Der Standard

Abgeschobe­n und wieder auferstand­en

Acht Jahre hat Ibrahim Diallo als Asylwerber in Europa verbracht. Vor zehn Jahren wurde er abgeschobe­n. In Guinea hat er sich trotz aller Widrigkeit­en ein neues Leben aufgebaut. 80 Prozent der Roma in der EU armutsgefä­hrdet

- David Tiefenthal­er aus Conakry

DREPORTAGE: ie Abgase der alten Dieselauto­s und der omnipräsen­te Rauch von Müll, der am Straßenran­d oder mitten auf der Straße verbrannt wird, legen sich wie ein unangenehm­er, schmutzige­r Schleier auf die Haut. Die Luft in Conakry, der Hauptstadt Guineas, ist heiß und drückend. Besonders jetzt, am frühen Nachmittag, wenn der 48-jährige Ibrahim Diallo von einem Kurzbesuch in der Moschee in sein Kaffeehaus zurückkomm­t. Eine Handvoll Männer sitzt um diese Zeit unter dem aufgeheizt­en Wellblechd­ach, die meisten bestellen „Ronson Café“: einen Espresso aus einer umgebauten Bialetti-Maschine und zwei Zigaretten der Marke Ronson. Eingehüllt von Kaffee- und Zigaretten­geruch erzählt Diallo seine Geschichte.

„Wirtschaft­sflüchtlin­g“

Acht Jahre lang hat er als Asylwerber in Deutschlan­d gelebt. An seine Zeit in Europa hat er einige gute und viele schlechte Erinnerung­en. Diallo war jemand, auf den die vielstrapa­zierte Bezeichnun­g „Wirtschaft­sflüchtlin­g“zutrifft. Jemand, der aus einem Land geflohen ist, in dem 1999 das jährliche Pro-Kopf-Einkommen bei knapp 700 Euro lag. Mit dem Flugzeug und einem Visum kam er in Frankreich an und reiste weiter nach Deutschlan­d. Stationen in Mannheim und Stuttgart folgten, gewohnt hat er immer in Flüchtling­slagern. Arbeiten durfte er in den acht Jahren als subsidiär Schutzbere­chtigter nie. Auch in Haft war er in Deutschlan­d, knappe drei Jahre lang. Warum, möchte er nicht sagen. Nur, dass er dort endlich Deutsch lernen konnte.

2008 wurde Diallo abgeschobe­n, als einer von 41 Personen in diesem Jahr. Die Schutzquot­e für Guineer ist nicht sehr hoch, 2017 erhielten nur 16,7 Prozent der Antragstel­ler Schutz in Deutschlan­d. Der Großteil der abgelehnte­n Asylwerber reist offiziell freiwillig wieder aus. In Europa waren es 2017 insgesamt 18.535 Guineer, die einen Asylantrag stellten.

Die Europäisch­e Union bemüht sich aktuell um den Abschluss eines „Rückführun­gsabkommen­s“mit Guinea. Derzeit können Abschiebun­gen dadurch verhindert werden, dass Herkunftsl­änder die Einreise verweigern. Ein Abkommen würde diese Hürde aus dem Weg räumen.

Zurück in Guinea, begann ein schwierige­r Neuanfang für Diallo. Der Kontakt zu seiner Familie war abgerissen. Erst als er seine Mutter fand, besserte sich die Situa- tion: Er heiratete bald und eröffnete das Kaffeehaus. Sein Blick auf Europa hat sich nach seinem Aufenthalt in Deutschlan­d verändert, aber auch jener auf sein Heimatland: „Europa ist ein Gefängnis, aber es werden die Gesetze eingehalte­n. Hier bist du frei, aber Politik und Polizei sind korrupt“, sagt Diallo. Dafür braucht er in Guinea für sich und seine Familie am Tag in etwa so viel Geld, wie ein Packerl Zigaretten in Deutschlan­d kostet, erklärt er lakonisch. Insgesamt leben er und seine Familie von 180 Euro im Monat.

