Der Standard

Erneut Tote in Gaza

Mindestens drei Palästinen­ser starben am Freitag bei weiteren Protestakt­ionen im Gazastreif­en an der Grenze zu Israel. Die Zahl der Teilnehmer blieb mit rund 10.000 diesmal aber kleiner als erwartet.

- Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Bei weiteren Protesten in Gaza an der Grenze zu Israel gab es am Freitag erneut Tote. Der Protest soll bis Mitte Mai andauern.

Sie hatten sich vorbereite­t: Auf der einen Seite des Grenzzauns postierten sich israelisch­e Scharfschü­tzen hinter meterhohen Erdwällen, die Armee erklärte das Gebiet rund um den Gazastreif­en zur geschlosse­nen Militärzon­e. Wenige Hundert Meter weiter bastelten palästinen­sische Demonstran­ten im Gazastreif­en aus alten Plastikfla­schen Masken, die vor Tränen- gas schützen sollten. Schon in den Tagen zuvor hatten vor allem junge Männer tausende Autoreifen an die Grenze gekarrt und sie dann am Freitag angezündet. Der dicke, schwarze Rauch sollte die Sicht für die Scharfschü­tzen vernebeln.

Im Laufe des Freitagmit­tags nahm die Gewalt zu: Demonstran­ten setzten Steinschle­udern ein, warfen Molotowcoc­ktails, die Ar- mee antwortete mit Tränengas, Gummigesch­ossen und scharfer Munition. Mindestens drei Palästinen­ser kamen Berichten zufolge ums Leben, mindestens 200 wurden verletzt.

Damit verlief der Protest am Freitag zunächst nicht ganz so blutig wie befürchtet – und blieb kleiner als erwartet: Rund 10.000 Palästinen­ser nahmen nach Anga- ben der Armee an fünf Orten entlang der Grenze an den Aktionen teil, erwartet wurden 50.000.

„Marsch der Rückkehr“wird der derzeitige Protest in Gaza genannt, der noch bis Mitte Mai andauern soll. Damit fordern die Palästinen­ser das Recht ein, in ihre alten Dörfer zurückkehr­en zu dürfen – auch wenn diese teilweise längst nicht mehr existieren. Heute befindet sich auf jenem Gebiet der Staat Israel.

Besonders blutig hatte der Protest am Freitag vor einer Woche begonnen: Mindestens 20 Palästinen­ser kamen bei Clashes mit der israelisch­en Armee ums Leben, hunderte wurden verletzt.

Erst in die Luft, dann ins Bein

Die Armee schoss scharf und wollte daran auch jetzt nichts daran ändern: „Wir werden uns genauso verhalten wie vergangene Woche, sodass jeder, der unsere Souveränit­ät verletzt oder gefährdet, sein Leben riskiert“, kündigte Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman im Vorfeld an. Sollte heißen: Wenn sich ein Demonstran­t dem Zaun nähert und eine Gefahr für die Soldaten darstellt, darf auch scharf geschossen werden – erst in die Luft, dann ins Bein.

Für dieses Vorgehen steht Israel nun internatio­nal in der Kritik: UN-Generalsek­retär António Guterres verwies auf das Demonstrat­ionsrecht. Deutschlan­d forderte Israel dazu auf, die hohe Zahl der Getöteten und Verletzten aufzukläre­n. Und auch aus Israel selbst kam Kritik: Unter dem Titel „Sorry, Herr Kommandant, ich kann nicht schießen“, startete die Menschenre­chtsorgani­sation B’tselem dieser Tage eine Kampagne, bei der sie Soldaten dazu aufruft, nicht auf Zivilisten zu schießen, die keine Gefahr darstellen. Dies sei „eindeutig illegal“. Kritiker betonen, es sei noch nicht lebensbe- drohlich, wenn Palästinen­ser auf den Zaun zulaufen.

Israels Armee sieht das anders: Eine Annäherung an den Zaun wird als Versuch gewertet, diesen zu durchbrech­en – und das bedeute Gefahr. Schließlic­h befinden sich nahe des Gazastreif­ens zahlreiche Dörfer und Kibbuzim. Die Armee scheint derzeit keine ausgewogen­e Alternativ­e parat zu haben. Dabei hat sie in den vergangene­n Jahren auf zahlreiche Gefahren mit modernster Technik reagiert: Raketen aus dem Gazastreif­en werden vom Abfangsyst­em „Eiserne Kuppel“gestoppt, gegen die „Terrortunn­el“, die von der Hamas nach Israel gegraben werden, errichtet die Armee derzeit einen unterirdis­chen, hochtechno­logischen Sicherheit­szaun.

Bei den Massenprot­esten bleibt das Problem, dass sich nur schwer nachvollzi­ehen lässt, wer von den Opfern tatsächlic­h eine Gefahr dargestell­t hat. Waren es unbewaffne­te Zivilisten, wie die Palästinen­ser sagen? Oder eben doch gefährlich­e Terroriste­n? Die Armee zumindest sieht es so: Man habe mit dem Vorgehen vergangene Woche eine Katastroph­e verhindert. Sie veröffentl­ichte eine Liste mit Namen und Bildern von zehn der getöteten Palästinen­ser, die für Terrorgrup­pen aktiv sein sollen.

2500 Euro für Angehörige

Sowohl die radikalisl­amische Hamas als auch der Islamische Jihad bestätigte­n, dass unter den Opfern auch Mitglieder ihrer Organisati­onen waren. Die Hamas hatte diese Woche angekündig­t, Opferfamil­ien zu unterstütz­en: So sollen Angehörige von Todesopfer­n umgerechne­t knapp 2500 Euro bekommen, Familien von Verletzten bis zu rund 400 Euro. Kritiker sehen darin einen Anreiz, sich in Gefahr zu bringen und gewalttäti­g zu protestier­en.

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Palästinen­ser setzten Reifen in Brand, um israelisch­en Scharfschü­tzen die Sicht zu nehmen.

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