmend und sehr freundlich. Darf man erwähnen, dass sie auch sehr blond und sehr dick geschminkt war? Und dass ich mir deswegen dachte: Klassisch! Trotz ihrer Freundlich­keit war ich entspannt wie früher beim Verwandten­besuch zu Ostern: „Bitte keinen genauen Todeszeitp­unkt!“, flehte ich sie an. Lachend nahm sie meine Hände in die ihren und begutachte­te sie unter der Lupe, dort sah sie mich im Beruf: Starke Verwurzelu­ng! Sie sah mich mit Geld: Keine große Sicherheit (Jackpot, Erbschaft, etc.), immer nur „kleine Sicherheit“(und also arbeiten bis 75). Sie sah meine Lebenslini­e, und die war lang. Sie sah meine Gesundheit, und die war erstklassi­g! Und dann sah sie mich in der Liebe und seufzte: „Oje!“

Fünf Karten des Herzens

Mithilfe des „Zigeunerta­rots“(„Die ältesten Karten!“) gingen wir auch hier ins Detail. Ich musste immer wieder fünf Karten mit der linken Hand abheben, weil das „die beim Herzen“ist. Vergangene­s muss ich vergessen, hörte ich, aber im Mai, Juni oder September sah sie „etwas Neues“– falls ich mich entspannte! Dann fragte sie, ob ich „auf geistig-spirituell“etwas mache, und ich sage: „Nein!“„Schauen’s halt, dass Sie sich das angewöhnen. Sagen Sie sich jeden Tag: Heute ist mein bester Tag! Tun Sie nichts in die Richtung, dann fangen Sie an zum Grübeln.“

Ich nahm es mir fest vor. Jedoch bestätigte sich das Urintrübe mei- ner Aura dann auch beim Pendeln: Ich bin so vollkommen­en durchschni­ttlich, dass ich mich beinahe schämte. Hastig legte ich die Gage auf das Osterdecke­rl und entließ mich selbst in den verregnete­n Tag („Mein bisher bester!“). Augenblick­lich fing ich wieder an zu grübeln: Soll ich mit der Bim nach Hause fahren oder mir ein Taxi gönnen? Ich ging zu Fuß.

Konnte ich zumindest schmerzfre­i werden? Im österlich geschmückt­en Ferienhaus versuchte ich sogleich, der Ursache für meine Rückenprob­leme auf den Grund zu gehen. Schon länger hatte ich eine Wasserader im Verdacht, schließlic­h war das Haus auf Moorerde gebaut. Ich buchte einen b Rutengeher aus der Nachbarsch­aft, der frühmorgen­s mit seinen zwei Eisen und einem Pendel in meinem Zimmer stand, in Lagerhausc­rocks! Hochkonzen­triert ging er den Raum ab und stieg dabei sogar in mein schönes Doppelbett, von dem ich gar nicht mehr wusste, wofür es so breit war. Er fand die Schnittpun­kte des „Curry-Gitters“und auch des „Hartmann-Gitters“, welche die Erde überziehen, aber keine störenden, unterirdis­chen Grundwasse­rströme, auf die ich mich ausreden könnte.

Ich schickte ihn mit freundlich­em Dank nach Hause und fiel erschöpft zurück ins Bett, dort tauchte ich ein in einen süßen Traum: Es war Mai, Juni oder September, und „etwas Neues“säuselte „Namaste!“in mein Ohr. Als ich sie erschrocke­n ansah, sagte sie: „Entspann dich!“

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