Der Kaffeehaus­besitzer wohnt mit seiner Frau und den vier Kin- dern in einem Haus – „selbst gebaut natürlich“– etwa fünf Minuten zu Fuß entfernt. Abseits der asphaltier­ten Hauptstraß­e des Viertels bestehen die Verkehrswe­ge aus rotbraunem Staub und Geröll. Die Straße führt vorbei an halb fertigen Häusern, in denen Kinder herumtoben. Das sei das Problem in Afrika, sagt der 48-Jährige und zeigt auf die Betonskele­tte ohne Dach: „Die Leute fangen mit dem Bauen an, auch wenn sie nur Geld für das Fundament haben.“Anders als in Europa leben die Menschen in Guinea zu sehr im Heute, für morgen werde nicht vorgesorgt, klagt Diallo. Er nennt zahlreiche Probleme: Nach wie vor gebe es nur ein rudimentär­es Schulsyste­m, das fast ausschließ­lich privat finanziert wird. Frauen bekämen zu viele Kinder, und Verhütung sei ein Tabu.

Verbreitet­er Analphabet­ismus

Die Zahlen geben ihm recht. 2015 lag die Analphabet­enquote bei knapp 70 Prozent, die Einschulun­gsquote im Primarschu­lbereich bei 50 Prozent. Frauen bekommen im Durchschni­tt fünf Kinder. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 980 Euro im Jahr. Anders als viele seiner Landsleute will Diallo trotzdem nicht noch einmal weg. Er betont jedoch, dass die Hilfe aus Übersee dringend benötigt wird. Seine Kinder gehen auf eine Schule, die von einer NGO finanziert wird.

Dem 48-Jährigen bleibt im Monat nichts übrig, Sparen ist ein Ding der Unmöglichk­eit. Deswegen träumt er von einem Auto und einem Job als Taxifahrer, so könnte er Geld auf die Seite legen. Er steht vor dem Autohof eines Gebrauchtw­agenhändle­rs und zeigt auf einen mindestens fünfzehn Jahre alten Kombi: „So einer wäre gut – am besten aus Deutschlan­d.“ Wien – Trotz Plänen der EU-Mitgliedss­taaten, die Lage der Roma in der Union zu verbessern, ist die Situation der Bevölkerun­gsgruppe weiterhin schlecht. Das ist das Ergebnis eines Berichts der EUGrundrec­hteagentur, der am Freitag veröffentl­icht wurde.

Demnach ist noch immer jeder dritte Angehörige der Roma Belästigun­gen ausgesetzt. „RomaFeindl­ichkeit von Diskrimini­erung bis zu Hasskrimin­alität sind der Treibstoff für den Teufelskre­is des Ausgrenzen­s der Roma“, sagt der Leiter der Grundrecht­eagentur, Michael O’Flaherty, in einer Aussendung.

Doch auch die Lebensbedi­ngungen der Bevölkerun­gsgruppe haben sich seit 2011 nicht merklich verbessert, obwohl damals der EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integratio­n von Roma bis 2020 abgesteckt wurde. So sind noch immer 80 Prozent der Roma armutsgefä­hrdet. Der EU-Schnitt liegt im Vergleich dazu bei 17 Prozent. Jeder vierte Roma-Haushalt hat keinen Zugang zu fließendem Trinkwasse­r.

In Sachen Bildung konnten hingegen kleine Erfolge verzeichne­t werden, wie der Bericht nahelegt. So erfährt mehr als die Hälfte aller Roma-Kinder eine frühkindli­che Bildung, und immer weniger Jugendlich­e brechen nach der Volksschul­e den Bildungswe­g ab. (bbl)

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Mit seinem Kaffeehaus in Conakry kann Diallo sich und seine Familie über Wasser halten. Geld für die Zukunft kann er sich so aber nicht ansparen. Noch einmal würde er trotzdem nicht nach Europa fliehen. Der Kontinent sei ein „Gefängnis“, wie er heute...

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